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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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ungewöhnlich hohes Alter hinein (17K-I---einen ununterbrochenen thätigen
und geistvollen Antheil an den großen Bestrebungen'unserer Literatur genommen
hat, mit bedeutender Spannung entgegen, und wir sind in Beziehung auf den
Stoff auch keineswegs enttäuscht worden. sowol aus seinem Aufenthalt in Jena,
^ als in Würzburg und Heidelberg finden wir einzelne sehr interessante Aufschlüsse
über dunklere Partien unserer Literatur. Umsomehr müssen wir bedauern, daß
der Nachlaß in so ungeschickte Hände gefallen ist. Der Herausgeber hat einen
reichen und sehr wohlgeordneten Nachlaß gefunden, Tagebücher, Briefe, Acten-
stücke n. tgi., unter den Briefen eine sehr bedeutende Zahl, die von ausgezeich¬
neten Männern herrührten. Es lag also wol nahe, daß er sich bemühte, diesen
Stoff mit einem Male vollständig zu erschöpfen. Statt dessen hat er aber von
den Briefen nur einzelne Fragmente mitgetheilt, die übrigens schon einen sehr
bedeutenden Raum einnehmen und verspricht uns die Herausgabe des Uebrigen
w extenso. Das ist doch in der That mehr, als selbst die Geduld des deutschen
Publicums ertragen kann. Wir haben uns mit den Wirthschaftsangclegenheiten
unserer großen Männer bereits mit einer wahrhaft haarsträubenden Andacht
beschäftigt, aber die Zeit ist jetzt gekommen, wo dieses Interesse sich abstumpfen
wird. Schon in dieser Ausgabe send eine große Reihe von Gratulationsbriefen
und ähnlichen enthalten, die ganz inhaltlos sind und uns nicht die geringste
Ausbente geben. Außerdem hat der Herausgeber sich für verpflichtet gehalten,
seinerseits einen biographischen Commentar hinzuzufügen. Er hat die persönlichen
Angelegenheiten seines Helden in einer ganz unerträglichen Breite und Weit¬
schweifigkeit vorgetragen und außerdem bei jeder literarischen Persönlichkeit, die
er einführt, einen biographischen Commentar hinzugefügt, den man in jeder
Literaturgeschichte finden kann. Der Werth einer solchen Reliquiensammlung beruht
doch lediglich in dem Neuen, was sie uns gibt, und dieser wird dnrch die Hinzu-
-fügung von Trivialitäten auf eine sehr bedenkliche Weise verkümmert. Noch dazu
ist der Herausgeber von einer Naivetät, die wahrhaft erstaunlich ist. Er versichert
uns z. B., daß Wilhelm von Humboldt ein geistreicher Mann war, daß Schlegel
große Anlagen zur Kritik gehabt hat und spricht sich sehr ausführlich über
Goethes dichterische Gaben aus. Am allerschlimmsten sind die Noten, die er
hinzufügt. Bei jedem einzelnen Briefe stellt er in einer Reihe von Anmerkungen
seine eigene Ansicht über den Gegenstand den Ansichten des Briefstellers gegenüber.
Das macht zuweilen einen höchst komischen Eindruck. So sind z. B. in den
Briefen der Frau Schlegel an die Frau Paulus eine Reihe von jenen rhapsodischen
Lobsprüchen ans den Katholicismus enthalten, die wir schon von anderwärts her
kennen. Der Herausgeber kann bei keinem einzigen Punkte unterlassen, in einer
Anmerkung zu erklären, er sei keineswegs dieser Ansicht und die Frau habe
offenbar Unrecht. Und so geht es mehr oder minder bei sämmtlichen Briefen.

Wir wollen nun von diese" Ausstellungen, die lediglich den Herausgeber


ungewöhnlich hohes Alter hinein (17K-I-—einen ununterbrochenen thätigen
und geistvollen Antheil an den großen Bestrebungen'unserer Literatur genommen
hat, mit bedeutender Spannung entgegen, und wir sind in Beziehung auf den
Stoff auch keineswegs enttäuscht worden. sowol aus seinem Aufenthalt in Jena,
^ als in Würzburg und Heidelberg finden wir einzelne sehr interessante Aufschlüsse
über dunklere Partien unserer Literatur. Umsomehr müssen wir bedauern, daß
der Nachlaß in so ungeschickte Hände gefallen ist. Der Herausgeber hat einen
reichen und sehr wohlgeordneten Nachlaß gefunden, Tagebücher, Briefe, Acten-
stücke n. tgi., unter den Briefen eine sehr bedeutende Zahl, die von ausgezeich¬
neten Männern herrührten. Es lag also wol nahe, daß er sich bemühte, diesen
Stoff mit einem Male vollständig zu erschöpfen. Statt dessen hat er aber von
den Briefen nur einzelne Fragmente mitgetheilt, die übrigens schon einen sehr
bedeutenden Raum einnehmen und verspricht uns die Herausgabe des Uebrigen
w extenso. Das ist doch in der That mehr, als selbst die Geduld des deutschen
Publicums ertragen kann. Wir haben uns mit den Wirthschaftsangclegenheiten
unserer großen Männer bereits mit einer wahrhaft haarsträubenden Andacht
beschäftigt, aber die Zeit ist jetzt gekommen, wo dieses Interesse sich abstumpfen
wird. Schon in dieser Ausgabe send eine große Reihe von Gratulationsbriefen
und ähnlichen enthalten, die ganz inhaltlos sind und uns nicht die geringste
Ausbente geben. Außerdem hat der Herausgeber sich für verpflichtet gehalten,
seinerseits einen biographischen Commentar hinzuzufügen. Er hat die persönlichen
Angelegenheiten seines Helden in einer ganz unerträglichen Breite und Weit¬
schweifigkeit vorgetragen und außerdem bei jeder literarischen Persönlichkeit, die
er einführt, einen biographischen Commentar hinzugefügt, den man in jeder
Literaturgeschichte finden kann. Der Werth einer solchen Reliquiensammlung beruht
doch lediglich in dem Neuen, was sie uns gibt, und dieser wird dnrch die Hinzu-
-fügung von Trivialitäten auf eine sehr bedenkliche Weise verkümmert. Noch dazu
ist der Herausgeber von einer Naivetät, die wahrhaft erstaunlich ist. Er versichert
uns z. B., daß Wilhelm von Humboldt ein geistreicher Mann war, daß Schlegel
große Anlagen zur Kritik gehabt hat und spricht sich sehr ausführlich über
Goethes dichterische Gaben aus. Am allerschlimmsten sind die Noten, die er
hinzufügt. Bei jedem einzelnen Briefe stellt er in einer Reihe von Anmerkungen
seine eigene Ansicht über den Gegenstand den Ansichten des Briefstellers gegenüber.
Das macht zuweilen einen höchst komischen Eindruck. So sind z. B. in den
Briefen der Frau Schlegel an die Frau Paulus eine Reihe von jenen rhapsodischen
Lobsprüchen ans den Katholicismus enthalten, die wir schon von anderwärts her
kennen. Der Herausgeber kann bei keinem einzigen Punkte unterlassen, in einer
Anmerkung zu erklären, er sei keineswegs dieser Ansicht und die Frau habe
offenbar Unrecht. Und so geht es mehr oder minder bei sämmtlichen Briefen.

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[0123] ungewöhnlich hohes Alter hinein (17K-I-—einen ununterbrochenen thätigen und geistvollen Antheil an den großen Bestrebungen'unserer Literatur genommen hat, mit bedeutender Spannung entgegen, und wir sind in Beziehung auf den Stoff auch keineswegs enttäuscht worden. sowol aus seinem Aufenthalt in Jena, ^ als in Würzburg und Heidelberg finden wir einzelne sehr interessante Aufschlüsse über dunklere Partien unserer Literatur. Umsomehr müssen wir bedauern, daß der Nachlaß in so ungeschickte Hände gefallen ist. Der Herausgeber hat einen reichen und sehr wohlgeordneten Nachlaß gefunden, Tagebücher, Briefe, Acten- stücke n. tgi., unter den Briefen eine sehr bedeutende Zahl, die von ausgezeich¬ neten Männern herrührten. Es lag also wol nahe, daß er sich bemühte, diesen Stoff mit einem Male vollständig zu erschöpfen. Statt dessen hat er aber von den Briefen nur einzelne Fragmente mitgetheilt, die übrigens schon einen sehr bedeutenden Raum einnehmen und verspricht uns die Herausgabe des Uebrigen w extenso. Das ist doch in der That mehr, als selbst die Geduld des deutschen Publicums ertragen kann. Wir haben uns mit den Wirthschaftsangclegenheiten unserer großen Männer bereits mit einer wahrhaft haarsträubenden Andacht beschäftigt, aber die Zeit ist jetzt gekommen, wo dieses Interesse sich abstumpfen wird. Schon in dieser Ausgabe send eine große Reihe von Gratulationsbriefen und ähnlichen enthalten, die ganz inhaltlos sind und uns nicht die geringste Ausbente geben. Außerdem hat der Herausgeber sich für verpflichtet gehalten, seinerseits einen biographischen Commentar hinzuzufügen. Er hat die persönlichen Angelegenheiten seines Helden in einer ganz unerträglichen Breite und Weit¬ schweifigkeit vorgetragen und außerdem bei jeder literarischen Persönlichkeit, die er einführt, einen biographischen Commentar hinzugefügt, den man in jeder Literaturgeschichte finden kann. Der Werth einer solchen Reliquiensammlung beruht doch lediglich in dem Neuen, was sie uns gibt, und dieser wird dnrch die Hinzu- -fügung von Trivialitäten auf eine sehr bedenkliche Weise verkümmert. Noch dazu ist der Herausgeber von einer Naivetät, die wahrhaft erstaunlich ist. Er versichert uns z. B., daß Wilhelm von Humboldt ein geistreicher Mann war, daß Schlegel große Anlagen zur Kritik gehabt hat und spricht sich sehr ausführlich über Goethes dichterische Gaben aus. Am allerschlimmsten sind die Noten, die er hinzufügt. Bei jedem einzelnen Briefe stellt er in einer Reihe von Anmerkungen seine eigene Ansicht über den Gegenstand den Ansichten des Briefstellers gegenüber. Das macht zuweilen einen höchst komischen Eindruck. So sind z. B. in den Briefen der Frau Schlegel an die Frau Paulus eine Reihe von jenen rhapsodischen Lobsprüchen ans den Katholicismus enthalten, die wir schon von anderwärts her kennen. Der Herausgeber kann bei keinem einzigen Punkte unterlassen, in einer Anmerkung zu erklären, er sei keineswegs dieser Ansicht und die Frau habe offenbar Unrecht. Und so geht es mehr oder minder bei sämmtlichen Briefen. Wir wollen nun von diese« Ausstellungen, die lediglich den Herausgeber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/123>, abgerufen am 22.07.2024.