Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.Wochenbericht. Pariser Brief. -- Sie werden sich zu erinnern wissen, daß ich Ihnen schon Wochenbericht. Pariser Brief. — Sie werden sich zu erinnern wissen, daß ich Ihnen schon <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0154" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97400"/> </div> <div n="1"> <head> Wochenbericht.</head><lb/> <div n="2"> <head> Pariser Brief. </head> <p xml:id="ID_393"> — Sie werden sich zu erinnern wissen, daß ich Ihnen schon<lb/> vor vielen Wochen von dem Kriegsplane gesprochen, welchen die Regierung wahrschein¬<lb/> lich cidoptircn werde, salls die orientalische Frage in der diplomatischen Küche nicht<lb/> gar gekocht werden könnte. .Aus den Vorbereitungen, die jetzt gemacht werden, geht<lb/> hervor, daß ich damals gut unterrichtet gewesen. Die Idee von den drei Armeekörpern<lb/> an der italienischen, deutschen und belgischen Grenze ist vom Kaiser wirklich gut ge¬<lb/> heißen worden. Daß man darum hier noch nicht daraus verzichtet, der Nation Sand<lb/> in die Augen zu streuen, dies beweist die heutige Note im Moniteur, die nur meldet,<lb/> daß die Psorte allen Vorschlägen der Wiener Conferenz beigetreten sei. Die heutige<lb/> Börse und überhaupt der trostlose Zustand der Handelsverhältnisse im ganzen Lande<lb/> thun ihrerseits dar, wie wenig man auf die Mittheilungen der Regierung gibt. Nun<lb/> ist in Frankreich alles überzeugt, es werde, ohne allgemeinen Krieg nicht ablaufen.<lb/> Der Zar hat das Ziel seiner Absichten bekannt und die zuwartende Stellung Frank¬<lb/> reichs und Englands ließe sich nur damit entschuldigen, daß beide nicht genug vorbereitet<lb/> sind und nun Zeit brauchen wie früher der Kaiser von Rußland. Es mögen auch<lb/> noch nicht alle Hoffnungen ausgegeben worden sein, der unangenehmen Nothwendigkeit<lb/> eines' europäischen Conflictes zu entgehen. Die Fricdcnspartci am Hofe schmeichelt<lb/> sich mit dem günstigen Erfolge eines eigenhändigen Schreibens, das der Kaiser von<lb/> Frankreich an den Kaiser von Rußland gerichtet hat. Die weniger Eingeweihten dürs¬<lb/> ten auch wol auf die östreichische Neutralität pochen. Louis Napoleon scheint selbst viel<lb/> daran gelegen, den Glauben an die cmlLiUc! eorcU-Up der vier Großmächte aufrecht zu<lb/> erhalten. Dies geht aus dem Wiederabdrucke der von hier aus an den Moniteur geschick¬<lb/> ten Leitartikel über die orientalische Frage hervor. Dies erhellt auch aus den Gerüchten,<lb/> welche die Ultrabonapartistcn, denen man gewiß nicht alle Verbindungen mit dem Hofe<lb/> absprechen wird, unter die Menge zu bringen suchen. Sie sind es namentlich, welche<lb/> aussprengen, daß der Zar aus Rache gegen die zweideutige Haltung Oestreichs und<lb/> Preußens Polen und Ungarn wiederherstellen wolle. Die Taktik der Regierung ist<lb/> kleinlich aber nicht ohne Schlauheit, sie stellt sich noch düpirter als sie allem Vermuthen<lb/> nach ist, um ihre Saumseligkeit, ihre wirklich räthselhafte Politik in den Augen Europas<lb/> zu beschönigen. Indem man der eigenen Thatlosigkeit nachhängt und vielleicht auch die<lb/> Furcht vor jenem Unbekannten, jenem X, das als Resultat aus einem Kriege hervorgehen<lb/> könnte, bemäntelt, schmeichelt man zugleich den materiellen Leidenschaften, welche im<lb/> Interesse der Religion und der Familie an der Börse ihr Unwesen treiben. Auf die<lb/> Länge kaun diese Heuchelei nicht durchgeführt werden. Der französische Adler wird<lb/> seine Klauen vor-dem russischen einziehen und demüthig sein Haupt neigen müssen oder<lb/> es kommt zum Schlage. Ersteres ist nicht wahrscheinlich, weil die Forderungen des<lb/> Zars so absolut sind, daß den westlichen Mächten keine Möglichkeit zu der tiefen<lb/> Erniedrigung bleibt, welche ihre Regierungen weniger verabscheuen würden als den Krieg.<lb/> Die Entscheidung durch das Schwert ist jetzt der einzige Ausweg geworden. Der<lb/> Charivari bezeichnete die Lage der Dinge ganz treffend, wenn der geistreiche Caricaturcn-<lb/> zeichner desselben Mars darstellt, der durch das viele Hervorziehen und Zurückstecken des<lb/> Schwertes die Scheide so abgenutzt, daß die Klinge zuletzt doch blos liegt.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0154]
Wochenbericht.
Pariser Brief. — Sie werden sich zu erinnern wissen, daß ich Ihnen schon
vor vielen Wochen von dem Kriegsplane gesprochen, welchen die Regierung wahrschein¬
lich cidoptircn werde, salls die orientalische Frage in der diplomatischen Küche nicht
gar gekocht werden könnte. .Aus den Vorbereitungen, die jetzt gemacht werden, geht
hervor, daß ich damals gut unterrichtet gewesen. Die Idee von den drei Armeekörpern
an der italienischen, deutschen und belgischen Grenze ist vom Kaiser wirklich gut ge¬
heißen worden. Daß man darum hier noch nicht daraus verzichtet, der Nation Sand
in die Augen zu streuen, dies beweist die heutige Note im Moniteur, die nur meldet,
daß die Psorte allen Vorschlägen der Wiener Conferenz beigetreten sei. Die heutige
Börse und überhaupt der trostlose Zustand der Handelsverhältnisse im ganzen Lande
thun ihrerseits dar, wie wenig man auf die Mittheilungen der Regierung gibt. Nun
ist in Frankreich alles überzeugt, es werde, ohne allgemeinen Krieg nicht ablaufen.
Der Zar hat das Ziel seiner Absichten bekannt und die zuwartende Stellung Frank¬
reichs und Englands ließe sich nur damit entschuldigen, daß beide nicht genug vorbereitet
sind und nun Zeit brauchen wie früher der Kaiser von Rußland. Es mögen auch
noch nicht alle Hoffnungen ausgegeben worden sein, der unangenehmen Nothwendigkeit
eines' europäischen Conflictes zu entgehen. Die Fricdcnspartci am Hofe schmeichelt
sich mit dem günstigen Erfolge eines eigenhändigen Schreibens, das der Kaiser von
Frankreich an den Kaiser von Rußland gerichtet hat. Die weniger Eingeweihten dürs¬
ten auch wol auf die östreichische Neutralität pochen. Louis Napoleon scheint selbst viel
daran gelegen, den Glauben an die cmlLiUc! eorcU-Up der vier Großmächte aufrecht zu
erhalten. Dies geht aus dem Wiederabdrucke der von hier aus an den Moniteur geschick¬
ten Leitartikel über die orientalische Frage hervor. Dies erhellt auch aus den Gerüchten,
welche die Ultrabonapartistcn, denen man gewiß nicht alle Verbindungen mit dem Hofe
absprechen wird, unter die Menge zu bringen suchen. Sie sind es namentlich, welche
aussprengen, daß der Zar aus Rache gegen die zweideutige Haltung Oestreichs und
Preußens Polen und Ungarn wiederherstellen wolle. Die Taktik der Regierung ist
kleinlich aber nicht ohne Schlauheit, sie stellt sich noch düpirter als sie allem Vermuthen
nach ist, um ihre Saumseligkeit, ihre wirklich räthselhafte Politik in den Augen Europas
zu beschönigen. Indem man der eigenen Thatlosigkeit nachhängt und vielleicht auch die
Furcht vor jenem Unbekannten, jenem X, das als Resultat aus einem Kriege hervorgehen
könnte, bemäntelt, schmeichelt man zugleich den materiellen Leidenschaften, welche im
Interesse der Religion und der Familie an der Börse ihr Unwesen treiben. Auf die
Länge kaun diese Heuchelei nicht durchgeführt werden. Der französische Adler wird
seine Klauen vor-dem russischen einziehen und demüthig sein Haupt neigen müssen oder
es kommt zum Schlage. Ersteres ist nicht wahrscheinlich, weil die Forderungen des
Zars so absolut sind, daß den westlichen Mächten keine Möglichkeit zu der tiefen
Erniedrigung bleibt, welche ihre Regierungen weniger verabscheuen würden als den Krieg.
Die Entscheidung durch das Schwert ist jetzt der einzige Ausweg geworden. Der
Charivari bezeichnete die Lage der Dinge ganz treffend, wenn der geistreiche Caricaturcn-
zeichner desselben Mars darstellt, der durch das viele Hervorziehen und Zurückstecken des
Schwertes die Scheide so abgenutzt, daß die Klinge zuletzt doch blos liegt.
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