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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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nur ein ebenso äußerlicher Effect durch den' Contrast. Nach der lebhaften ge-
räuschvollen Aufregung, mit der Lohengrin empfangen wird, gibt es für ihn keine
bessere 8orM-r, als einen ganz einfachen Gesang ohne Begleitung. Allein damit ist
es ein eigenes Ding; haben, solche Melodien ohne Begleitung nicht wirklich die
Frische und Kraft eines unwillkürlich aus freier Brust quellenden Gesanges, so
verstimmt die beabsichtigte Einfachheit um so mehr. Die prätentiös aus wenige
Töne beschränkte, in ihren Wendungen einförmige Melodie LohengrinS hat etwas
entschieden Nachtwächterhaftes, das durch die wenigen Accorde einer zwitterhaften
Harmonie nur noch auffallender wird; es sehlt nur, daß er wie in der Sage sein
Horn nimmt und tutet. Anderer Art ist die Scene im zweiten Act, wo die
Thürmer das Morgenlied blasen, das auf. nicht eben geistreiche Art mit Touica
und Dominante wechselt; nachdem das 28 Takte gedauert hat, müssen wir uns
noch 28 Takte lang mit dem gebrochenen v aur-Accord im Orchester unterhalten.
Das ist nicht einfach, sondern langweilig; und wenn es dann mit einem Male aus dem
vollen vciur in das volle Lclur recht eigentlich hineinplumpt, so ist dies Sturzbad
eine schlechte Entschädigung für die lange Dürre. Ein begeisterter Verehrer Wagners
gibt allerdings zu, wenn hier nicht eine brillante Scenerie eine Art von realistischer Illu¬
sion hervorbrächte, die.die Augen des Zuhörers soweit fesselte, daß er auf die Musik
nur halb hören könne, so sei diese Scene ermüdend. Welch eine Vorstellung von
musikalischer Charakteristik, die erst dann ihre Wirkung thut, wenn man ander¬
weitig so beschäftigt ist, daß man nicht genau zuhören kann!

Aber leider steht es so und wir finden wiederum, daß die musikalische Cha¬
rakteristik ihrem größten Theil nach ebenso äußerlich decorativer Natur ist, wie
die poetische, und ganz besonders die instrumentale. Unleugbar ist dies der Theil
der Technik, welchen Wagner mit der größten Virtuosität ausübt, allein diese
wie jede andere Virtuosität erhält ihren Werth erst durch den künstlerischen Geist,
dem sie dient. Wagner hat die Kräfte des Orchesters qualitativ und quantitativ
unglaublich gesteigert und nimmt sie rücksichtslos in Anspruch; wenn er dadurch un¬
gewöhnliche Wirkungen erreicht, so ist das an sich ebensowenig ein unbedingtes
Lob, als eK unbedingt zu tadeln ist, wenn er ungewöhnliche Mittel in Anspruch
nimmt. Wenn man heutzutage den Satz aufstellt, daß das Wesen der Kunst im
Maß beruhe, und daß es die Aufgabe des Künstlers sei, mit möglichst wenig
Mitteln möglichst viel zu leisten, so wird mau schwerlich Gehör finde"; aber
niemand wird doch behaupten, daß Uumäßigkeir das Princip der Kunst sei, und
daß der Künstler mit den größten Mitteln das Geringste zu leisten habe. Daß
ein Verhältniß sein müsse' zwischen den Mitteln und dem Zweck, das gibt hof¬
fentlich jeder zu. Wenn jemand sich in Sammet kleidet, der kein leinenes Hemd,
hat, oder ein Kleid von Sackleinewand mit Brillanten besetzt, so wird man ihn
für einen eitlen Narren erklären, aber niemand wird seinen Geschmack loben.
Wenn aber ein Künstler die Mittel seiner Kunst dazu mißbraucht, triviale Dinge,


nur ein ebenso äußerlicher Effect durch den' Contrast. Nach der lebhaften ge-
räuschvollen Aufregung, mit der Lohengrin empfangen wird, gibt es für ihn keine
bessere 8orM-r, als einen ganz einfachen Gesang ohne Begleitung. Allein damit ist
es ein eigenes Ding; haben, solche Melodien ohne Begleitung nicht wirklich die
Frische und Kraft eines unwillkürlich aus freier Brust quellenden Gesanges, so
verstimmt die beabsichtigte Einfachheit um so mehr. Die prätentiös aus wenige
Töne beschränkte, in ihren Wendungen einförmige Melodie LohengrinS hat etwas
entschieden Nachtwächterhaftes, das durch die wenigen Accorde einer zwitterhaften
Harmonie nur noch auffallender wird; es sehlt nur, daß er wie in der Sage sein
Horn nimmt und tutet. Anderer Art ist die Scene im zweiten Act, wo die
Thürmer das Morgenlied blasen, das auf. nicht eben geistreiche Art mit Touica
und Dominante wechselt; nachdem das 28 Takte gedauert hat, müssen wir uns
noch 28 Takte lang mit dem gebrochenen v aur-Accord im Orchester unterhalten.
Das ist nicht einfach, sondern langweilig; und wenn es dann mit einem Male aus dem
vollen vciur in das volle Lclur recht eigentlich hineinplumpt, so ist dies Sturzbad
eine schlechte Entschädigung für die lange Dürre. Ein begeisterter Verehrer Wagners
gibt allerdings zu, wenn hier nicht eine brillante Scenerie eine Art von realistischer Illu¬
sion hervorbrächte, die.die Augen des Zuhörers soweit fesselte, daß er auf die Musik
nur halb hören könne, so sei diese Scene ermüdend. Welch eine Vorstellung von
musikalischer Charakteristik, die erst dann ihre Wirkung thut, wenn man ander¬
weitig so beschäftigt ist, daß man nicht genau zuhören kann!

Aber leider steht es so und wir finden wiederum, daß die musikalische Cha¬
rakteristik ihrem größten Theil nach ebenso äußerlich decorativer Natur ist, wie
die poetische, und ganz besonders die instrumentale. Unleugbar ist dies der Theil
der Technik, welchen Wagner mit der größten Virtuosität ausübt, allein diese
wie jede andere Virtuosität erhält ihren Werth erst durch den künstlerischen Geist,
dem sie dient. Wagner hat die Kräfte des Orchesters qualitativ und quantitativ
unglaublich gesteigert und nimmt sie rücksichtslos in Anspruch; wenn er dadurch un¬
gewöhnliche Wirkungen erreicht, so ist das an sich ebensowenig ein unbedingtes
Lob, als eK unbedingt zu tadeln ist, wenn er ungewöhnliche Mittel in Anspruch
nimmt. Wenn man heutzutage den Satz aufstellt, daß das Wesen der Kunst im
Maß beruhe, und daß es die Aufgabe des Künstlers sei, mit möglichst wenig
Mitteln möglichst viel zu leisten, so wird mau schwerlich Gehör finde»; aber
niemand wird doch behaupten, daß Uumäßigkeir das Princip der Kunst sei, und
daß der Künstler mit den größten Mitteln das Geringste zu leisten habe. Daß
ein Verhältniß sein müsse' zwischen den Mitteln und dem Zweck, das gibt hof¬
fentlich jeder zu. Wenn jemand sich in Sammet kleidet, der kein leinenes Hemd,
hat, oder ein Kleid von Sackleinewand mit Brillanten besetzt, so wird man ihn
für einen eitlen Narren erklären, aber niemand wird seinen Geschmack loben.
Wenn aber ein Künstler die Mittel seiner Kunst dazu mißbraucht, triviale Dinge,


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[0141] nur ein ebenso äußerlicher Effect durch den' Contrast. Nach der lebhaften ge- räuschvollen Aufregung, mit der Lohengrin empfangen wird, gibt es für ihn keine bessere 8orM-r, als einen ganz einfachen Gesang ohne Begleitung. Allein damit ist es ein eigenes Ding; haben, solche Melodien ohne Begleitung nicht wirklich die Frische und Kraft eines unwillkürlich aus freier Brust quellenden Gesanges, so verstimmt die beabsichtigte Einfachheit um so mehr. Die prätentiös aus wenige Töne beschränkte, in ihren Wendungen einförmige Melodie LohengrinS hat etwas entschieden Nachtwächterhaftes, das durch die wenigen Accorde einer zwitterhaften Harmonie nur noch auffallender wird; es sehlt nur, daß er wie in der Sage sein Horn nimmt und tutet. Anderer Art ist die Scene im zweiten Act, wo die Thürmer das Morgenlied blasen, das auf. nicht eben geistreiche Art mit Touica und Dominante wechselt; nachdem das 28 Takte gedauert hat, müssen wir uns noch 28 Takte lang mit dem gebrochenen v aur-Accord im Orchester unterhalten. Das ist nicht einfach, sondern langweilig; und wenn es dann mit einem Male aus dem vollen vciur in das volle Lclur recht eigentlich hineinplumpt, so ist dies Sturzbad eine schlechte Entschädigung für die lange Dürre. Ein begeisterter Verehrer Wagners gibt allerdings zu, wenn hier nicht eine brillante Scenerie eine Art von realistischer Illu¬ sion hervorbrächte, die.die Augen des Zuhörers soweit fesselte, daß er auf die Musik nur halb hören könne, so sei diese Scene ermüdend. Welch eine Vorstellung von musikalischer Charakteristik, die erst dann ihre Wirkung thut, wenn man ander¬ weitig so beschäftigt ist, daß man nicht genau zuhören kann! Aber leider steht es so und wir finden wiederum, daß die musikalische Cha¬ rakteristik ihrem größten Theil nach ebenso äußerlich decorativer Natur ist, wie die poetische, und ganz besonders die instrumentale. Unleugbar ist dies der Theil der Technik, welchen Wagner mit der größten Virtuosität ausübt, allein diese wie jede andere Virtuosität erhält ihren Werth erst durch den künstlerischen Geist, dem sie dient. Wagner hat die Kräfte des Orchesters qualitativ und quantitativ unglaublich gesteigert und nimmt sie rücksichtslos in Anspruch; wenn er dadurch un¬ gewöhnliche Wirkungen erreicht, so ist das an sich ebensowenig ein unbedingtes Lob, als eK unbedingt zu tadeln ist, wenn er ungewöhnliche Mittel in Anspruch nimmt. Wenn man heutzutage den Satz aufstellt, daß das Wesen der Kunst im Maß beruhe, und daß es die Aufgabe des Künstlers sei, mit möglichst wenig Mitteln möglichst viel zu leisten, so wird mau schwerlich Gehör finde»; aber niemand wird doch behaupten, daß Uumäßigkeir das Princip der Kunst sei, und daß der Künstler mit den größten Mitteln das Geringste zu leisten habe. Daß ein Verhältniß sein müsse' zwischen den Mitteln und dem Zweck, das gibt hof¬ fentlich jeder zu. Wenn jemand sich in Sammet kleidet, der kein leinenes Hemd, hat, oder ein Kleid von Sackleinewand mit Brillanten besetzt, so wird man ihn für einen eitlen Narren erklären, aber niemand wird seinen Geschmack loben. Wenn aber ein Künstler die Mittel seiner Kunst dazu mißbraucht, triviale Dinge,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/141>, abgerufen am 22.07.2024.