Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.mußten wählen, sie mußten also überlegen und konnten unmöglich dem dichterischen Das ist ein Schicksal, welches wir ganz in der Ordnung fänden, wenn wir Wir gehen auf die Dichtungsart über, die hier in Frage steht. Das ro¬ Grenzboten, l. 2
mußten wählen, sie mußten also überlegen und konnten unmöglich dem dichterischen Das ist ein Schicksal, welches wir ganz in der Ordnung fänden, wenn wir Wir gehen auf die Dichtungsart über, die hier in Frage steht. Das ro¬ Grenzboten, l. 2
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0017" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97263"/> <p xml:id="ID_22" prev="#ID_21"> mußten wählen, sie mußten also überlegen und konnten unmöglich dem dichterischen<lb/> Jnstinct folgen. Fast konnten wir behaupten, daß' ihre dichterische Wirksamkeit<lb/> zum großem Theil eine Kette von bedeutenden, aber uur halb gelungenen Ex¬<lb/> perimenten gewesen ist, und daß die Anstrengung ihres Geistes, die zu solchen<lb/> Resultaten führte, für uns eine ebenso wichtige Errungenschaft sein muß, als ihre<lb/> Werke selbst. Sie haben uns gelehrt, die Kunst in eben dem Sinn als eine<lb/> Kunst zu hegen, wie es in der bildenden Kunst und in der Musik geschieht.<lb/> Unsre jüngere Generation findet dieses künstlerische Studium unbequem, ja wol<lb/> unwürdig des Genius, und die einfache Folge davon ist, daß eine Improvisation<lb/> nach- der andern auftritt, ein Jahr lang, weil sie den Modeton anschlägt, große<lb/> Triumphe erlebt und dann in den Papierkorb geworfen wird, um nie wieder<lb/> angesehen zu werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_23"> Das ist ein Schicksal, welches wir ganz in der Ordnung fänden, wenn wir<lb/> es mit der bloßen Talentlosigkeit zu thun hätten. Allein wir erfreuen uns, in<lb/> der That einiger gar nicht unbedeutenden Talente und es wäre ein wirklicher<lb/> Gewinn für die Literatur, diese aus den richtigen Weg zu weisen. Freilich müßte,<lb/> wenn so etwas als möglich gedacht werden sollte, vorher eine Wiedergeburt in<lb/> dem Geiste unserer Dichter vor sich gehen, sie müßten die unfruchtbare Selbstgefällig¬<lb/> keit, die sich noch aus dem Zeitalter der Romantik herschreibt, die aber gegen<lb/> unsre übrigen Sitten einen sehr wunderlichen Contrast bildet, von sich abwerfen,<lb/> das Interesse an ihrer eignen Person dem Interesse an der Sache opfern,<lb/> und dem Grundsatz, der in allen übrigen Zweigen des Lebens gilt, anch als den<lb/> ihrigen anerkennen, daß man nämlich arbeiten muß, um zu essen. Wir verstehen<lb/> unter dieser Arbeit nicht die Mühe, die Feder in das Tintefaß zu tauchen und<lb/> eine beliebige Masse unschuldigen Papiers damit zu färben, denn in dieser Arbeit<lb/> leisten unsere Dichter das Unerhörte; wir meinen Arbeit ganz in dem Sinn, wie<lb/> der Maler, der Bildhauer, der Architekt, der Musiker erst, die Gesetze seiner<lb/> Kunst gründlich, studiren muß, ehe er sich an freie Schöpfungen wagt. Wohlfeiler<lb/> ist es, in Versen und Prosa zu versichern, mau sei geborner Dichter, und nur<lb/> ein Nicolai könne es bezweifeln: wohlfeiler ist es, aber nicht zweckmäßiger, denn<lb/> der selbstertheilte Ritterschlag ,.vom Geist" gilt nur für eiuen kleinen Kreis, und<lb/> dadurch, daß man seinen Recensenten mit Nicolai vergleicht, wird man noch lange<lb/> kein Goethe.</p><lb/> <p xml:id="ID_24" next="#ID_25"> Wir gehen auf die Dichtungsart über, die hier in Frage steht. Das ro¬<lb/> mantische Epos ist im allgemeinen nichts Anderes, als eine Erzählung in<lb/> Versen. Zu einer kunstmäßigen Form hat es sich erst in unserm Jahrhundert,<lb/> namentlich durch die Engländer entwickelt. Auf deu ersten Anschein gebietet das<lb/> Drama eine strengere künstlerische Form, denn bei der Aufführung, die allein in<lb/> Betracht kommt, wird der Zuhörer gezwungen, streng bei der Sache zu bleiben;</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten, l. 2</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0017]
mußten wählen, sie mußten also überlegen und konnten unmöglich dem dichterischen
Jnstinct folgen. Fast konnten wir behaupten, daß' ihre dichterische Wirksamkeit
zum großem Theil eine Kette von bedeutenden, aber uur halb gelungenen Ex¬
perimenten gewesen ist, und daß die Anstrengung ihres Geistes, die zu solchen
Resultaten führte, für uns eine ebenso wichtige Errungenschaft sein muß, als ihre
Werke selbst. Sie haben uns gelehrt, die Kunst in eben dem Sinn als eine
Kunst zu hegen, wie es in der bildenden Kunst und in der Musik geschieht.
Unsre jüngere Generation findet dieses künstlerische Studium unbequem, ja wol
unwürdig des Genius, und die einfache Folge davon ist, daß eine Improvisation
nach- der andern auftritt, ein Jahr lang, weil sie den Modeton anschlägt, große
Triumphe erlebt und dann in den Papierkorb geworfen wird, um nie wieder
angesehen zu werden.
Das ist ein Schicksal, welches wir ganz in der Ordnung fänden, wenn wir
es mit der bloßen Talentlosigkeit zu thun hätten. Allein wir erfreuen uns, in
der That einiger gar nicht unbedeutenden Talente und es wäre ein wirklicher
Gewinn für die Literatur, diese aus den richtigen Weg zu weisen. Freilich müßte,
wenn so etwas als möglich gedacht werden sollte, vorher eine Wiedergeburt in
dem Geiste unserer Dichter vor sich gehen, sie müßten die unfruchtbare Selbstgefällig¬
keit, die sich noch aus dem Zeitalter der Romantik herschreibt, die aber gegen
unsre übrigen Sitten einen sehr wunderlichen Contrast bildet, von sich abwerfen,
das Interesse an ihrer eignen Person dem Interesse an der Sache opfern,
und dem Grundsatz, der in allen übrigen Zweigen des Lebens gilt, anch als den
ihrigen anerkennen, daß man nämlich arbeiten muß, um zu essen. Wir verstehen
unter dieser Arbeit nicht die Mühe, die Feder in das Tintefaß zu tauchen und
eine beliebige Masse unschuldigen Papiers damit zu färben, denn in dieser Arbeit
leisten unsere Dichter das Unerhörte; wir meinen Arbeit ganz in dem Sinn, wie
der Maler, der Bildhauer, der Architekt, der Musiker erst, die Gesetze seiner
Kunst gründlich, studiren muß, ehe er sich an freie Schöpfungen wagt. Wohlfeiler
ist es, in Versen und Prosa zu versichern, mau sei geborner Dichter, und nur
ein Nicolai könne es bezweifeln: wohlfeiler ist es, aber nicht zweckmäßiger, denn
der selbstertheilte Ritterschlag ,.vom Geist" gilt nur für eiuen kleinen Kreis, und
dadurch, daß man seinen Recensenten mit Nicolai vergleicht, wird man noch lange
kein Goethe.
Wir gehen auf die Dichtungsart über, die hier in Frage steht. Das ro¬
mantische Epos ist im allgemeinen nichts Anderes, als eine Erzählung in
Versen. Zu einer kunstmäßigen Form hat es sich erst in unserm Jahrhundert,
namentlich durch die Engländer entwickelt. Auf deu ersten Anschein gebietet das
Drama eine strengere künstlerische Form, denn bei der Aufführung, die allein in
Betracht kommt, wird der Zuhörer gezwungen, streng bei der Sache zu bleiben;
Grenzboten, l. 2
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