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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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anwendeten. El" solches Handbuch würde sich min freilich nicht ein historisches
Werk nennen können.

Herr Duncker hat sich die schwierige Aufgabe gesetzt, jene Vorararbeit blos
in seinen Studien anzustellen und dann eine künstlerische Composttion darauf zu
banen, die zwar nicht eine eigentliche geschichtliche Darstellung, aber doch ein zu¬
sammenhängendes Bild gibt. In dem 1. Baude seiner Geschichte war dies ein¬
facher möglich, denn die Grundlage der Darstellung, das Gemälde der Landschaft
und der Natur, kounte mit voller Ausführlichkeit gegeben werden, und der weitere
Stoff, so dürftig er noch immer ist, hat grade durch die neueren Forschungen
an chronologischer Bestimmtheit sehr gewonnen und ordnete sich daher von selbst
zu einer Art von Erzählung. Am glücklichsten konnte der Versuch bei dem Schluß
des 2. Theils, bei den Persern ausfallen, weil wir hier auf einem fast historischen
Boden stehen. Hier.wurde der Eindruck noch dadurch ein erfreulicherer, daß durch
die neuen Entdeckungen die alte historische Darstellung theils bestätigt, theils be¬
stimmter gestaltet ist, und daß wir das Gefühl der Continuität des Menschen¬
geschlechts dadurch sehr lebhaft in uns erwecken. Am allerschwierigsten war die
indische Geschichte. Hier ist zunächst die geographische Grundlage der Geschichte
nicht eine einheitliche, wie z. B. in Aegypten, vor allem aber ist die Literatur
so ungeheuer reichhaltig und verlangt bei der Abwesenheit alles historischen Sinns
bei den Indern eine so ins einzelne gehende Untersuchung über das Verhältniß
der Sage, der Dichtung und der Philosophie, wenn man diesen nicht ganz bezeich¬
nenden Ausdruck gebrauchen will, zur wirklichen Welt, daß man nur schwer ein
Ende der Untersuchungen absieht. Außerdem standen alle übrigen in dieser Ge¬
schichte vorkommenden Reiche in einem bestimmten Verhältniß zu den Griechen
und bewegten sich im Kreise der allgemeinen Culturverhältnisse. Wir haben
also für unsere Studien einen bestimmten Anhalt. Alle Sagen und Geschichten
ihrer Vorzeit stehen in irgend einer Beziehung zu den späteren persischen und streben
nach demselben Centrum hin. DaS Verhältniß Indiens dagegen ist ein durchaus
excentrisches, es wird zwar durch die Eroberung Alexanders und durch das Se-
lencidenreich vorübergehend zum Theil der allgemeinen Culturbewegung gewonnen,
aber dieser Zustand ist nur ein episodischer. Die große, ganz unerhört umfang¬
reiche Culturentwickelung Indiens steht zu der allgemeinen orientalischen Cultur¬
entwickelung in gar keinem Verhältniß. Wir finden zwar sehr auffallende Ana¬
logien, wir haben sogar durch sprachliche Studien die Erkenntniß gewonnen, daß
hier der Mittelpunkt der allgemeinen Völkerbewegung zu suchen ist, aber das Wie
ist uns ganz dunkel und räthselhaft. Und wenn wir Indien für sich selbst be¬
trachten, so ist anch hier der Mangel an Gliederung ebenso überraschend wie die
Massenhaftigkeit des Bildungstoffs. Wir haben eine überreiche Fülle von Zustän-
den, aber die Ereignisse treten nur sporadisch auf.

Herr Duncker hat nun ein großes Geschick angewendet, diesem unendlichen


anwendeten. El» solches Handbuch würde sich min freilich nicht ein historisches
Werk nennen können.

Herr Duncker hat sich die schwierige Aufgabe gesetzt, jene Vorararbeit blos
in seinen Studien anzustellen und dann eine künstlerische Composttion darauf zu
banen, die zwar nicht eine eigentliche geschichtliche Darstellung, aber doch ein zu¬
sammenhängendes Bild gibt. In dem 1. Baude seiner Geschichte war dies ein¬
facher möglich, denn die Grundlage der Darstellung, das Gemälde der Landschaft
und der Natur, kounte mit voller Ausführlichkeit gegeben werden, und der weitere
Stoff, so dürftig er noch immer ist, hat grade durch die neueren Forschungen
an chronologischer Bestimmtheit sehr gewonnen und ordnete sich daher von selbst
zu einer Art von Erzählung. Am glücklichsten konnte der Versuch bei dem Schluß
des 2. Theils, bei den Persern ausfallen, weil wir hier auf einem fast historischen
Boden stehen. Hier.wurde der Eindruck noch dadurch ein erfreulicherer, daß durch
die neuen Entdeckungen die alte historische Darstellung theils bestätigt, theils be¬
stimmter gestaltet ist, und daß wir das Gefühl der Continuität des Menschen¬
geschlechts dadurch sehr lebhaft in uns erwecken. Am allerschwierigsten war die
indische Geschichte. Hier ist zunächst die geographische Grundlage der Geschichte
nicht eine einheitliche, wie z. B. in Aegypten, vor allem aber ist die Literatur
so ungeheuer reichhaltig und verlangt bei der Abwesenheit alles historischen Sinns
bei den Indern eine so ins einzelne gehende Untersuchung über das Verhältniß
der Sage, der Dichtung und der Philosophie, wenn man diesen nicht ganz bezeich¬
nenden Ausdruck gebrauchen will, zur wirklichen Welt, daß man nur schwer ein
Ende der Untersuchungen absieht. Außerdem standen alle übrigen in dieser Ge¬
schichte vorkommenden Reiche in einem bestimmten Verhältniß zu den Griechen
und bewegten sich im Kreise der allgemeinen Culturverhältnisse. Wir haben
also für unsere Studien einen bestimmten Anhalt. Alle Sagen und Geschichten
ihrer Vorzeit stehen in irgend einer Beziehung zu den späteren persischen und streben
nach demselben Centrum hin. DaS Verhältniß Indiens dagegen ist ein durchaus
excentrisches, es wird zwar durch die Eroberung Alexanders und durch das Se-
lencidenreich vorübergehend zum Theil der allgemeinen Culturbewegung gewonnen,
aber dieser Zustand ist nur ein episodischer. Die große, ganz unerhört umfang¬
reiche Culturentwickelung Indiens steht zu der allgemeinen orientalischen Cultur¬
entwickelung in gar keinem Verhältniß. Wir finden zwar sehr auffallende Ana¬
logien, wir haben sogar durch sprachliche Studien die Erkenntniß gewonnen, daß
hier der Mittelpunkt der allgemeinen Völkerbewegung zu suchen ist, aber das Wie
ist uns ganz dunkel und räthselhaft. Und wenn wir Indien für sich selbst be¬
trachten, so ist anch hier der Mangel an Gliederung ebenso überraschend wie die
Massenhaftigkeit des Bildungstoffs. Wir haben eine überreiche Fülle von Zustän-
den, aber die Ereignisse treten nur sporadisch auf.

Herr Duncker hat nun ein großes Geschick angewendet, diesem unendlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/182>, abgerufen am 22.07.2024.