Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

betreffen, absehen und auf den Inhalt des Buchs einen Blick werfen. Natürlich
greift jeder Leser zunächst uach dem, womit er sich selber vorzugsweise beschäftigt
hat. So haben wir den eigentlich biographischen Theil des Werkes und die
theologische Polemik nur flüchtig durchgesehen. Wir ehren die biedere tüchtige
Gesinnung, mit der Paulus sein ganzes Lebe" hindurch für das Princip des
Nationalismus, d. h. für die Einheit der Vernunft im Universum gekämpft hat.
Die besondere Anwendung, die er davon auf die Theologie gemacht, ist nicht die
unsrige. Aber auch auf diesem Gebiet finden wir einzelnes, was das größere
Publicum interessiren wird, namentlich den Briefwechsel mit Lavater (I. 266--308),
der auf die Ansichten und den Charakter dieses merkwürdigen Mannes ein neues
Licht wirst.

Uns interessiren zunächst die allgemeinen literarischen Beziehungen. Paulus
lebte in den Jahren -1789--1803, also während der eigentlichen GährnngSperiode
unserer Literatur, in Jena, dem einen der beiden Brennpunkte der damaligen
deutschen Bewegung. Alle Heroen der Literatur standen zu Paulus in einer be¬
deutenden Beziehung, doch ist von der Zeit dieses Aufenthaltes die Ausbeute ge¬
ringer, als wix eigentlich erwartet hatten. Der Verkehr mit Göthe, Schiller,
Herder u. s. w., soweit er uns hier dargestellt wird, geht nicht viel über gemüth¬
liche Beziehungen hinaus. Die Entlassung Fichtes, bei welcher Gelegenheit Pau¬
lus als Rector der Universität zu einem unmittelbaren Eingreifen veranlaßt
wurde, wird uns in einem etwas neuen Lichte dargestellt. Leider hat auch hier
der Herausgeber sehr vieles mit aufgenommen, was bereits aus früheren Druck¬
schriften bekannt war. Soviel scheint ausgemacht zu sein, daß die heftigen An¬
klagen, die Fichte gegen seinen College" erhoben hat, jeder Begründung entbehr¬
ten. Der leidenschaftliche und despotische Mann hat nach seiner Gewohnheit im
Namen anderer herausfordernde Erklärungen gegeben, und es nachher als einen
Verrath angesehen, daß diese ErMruugen nicht realistrt worden. -- Auch der
Aufeuthalt in Würzburg, Bamberg und Nürnberg (1803--11) gewährt nus über
die allgemeine Literatur nicht viel neue Anschauung! --

Viel bedeutender ist der zweite Theil, welcher den Aufenthalt in Heidelberg
umfaßt. Hier bildete sich durch das Zusammenwirken von Daub, Voß, Thibaut,
Kreuzer, Schlosser, Hegel und anderen ein neuer Brennpunkt der Literatur, und
der Verkehr wurde lebendiger und eindringlicher. Auch die alten Verbindungen
wurden immer wieder von neuem angeknüpft, und so haben wir eine ziemlich
weite Perspective in die allgemeine Literatur. Am bedeutendsten war der Verkehr
mit Voß, von dessen Familie wir eine Reihe recht interessanter Mittheilungen er¬
halten, und mit Jean Paul. Am wichtigsten für uns ist der Briefwechsel mit
Aug. Will), von Schlegel, der bekanntlich in seinem 31. Jahre den unglück¬
lichen Versuch machte, Paulus Schwiegersohn zu werden, und von Dorothea Schle¬
gel. Die Briefe dieser geistvollen, aber überspannten Frau umfassen die Zeit ih-


betreffen, absehen und auf den Inhalt des Buchs einen Blick werfen. Natürlich
greift jeder Leser zunächst uach dem, womit er sich selber vorzugsweise beschäftigt
hat. So haben wir den eigentlich biographischen Theil des Werkes und die
theologische Polemik nur flüchtig durchgesehen. Wir ehren die biedere tüchtige
Gesinnung, mit der Paulus sein ganzes Lebe» hindurch für das Princip des
Nationalismus, d. h. für die Einheit der Vernunft im Universum gekämpft hat.
Die besondere Anwendung, die er davon auf die Theologie gemacht, ist nicht die
unsrige. Aber auch auf diesem Gebiet finden wir einzelnes, was das größere
Publicum interessiren wird, namentlich den Briefwechsel mit Lavater (I. 266—308),
der auf die Ansichten und den Charakter dieses merkwürdigen Mannes ein neues
Licht wirst.

Uns interessiren zunächst die allgemeinen literarischen Beziehungen. Paulus
lebte in den Jahren -1789—1803, also während der eigentlichen GährnngSperiode
unserer Literatur, in Jena, dem einen der beiden Brennpunkte der damaligen
deutschen Bewegung. Alle Heroen der Literatur standen zu Paulus in einer be¬
deutenden Beziehung, doch ist von der Zeit dieses Aufenthaltes die Ausbeute ge¬
ringer, als wix eigentlich erwartet hatten. Der Verkehr mit Göthe, Schiller,
Herder u. s. w., soweit er uns hier dargestellt wird, geht nicht viel über gemüth¬
liche Beziehungen hinaus. Die Entlassung Fichtes, bei welcher Gelegenheit Pau¬
lus als Rector der Universität zu einem unmittelbaren Eingreifen veranlaßt
wurde, wird uns in einem etwas neuen Lichte dargestellt. Leider hat auch hier
der Herausgeber sehr vieles mit aufgenommen, was bereits aus früheren Druck¬
schriften bekannt war. Soviel scheint ausgemacht zu sein, daß die heftigen An¬
klagen, die Fichte gegen seinen College» erhoben hat, jeder Begründung entbehr¬
ten. Der leidenschaftliche und despotische Mann hat nach seiner Gewohnheit im
Namen anderer herausfordernde Erklärungen gegeben, und es nachher als einen
Verrath angesehen, daß diese ErMruugen nicht realistrt worden. — Auch der
Aufeuthalt in Würzburg, Bamberg und Nürnberg (1803—11) gewährt nus über
die allgemeine Literatur nicht viel neue Anschauung! —

Viel bedeutender ist der zweite Theil, welcher den Aufenthalt in Heidelberg
umfaßt. Hier bildete sich durch das Zusammenwirken von Daub, Voß, Thibaut,
Kreuzer, Schlosser, Hegel und anderen ein neuer Brennpunkt der Literatur, und
der Verkehr wurde lebendiger und eindringlicher. Auch die alten Verbindungen
wurden immer wieder von neuem angeknüpft, und so haben wir eine ziemlich
weite Perspective in die allgemeine Literatur. Am bedeutendsten war der Verkehr
mit Voß, von dessen Familie wir eine Reihe recht interessanter Mittheilungen er¬
halten, und mit Jean Paul. Am wichtigsten für uns ist der Briefwechsel mit
Aug. Will), von Schlegel, der bekanntlich in seinem 31. Jahre den unglück¬
lichen Versuch machte, Paulus Schwiegersohn zu werden, und von Dorothea Schle¬
gel. Die Briefe dieser geistvollen, aber überspannten Frau umfassen die Zeit ih-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0124" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97370"/>
          <p xml:id="ID_319" prev="#ID_318"> betreffen, absehen und auf den Inhalt des Buchs einen Blick werfen. Natürlich<lb/>
greift jeder Leser zunächst uach dem, womit er sich selber vorzugsweise beschäftigt<lb/>
hat. So haben wir den eigentlich biographischen Theil des Werkes und die<lb/>
theologische Polemik nur flüchtig durchgesehen. Wir ehren die biedere tüchtige<lb/>
Gesinnung, mit der Paulus sein ganzes Lebe» hindurch für das Princip des<lb/>
Nationalismus, d. h. für die Einheit der Vernunft im Universum gekämpft hat.<lb/>
Die besondere Anwendung, die er davon auf die Theologie gemacht, ist nicht die<lb/>
unsrige. Aber auch auf diesem Gebiet finden wir einzelnes, was das größere<lb/>
Publicum interessiren wird, namentlich den Briefwechsel mit Lavater (I. 266&#x2014;308),<lb/>
der auf die Ansichten und den Charakter dieses merkwürdigen Mannes ein neues<lb/>
Licht wirst.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_320"> Uns interessiren zunächst die allgemeinen literarischen Beziehungen. Paulus<lb/>
lebte in den Jahren -1789&#x2014;1803, also während der eigentlichen GährnngSperiode<lb/>
unserer Literatur, in Jena, dem einen der beiden Brennpunkte der damaligen<lb/>
deutschen Bewegung. Alle Heroen der Literatur standen zu Paulus in einer be¬<lb/>
deutenden Beziehung, doch ist von der Zeit dieses Aufenthaltes die Ausbeute ge¬<lb/>
ringer, als wix eigentlich erwartet hatten. Der Verkehr mit Göthe, Schiller,<lb/>
Herder u. s. w., soweit er uns hier dargestellt wird, geht nicht viel über gemüth¬<lb/>
liche Beziehungen hinaus. Die Entlassung Fichtes, bei welcher Gelegenheit Pau¬<lb/>
lus als Rector der Universität zu einem unmittelbaren Eingreifen veranlaßt<lb/>
wurde, wird uns in einem etwas neuen Lichte dargestellt. Leider hat auch hier<lb/>
der Herausgeber sehr vieles mit aufgenommen, was bereits aus früheren Druck¬<lb/>
schriften bekannt war. Soviel scheint ausgemacht zu sein, daß die heftigen An¬<lb/>
klagen, die Fichte gegen seinen College» erhoben hat, jeder Begründung entbehr¬<lb/>
ten. Der leidenschaftliche und despotische Mann hat nach seiner Gewohnheit im<lb/>
Namen anderer herausfordernde Erklärungen gegeben, und es nachher als einen<lb/>
Verrath angesehen, daß diese ErMruugen nicht realistrt worden. &#x2014; Auch der<lb/>
Aufeuthalt in Würzburg, Bamberg und Nürnberg (1803&#x2014;11) gewährt nus über<lb/>
die allgemeine Literatur nicht viel neue Anschauung! &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_321" next="#ID_322"> Viel bedeutender ist der zweite Theil, welcher den Aufenthalt in Heidelberg<lb/>
umfaßt. Hier bildete sich durch das Zusammenwirken von Daub, Voß, Thibaut,<lb/>
Kreuzer, Schlosser, Hegel und anderen ein neuer Brennpunkt der Literatur, und<lb/>
der Verkehr wurde lebendiger und eindringlicher. Auch die alten Verbindungen<lb/>
wurden immer wieder von neuem angeknüpft, und so haben wir eine ziemlich<lb/>
weite Perspective in die allgemeine Literatur. Am bedeutendsten war der Verkehr<lb/>
mit Voß, von dessen Familie wir eine Reihe recht interessanter Mittheilungen er¬<lb/>
halten, und mit Jean Paul. Am wichtigsten für uns ist der Briefwechsel mit<lb/>
Aug. Will), von Schlegel, der bekanntlich in seinem 31. Jahre den unglück¬<lb/>
lichen Versuch machte, Paulus Schwiegersohn zu werden, und von Dorothea Schle¬<lb/>
gel. Die Briefe dieser geistvollen, aber überspannten Frau umfassen die Zeit ih-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0124] betreffen, absehen und auf den Inhalt des Buchs einen Blick werfen. Natürlich greift jeder Leser zunächst uach dem, womit er sich selber vorzugsweise beschäftigt hat. So haben wir den eigentlich biographischen Theil des Werkes und die theologische Polemik nur flüchtig durchgesehen. Wir ehren die biedere tüchtige Gesinnung, mit der Paulus sein ganzes Lebe» hindurch für das Princip des Nationalismus, d. h. für die Einheit der Vernunft im Universum gekämpft hat. Die besondere Anwendung, die er davon auf die Theologie gemacht, ist nicht die unsrige. Aber auch auf diesem Gebiet finden wir einzelnes, was das größere Publicum interessiren wird, namentlich den Briefwechsel mit Lavater (I. 266—308), der auf die Ansichten und den Charakter dieses merkwürdigen Mannes ein neues Licht wirst. Uns interessiren zunächst die allgemeinen literarischen Beziehungen. Paulus lebte in den Jahren -1789—1803, also während der eigentlichen GährnngSperiode unserer Literatur, in Jena, dem einen der beiden Brennpunkte der damaligen deutschen Bewegung. Alle Heroen der Literatur standen zu Paulus in einer be¬ deutenden Beziehung, doch ist von der Zeit dieses Aufenthaltes die Ausbeute ge¬ ringer, als wix eigentlich erwartet hatten. Der Verkehr mit Göthe, Schiller, Herder u. s. w., soweit er uns hier dargestellt wird, geht nicht viel über gemüth¬ liche Beziehungen hinaus. Die Entlassung Fichtes, bei welcher Gelegenheit Pau¬ lus als Rector der Universität zu einem unmittelbaren Eingreifen veranlaßt wurde, wird uns in einem etwas neuen Lichte dargestellt. Leider hat auch hier der Herausgeber sehr vieles mit aufgenommen, was bereits aus früheren Druck¬ schriften bekannt war. Soviel scheint ausgemacht zu sein, daß die heftigen An¬ klagen, die Fichte gegen seinen College» erhoben hat, jeder Begründung entbehr¬ ten. Der leidenschaftliche und despotische Mann hat nach seiner Gewohnheit im Namen anderer herausfordernde Erklärungen gegeben, und es nachher als einen Verrath angesehen, daß diese ErMruugen nicht realistrt worden. — Auch der Aufeuthalt in Würzburg, Bamberg und Nürnberg (1803—11) gewährt nus über die allgemeine Literatur nicht viel neue Anschauung! — Viel bedeutender ist der zweite Theil, welcher den Aufenthalt in Heidelberg umfaßt. Hier bildete sich durch das Zusammenwirken von Daub, Voß, Thibaut, Kreuzer, Schlosser, Hegel und anderen ein neuer Brennpunkt der Literatur, und der Verkehr wurde lebendiger und eindringlicher. Auch die alten Verbindungen wurden immer wieder von neuem angeknüpft, und so haben wir eine ziemlich weite Perspective in die allgemeine Literatur. Am bedeutendsten war der Verkehr mit Voß, von dessen Familie wir eine Reihe recht interessanter Mittheilungen er¬ halten, und mit Jean Paul. Am wichtigsten für uns ist der Briefwechsel mit Aug. Will), von Schlegel, der bekanntlich in seinem 31. Jahre den unglück¬ lichen Versuch machte, Paulus Schwiegersohn zu werden, und von Dorothea Schle¬ gel. Die Briefe dieser geistvollen, aber überspannten Frau umfassen die Zeit ih-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/124
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/124>, abgerufen am 22.07.2024.