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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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maßen ein Urtheil sprechen soll, bevor die Acten geschlossen sind. Allein dies
Bedenken dürste nicht stichhaltig sein, denn ein "ollständiger Abschluß der Vor¬
studien findet, wenn man es streng nehmen will, anch in einem eigentlich histo¬
rischen Zeitalter nicht statt, und der Zweck aller historischen Studien kann doch
nnr sein, einen Abschluß "ut damit eine Darstellung allmälig vorzubereiten. Ja
eine solche Darstellung wirkt anch befruchtend ans die historische Forschung selbst
ein, für die es sehr nöthig ist, von Zeit zu Zeit eine allgemeine Uebersicht ihrer
Resultate sich vorzuhalten, damit sie sich nicht ganz in Details verliert. Wenn auch
vielleicht im Laufe der Forschung die Dinge ein anderes Ansehen und eine andere
Gestalt annehmen, so ist doch jeder Versuch, das Bild zu anticipiren, ein berech¬
tigtes und nothwendiges Moment in der historische" Literatur, wenn man nnr ge¬
wissenhaft zu Werke geht, d. h. wenn man nichts Anderes erzählt, als was
man wirklich weiß. Und diesen Ruhm der Gewissenhaftigkeit kann das vorliegende
Werk in hohem Grade in Anspruch nehmen.

Freilich hätten wir uns die Darstellung des vorhistorischen Zeitalters auch
noch in einer andern Form denken können. Man erlaube uns zunächst eine De¬
finition dieses Ausdrucks. DaS historische Zeitalter fängt für uns da an, wo die
in ununterbrochenem Verlauf fortgehende. Dialektik der Weltgeschichte beginnt,
d. h. wo zwei große historische Gegensätze der Cultur aufeinanderstoßen und da¬
durch, daß sie von dem Gegensatz eine handgreifliche Anschauung gewinnen, sich
auch ihrer selbst bewußt werde"; oder mit andern Worten, die Geschichte beginnt
da, wo die Geschichtschreibung beginnt. Dieser Zeitpunkt der Krisis ist der Krieg
zwischen den Griechen und Persern. Mit ihm beginnt jener große Gegensatz'
zwischen Abendland n"d Morgenland, welcher der Hebel der gesammte" Geschichte
geworden ist; was vorher geschehen war, hatte nur dazu gedient, die in anar¬
chischer Verwirrung durcheiuandergeworfeneu Cnlturformen in einen großen Gegen¬
satz zusammenzudrängen. Das persische Reich hatte die verschiedenen Momente
des'Orients durch fortgesetzte Eroberungen in sich zusammengefaßt, es hatte sie
einem allgemeinen Staatsmechanismus nnterworfe" und begegnete n"u in dem
Vertreter des Abendlandes, in Griechenland, einer höheren Culturform, die es
zwar auf das furchtbarste bedrohte, die ihm aber stegreichen Widerstand entgegen¬
setzte und es sich endlich unterwarf. Das war der erste große Proceß der
Weltgeschichte, der damit endigte, daß der erste Vertreter der abendländischen
Bildung in seiner innern Cultur dem morge"la"dischen Einfluß verfiel. Denn
die aus Alexanders Eroberungen hervorgegangenen Reiche waren wesentlich orien¬
talisch. Genau derselbe Proceß erneuert sich in der römischen Geschichte. Das
Abendland wird dnrch Roms eisernes Joch in einen großen Staat zusammen¬
gefaßt und unterwirft sich den Orient, aber anch dieses Reich verfällt seinein
Schicksal, es unterliegt mit Diocletian und Constantin der orientalischen Cultur.
Dasselbe Schicksal begegnet, freilich aber bereits in sehr vermindertem Maße, den


maßen ein Urtheil sprechen soll, bevor die Acten geschlossen sind. Allein dies
Bedenken dürste nicht stichhaltig sein, denn ein »ollständiger Abschluß der Vor¬
studien findet, wenn man es streng nehmen will, anch in einem eigentlich histo¬
rischen Zeitalter nicht statt, und der Zweck aller historischen Studien kann doch
nnr sein, einen Abschluß »ut damit eine Darstellung allmälig vorzubereiten. Ja
eine solche Darstellung wirkt anch befruchtend ans die historische Forschung selbst
ein, für die es sehr nöthig ist, von Zeit zu Zeit eine allgemeine Uebersicht ihrer
Resultate sich vorzuhalten, damit sie sich nicht ganz in Details verliert. Wenn auch
vielleicht im Laufe der Forschung die Dinge ein anderes Ansehen und eine andere
Gestalt annehmen, so ist doch jeder Versuch, das Bild zu anticipiren, ein berech¬
tigtes und nothwendiges Moment in der historische» Literatur, wenn man nnr ge¬
wissenhaft zu Werke geht, d. h. wenn man nichts Anderes erzählt, als was
man wirklich weiß. Und diesen Ruhm der Gewissenhaftigkeit kann das vorliegende
Werk in hohem Grade in Anspruch nehmen.

Freilich hätten wir uns die Darstellung des vorhistorischen Zeitalters auch
noch in einer andern Form denken können. Man erlaube uns zunächst eine De¬
finition dieses Ausdrucks. DaS historische Zeitalter fängt für uns da an, wo die
in ununterbrochenem Verlauf fortgehende. Dialektik der Weltgeschichte beginnt,
d. h. wo zwei große historische Gegensätze der Cultur aufeinanderstoßen und da¬
durch, daß sie von dem Gegensatz eine handgreifliche Anschauung gewinnen, sich
auch ihrer selbst bewußt werde»; oder mit andern Worten, die Geschichte beginnt
da, wo die Geschichtschreibung beginnt. Dieser Zeitpunkt der Krisis ist der Krieg
zwischen den Griechen und Persern. Mit ihm beginnt jener große Gegensatz'
zwischen Abendland n»d Morgenland, welcher der Hebel der gesammte» Geschichte
geworden ist; was vorher geschehen war, hatte nur dazu gedient, die in anar¬
chischer Verwirrung durcheiuandergeworfeneu Cnlturformen in einen großen Gegen¬
satz zusammenzudrängen. Das persische Reich hatte die verschiedenen Momente
des'Orients durch fortgesetzte Eroberungen in sich zusammengefaßt, es hatte sie
einem allgemeinen Staatsmechanismus nnterworfe» und begegnete n»u in dem
Vertreter des Abendlandes, in Griechenland, einer höheren Culturform, die es
zwar auf das furchtbarste bedrohte, die ihm aber stegreichen Widerstand entgegen¬
setzte und es sich endlich unterwarf. Das war der erste große Proceß der
Weltgeschichte, der damit endigte, daß der erste Vertreter der abendländischen
Bildung in seiner innern Cultur dem morge»la»dischen Einfluß verfiel. Denn
die aus Alexanders Eroberungen hervorgegangenen Reiche waren wesentlich orien¬
talisch. Genau derselbe Proceß erneuert sich in der römischen Geschichte. Das
Abendland wird dnrch Roms eisernes Joch in einen großen Staat zusammen¬
gefaßt und unterwirft sich den Orient, aber anch dieses Reich verfällt seinein
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Dasselbe Schicksal begegnet, freilich aber bereits in sehr vermindertem Maße, den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/180>, abgerufen am 22.07.2024.