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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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die an sich keinen Werth hoben, damit aufzuputzen und das Publicum durch
raffinirten Sinnenkitzel zu verführen, sie für künstlerisch bedeutend zu halten, so
ist er nicht blos ein Betrüger, der sein Flittergold für echtes anzubringen sucht,
sondern er handelt vom Standpunkte der künstlerischen Sittlichkeit betrachtet nicht
besser, als wer sein Geld in Luxus verthut, anstatt seine Schulden zu bezahlen. Denn die
Mittel, welche er abnutzt, sind nicht sein, sie gehören der Kunst, und auch das
Publicum, dessen Geschmack er verdirbt, ist ihm nicht leibeigen.

Das Princip, jeden Moment aufs schärfste zu bezeichnen und dafür stets alle
denkbaren Mittel aufzubieten, führt auch in der Jnstrumentation nur zu dem Neben¬
einanderstellen einzelner Effecte, von denen einer den andern zu überbieten sucht; dar¬
über aber geht die Haltung des Ganzen, der allgemeine Grund, auf welchem das
Einzelne erst hervortreten kann, verloren. Früher bildeten die Saiteninstrumente,
wesentlich diesen Grund, mehr und mehr haben sich die Blasinstrumente vorge¬
schoben, die bei Wagner sowol in den Holz- als Blechinstrumenten so reich aus¬
gestattet sind -- er gebraucht regelmäßig 3 Flöten, 2 Oboen und.englisch Horn,
Ä Klarinetten und Baßclarinette, 3 Fagotts, serner 3 Trompeten, 4 Hörner, 3
Posaunen und Baßtnba -- und in den verschiedenartigsten Combinationen und
Nuancirnnge" so überwiegend hervortreten, daß sie den Hauptcharakter der in¬
strumentalen Wirkung bestimmen. Um ihnen gegenüber sich geltend zu machen,
werde" nun auch die Saiteninstrumente eigenthümlich behandelt, häufig im Uni¬
sono massenhaft, dann wieder in allen Stimmen vielfach getheilt, um den ganzen
Tonumfang nur mit dem Klang der Saiteninstrumente auszufüllen, oft mit
Dampfern, mit Vorliebe werden die höchsten und die tiefsten Lagen der Geigen
benutzt, kurz das hervorgesucht, was eiuen ungewöhnlichen Charakter hat; einen
längeren Satz, der den eigentlichen naturgemäßen Charakter des Saitenquartetts
repräsentirt, wird man vergeblich im Lohengrin suchen. Alles, was hier ange¬
führt ist, gehört einer Behandlung der Instrumente an, welche möglichst die
Nerven zu reizen sucht und daher ganz vorzugsweise aufzuregen geeignet ist; dazu
wirkt dann auch das Tremolo der Saiteninstrumente, welches so prädominirend
ist, daß, wenn anch die Blasinstrumente in diese zitternde Bewegung verfallen, man
denkt, das ganze Orchester bekomme das "Zelirwirr ti<zahm8. Bei diesen viel¬
fachen Anstrengungen sind manche interessante, auch einige schöne und reizende
Jnstrnmentalcffccte gewonnen, das soll nicht geläugnet werden; allein Einzeln-
heiten der Art können uicht für die Desorganisation des Orchesters entschädigen,
welche, ich wiederhole es, nicht in der Ausdehnung der Mittel an sich beruht,
sondern in der Verschwendung und der unnatürlich gekünstelter Verwendung
derselbe", welche an den Gutschmecker erinnert, der, als ihm eine Aepselpastete
vortrefflich geschmeckt hatte und er auf Befragen erfuhr, daß einige Quitten dazu¬
gethan seien, sich dann eine 'Aepfelpastete von lauter Quitten ausbat.

Einen Beweis hierfür bietet die Jnstrumentaleinleitung zur Oper. Es wurde mit


die an sich keinen Werth hoben, damit aufzuputzen und das Publicum durch
raffinirten Sinnenkitzel zu verführen, sie für künstlerisch bedeutend zu halten, so
ist er nicht blos ein Betrüger, der sein Flittergold für echtes anzubringen sucht,
sondern er handelt vom Standpunkte der künstlerischen Sittlichkeit betrachtet nicht
besser, als wer sein Geld in Luxus verthut, anstatt seine Schulden zu bezahlen. Denn die
Mittel, welche er abnutzt, sind nicht sein, sie gehören der Kunst, und auch das
Publicum, dessen Geschmack er verdirbt, ist ihm nicht leibeigen.

Das Princip, jeden Moment aufs schärfste zu bezeichnen und dafür stets alle
denkbaren Mittel aufzubieten, führt auch in der Jnstrumentation nur zu dem Neben¬
einanderstellen einzelner Effecte, von denen einer den andern zu überbieten sucht; dar¬
über aber geht die Haltung des Ganzen, der allgemeine Grund, auf welchem das
Einzelne erst hervortreten kann, verloren. Früher bildeten die Saiteninstrumente,
wesentlich diesen Grund, mehr und mehr haben sich die Blasinstrumente vorge¬
schoben, die bei Wagner sowol in den Holz- als Blechinstrumenten so reich aus¬
gestattet sind — er gebraucht regelmäßig 3 Flöten, 2 Oboen und.englisch Horn,
Ä Klarinetten und Baßclarinette, 3 Fagotts, serner 3 Trompeten, 4 Hörner, 3
Posaunen und Baßtnba — und in den verschiedenartigsten Combinationen und
Nuancirnnge» so überwiegend hervortreten, daß sie den Hauptcharakter der in¬
strumentalen Wirkung bestimmen. Um ihnen gegenüber sich geltend zu machen,
werde» nun auch die Saiteninstrumente eigenthümlich behandelt, häufig im Uni¬
sono massenhaft, dann wieder in allen Stimmen vielfach getheilt, um den ganzen
Tonumfang nur mit dem Klang der Saiteninstrumente auszufüllen, oft mit
Dampfern, mit Vorliebe werden die höchsten und die tiefsten Lagen der Geigen
benutzt, kurz das hervorgesucht, was eiuen ungewöhnlichen Charakter hat; einen
längeren Satz, der den eigentlichen naturgemäßen Charakter des Saitenquartetts
repräsentirt, wird man vergeblich im Lohengrin suchen. Alles, was hier ange¬
führt ist, gehört einer Behandlung der Instrumente an, welche möglichst die
Nerven zu reizen sucht und daher ganz vorzugsweise aufzuregen geeignet ist; dazu
wirkt dann auch das Tremolo der Saiteninstrumente, welches so prädominirend
ist, daß, wenn anch die Blasinstrumente in diese zitternde Bewegung verfallen, man
denkt, das ganze Orchester bekomme das «Zelirwirr ti<zahm8. Bei diesen viel¬
fachen Anstrengungen sind manche interessante, auch einige schöne und reizende
Jnstrnmentalcffccte gewonnen, das soll nicht geläugnet werden; allein Einzeln-
heiten der Art können uicht für die Desorganisation des Orchesters entschädigen,
welche, ich wiederhole es, nicht in der Ausdehnung der Mittel an sich beruht,
sondern in der Verschwendung und der unnatürlich gekünstelter Verwendung
derselbe», welche an den Gutschmecker erinnert, der, als ihm eine Aepselpastete
vortrefflich geschmeckt hatte und er auf Befragen erfuhr, daß einige Quitten dazu¬
gethan seien, sich dann eine 'Aepfelpastete von lauter Quitten ausbat.

Einen Beweis hierfür bietet die Jnstrumentaleinleitung zur Oper. Es wurde mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/142>, abgerufen am 22.07.2024.