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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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ertrug angestrebt. Das Letztere ist ihm in der Regel mehr gelungen, als das
Erstere, und wenn man die Methode seiner Komposition auch sehr bald durch¬
schaut, wenn man in dem beständigen Parallelismus der Gegensätze auch nicht
grade die höchste künstlerische Form findet, so ist doch wieder in dieser Einfach¬
heit etwas Energisches und Kraftvolles, so daß wir den feineren und kunstvolleren
Rhythmus der Composition kaum vermissen. Was dagegen die psychologische Wahr¬
heit betrifft, so hat er nicht blos mit der hastigen Lebhaftigkeit seiner Einbildungs¬
kraft zu kämpfen gehabt, sondern auch mit der Neigung, ganz seiner Natur zu¬
wider die Probleme aus der Reflexion zu nehmen. In denjenigen Figuren, die
ihren Ursprung der Phantasie verdanken, ist immer Leben und Bewegung, wie
übertrieben auch ihr Ausdruck sein mag, während die Charaktere, die ans der
Reflexion entspringen, ihm fast überall mißglücken. Solche Figuren sind z. B.
Mistreß Dombey, Carter, Rosa Dartle und ähnliche. In dem gegenwärtigen
Roman ist vorzugsweise Skimpvle eine solche, Figur ohne Wahrheit, Leben und
Interesse.

Um uun nachzuweisen, wie in dem neuen Roman der Fehler der Imagi¬
nation und der Kritik sich einander durchkreuzen, gehen wir ans eine ausführlichere
Analyse ein.

Die Composition beruht ans zwei nur äußerlich miteinander verbundenen Be¬
gebenheiten. Auf der einen Seite wird uns ein unendlicher Proceß vor dem
Kanzleigerichtshof dargestellt, der mehre Generationen überlebt, alle Menschen,
die darin verwickelt werden, unglücklich macht, und endlich nur dadurch sein Ende
findet, daß die Kosten das Object des Processes absorbirt haben. Ans der an¬
dern Seite werden wir in eine vornehme Familie eingeführt, in der eine Dame
von einer geheimen Schuld.gedrückt wird, die allmälig durch eine Reihe sehr ver¬
wickelter Intriguen aus Tageslicht kommt. Die Verbiudmig zwischen diesen bei¬
den Geschichten wird durch ein junges Mädchen bewirkt, welches gewissermaßen
als die Erzählerin auftritt, und das in beiden betheiligt ist. Sie ist nämlich die
Tochter jener stolzen Frau und die Mündel eines Mannes, der an jenem Proceß
vorzugsweise betheiligt ist. Zwar sind noch einige andere Mittelglieder eingeschoben,
z. B. die Lady ist auch auf eine entfernte Weise in den Proceß verwickelt, aber
das si"d Nebensachen, die ebenso gut auch hätten wegbleiben können.

Schon diese Composition hat ihre Bedenken, obgleich wir wohl erkennen, daß
die schon angeführte Methode des Parallelismus dadurch sehr begünstigt wird.
Das Eine muß doch zuletzt ans Kosten des Anderen in den Vordergrund treten.
Im Anfang nimmt der Proceß unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch, später
tritt er zurück und wird nur nothdürftig wieder aufgenommen, weil doch irgend
ein Abschluß da sein muß. Es ist das übrigens ein Fehler, den wir bei Dickens
hänfig finden. Als eingefleischter Engländer legt er ein gewisses Gewicht darauf,
praktisch zu wirken. Es widerfährt ihm daher hänfig, daß er im Anfang des


ertrug angestrebt. Das Letztere ist ihm in der Regel mehr gelungen, als das
Erstere, und wenn man die Methode seiner Komposition auch sehr bald durch¬
schaut, wenn man in dem beständigen Parallelismus der Gegensätze auch nicht
grade die höchste künstlerische Form findet, so ist doch wieder in dieser Einfach¬
heit etwas Energisches und Kraftvolles, so daß wir den feineren und kunstvolleren
Rhythmus der Composition kaum vermissen. Was dagegen die psychologische Wahr¬
heit betrifft, so hat er nicht blos mit der hastigen Lebhaftigkeit seiner Einbildungs¬
kraft zu kämpfen gehabt, sondern auch mit der Neigung, ganz seiner Natur zu¬
wider die Probleme aus der Reflexion zu nehmen. In denjenigen Figuren, die
ihren Ursprung der Phantasie verdanken, ist immer Leben und Bewegung, wie
übertrieben auch ihr Ausdruck sein mag, während die Charaktere, die ans der
Reflexion entspringen, ihm fast überall mißglücken. Solche Figuren sind z. B.
Mistreß Dombey, Carter, Rosa Dartle und ähnliche. In dem gegenwärtigen
Roman ist vorzugsweise Skimpvle eine solche, Figur ohne Wahrheit, Leben und
Interesse.

Um uun nachzuweisen, wie in dem neuen Roman der Fehler der Imagi¬
nation und der Kritik sich einander durchkreuzen, gehen wir ans eine ausführlichere
Analyse ein.

Die Composition beruht ans zwei nur äußerlich miteinander verbundenen Be¬
gebenheiten. Auf der einen Seite wird uns ein unendlicher Proceß vor dem
Kanzleigerichtshof dargestellt, der mehre Generationen überlebt, alle Menschen,
die darin verwickelt werden, unglücklich macht, und endlich nur dadurch sein Ende
findet, daß die Kosten das Object des Processes absorbirt haben. Ans der an¬
dern Seite werden wir in eine vornehme Familie eingeführt, in der eine Dame
von einer geheimen Schuld.gedrückt wird, die allmälig durch eine Reihe sehr ver¬
wickelter Intriguen aus Tageslicht kommt. Die Verbiudmig zwischen diesen bei¬
den Geschichten wird durch ein junges Mädchen bewirkt, welches gewissermaßen
als die Erzählerin auftritt, und das in beiden betheiligt ist. Sie ist nämlich die
Tochter jener stolzen Frau und die Mündel eines Mannes, der an jenem Proceß
vorzugsweise betheiligt ist. Zwar sind noch einige andere Mittelglieder eingeschoben,
z. B. die Lady ist auch auf eine entfernte Weise in den Proceß verwickelt, aber
das si»d Nebensachen, die ebenso gut auch hätten wegbleiben können.

Schon diese Composition hat ihre Bedenken, obgleich wir wohl erkennen, daß
die schon angeführte Methode des Parallelismus dadurch sehr begünstigt wird.
Das Eine muß doch zuletzt ans Kosten des Anderen in den Vordergrund treten.
Im Anfang nimmt der Proceß unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch, später
tritt er zurück und wird nur nothdürftig wieder aufgenommen, weil doch irgend
ein Abschluß da sein muß. Es ist das übrigens ein Fehler, den wir bei Dickens
hänfig finden. Als eingefleischter Engländer legt er ein gewisses Gewicht darauf,
praktisch zu wirken. Es widerfährt ihm daher hänfig, daß er im Anfang des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/189>, abgerufen am 22.07.2024.