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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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besaßen im Jahre 18i1 nur eine Karre, <1 Eggen, eine Uhr, 3 Betten, 32
Stühle oder vielmehr Schemel, 20 und einige Harken, 60 und einige Kochtöpfe,
ebenso viele Teller und Tassen, einige Hunderte von hölzernen und eisernen Blech-
löffeln. Zudem war für alle dazugehörigen Kinder nur eine schlechte Schule,
für alle nur ein Priester vorhanden. Derselbe Herr erzählte, dem Schreiber
dieses als einen Beweis dafür, daß man selbst Gabeln und Löffel, beim Essen nicht
entbehrt, sie vielmehr als eine lästige Zugabe betrachtet, wie einst bei einem Diner,
das er einer Anzahl seiner Teuants oder Pächter gab und wobei natürlich die
nöthigen Eßwerkzeuge ausgelegt waren, man ans Rücksichten der Höflichkeit gegen
ihn wohl die Gabeln und Löffel in die Hand nahm, aber doch das Fleisch und
die Gemüse in gewohnter Weise mit Zeigefinger und Daumen zum Munde führte.
Es ist diese natürliche Eßweise so gewöhnlich, daß man selbst in Lord Georges
Hanse dem dort beschäftigten Zimmermann, Steinklopfer und Gärtner, für die stets
einiges von der Tafel abfällt, ihre Kost ohne Messer, Gabel und Löffel vorsetzte.
-- Diese Gleichgiltigkeit gegen Bequemlichkeit und gute Einrichtung ist, wie ge¬
sagt, bis in die besseren Kreise und in allen Dingen wahrzunehmen. In Städten
bis zu 10,000 Einwohnern ist z. B. keine Gemeinde- oder öffentliche Uhr; für alle
fünf Kirchen an einem solchen Orte ist eine Art Schelle, in einer alleinstehenden
thurmähnlichen Mauer aufgehängt, hinreichend, die Zeit zum Beginne des Gottes¬
dienstes anzugeben; statt eines Thores findet man sehr oft nur einen querüber
gelegten Baumstamm; Reisewagen mit Land-Lords haben bei dreien ihrer ur¬
sprünglichen Räder oft ein viertes, das zu einem Ackerwagen gehört hat, so daß
die ganze Maschine ans eine lächerliche Art schief steht und man den Wagen nicht
öffnen kann, bevor das fremde größere Rad abgenommen worden. Gar nicht un¬
gewöhnlich ist es, daß mau in Ermangelung eines Schlosses den Schlag des
Neisewagens für einen Theil der Reise vernagelt und> mit Hammer und Zange
herbeieile, wenn jemand aufsteigen will. Hemmschuhe sind ein Luxus. In
vollem Lause geht es bergab und einem etwa um seineu Hals besorgten Reisenden,
der, über alle die jähen Abstürze hinsausend und die kühnsten und plötzlichsten
Windungen des Weges durchfliegend,' dem Kutscher Vorsicht zuruft, antwortet
dieser ganz gelassen: .Mver koar! 1 alwa^s osoapoä Imppl^l^ Keine Angst!
Ich kam immer glücklich davon!




Paulus und seiue Zeit.

H. E. G. Paulus und seine Zeit, nach dessen literarischem Nachlasse, bisher un-
gedruckten Briefwechsel und mündlichen Mittheilungen dargestellt von Freiherr"
v. Neichlin-Waldegg. 2 Bde. Stuttgart, Verlagsmagaziu. --

Wir sehen dem Nachlasse des würdigen Veteranen, der bis in sein ganz


besaßen im Jahre 18i1 nur eine Karre, <1 Eggen, eine Uhr, 3 Betten, 32
Stühle oder vielmehr Schemel, 20 und einige Harken, 60 und einige Kochtöpfe,
ebenso viele Teller und Tassen, einige Hunderte von hölzernen und eisernen Blech-
löffeln. Zudem war für alle dazugehörigen Kinder nur eine schlechte Schule,
für alle nur ein Priester vorhanden. Derselbe Herr erzählte, dem Schreiber
dieses als einen Beweis dafür, daß man selbst Gabeln und Löffel, beim Essen nicht
entbehrt, sie vielmehr als eine lästige Zugabe betrachtet, wie einst bei einem Diner,
das er einer Anzahl seiner Teuants oder Pächter gab und wobei natürlich die
nöthigen Eßwerkzeuge ausgelegt waren, man ans Rücksichten der Höflichkeit gegen
ihn wohl die Gabeln und Löffel in die Hand nahm, aber doch das Fleisch und
die Gemüse in gewohnter Weise mit Zeigefinger und Daumen zum Munde führte.
Es ist diese natürliche Eßweise so gewöhnlich, daß man selbst in Lord Georges
Hanse dem dort beschäftigten Zimmermann, Steinklopfer und Gärtner, für die stets
einiges von der Tafel abfällt, ihre Kost ohne Messer, Gabel und Löffel vorsetzte.
— Diese Gleichgiltigkeit gegen Bequemlichkeit und gute Einrichtung ist, wie ge¬
sagt, bis in die besseren Kreise und in allen Dingen wahrzunehmen. In Städten
bis zu 10,000 Einwohnern ist z. B. keine Gemeinde- oder öffentliche Uhr; für alle
fünf Kirchen an einem solchen Orte ist eine Art Schelle, in einer alleinstehenden
thurmähnlichen Mauer aufgehängt, hinreichend, die Zeit zum Beginne des Gottes¬
dienstes anzugeben; statt eines Thores findet man sehr oft nur einen querüber
gelegten Baumstamm; Reisewagen mit Land-Lords haben bei dreien ihrer ur¬
sprünglichen Räder oft ein viertes, das zu einem Ackerwagen gehört hat, so daß
die ganze Maschine ans eine lächerliche Art schief steht und man den Wagen nicht
öffnen kann, bevor das fremde größere Rad abgenommen worden. Gar nicht un¬
gewöhnlich ist es, daß mau in Ermangelung eines Schlosses den Schlag des
Neisewagens für einen Theil der Reise vernagelt und> mit Hammer und Zange
herbeieile, wenn jemand aufsteigen will. Hemmschuhe sind ein Luxus. In
vollem Lause geht es bergab und einem etwa um seineu Hals besorgten Reisenden,
der, über alle die jähen Abstürze hinsausend und die kühnsten und plötzlichsten
Windungen des Weges durchfliegend,' dem Kutscher Vorsicht zuruft, antwortet
dieser ganz gelassen: .Mver koar! 1 alwa^s osoapoä Imppl^l^ Keine Angst!
Ich kam immer glücklich davon!




Paulus und seiue Zeit.

H. E. G. Paulus und seine Zeit, nach dessen literarischem Nachlasse, bisher un-
gedruckten Briefwechsel und mündlichen Mittheilungen dargestellt von Freiherr»
v. Neichlin-Waldegg. 2 Bde. Stuttgart, Verlagsmagaziu. —

Wir sehen dem Nachlasse des würdigen Veteranen, der bis in sein ganz


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[0122] besaßen im Jahre 18i1 nur eine Karre, <1 Eggen, eine Uhr, 3 Betten, 32 Stühle oder vielmehr Schemel, 20 und einige Harken, 60 und einige Kochtöpfe, ebenso viele Teller und Tassen, einige Hunderte von hölzernen und eisernen Blech- löffeln. Zudem war für alle dazugehörigen Kinder nur eine schlechte Schule, für alle nur ein Priester vorhanden. Derselbe Herr erzählte, dem Schreiber dieses als einen Beweis dafür, daß man selbst Gabeln und Löffel, beim Essen nicht entbehrt, sie vielmehr als eine lästige Zugabe betrachtet, wie einst bei einem Diner, das er einer Anzahl seiner Teuants oder Pächter gab und wobei natürlich die nöthigen Eßwerkzeuge ausgelegt waren, man ans Rücksichten der Höflichkeit gegen ihn wohl die Gabeln und Löffel in die Hand nahm, aber doch das Fleisch und die Gemüse in gewohnter Weise mit Zeigefinger und Daumen zum Munde führte. Es ist diese natürliche Eßweise so gewöhnlich, daß man selbst in Lord Georges Hanse dem dort beschäftigten Zimmermann, Steinklopfer und Gärtner, für die stets einiges von der Tafel abfällt, ihre Kost ohne Messer, Gabel und Löffel vorsetzte. — Diese Gleichgiltigkeit gegen Bequemlichkeit und gute Einrichtung ist, wie ge¬ sagt, bis in die besseren Kreise und in allen Dingen wahrzunehmen. In Städten bis zu 10,000 Einwohnern ist z. B. keine Gemeinde- oder öffentliche Uhr; für alle fünf Kirchen an einem solchen Orte ist eine Art Schelle, in einer alleinstehenden thurmähnlichen Mauer aufgehängt, hinreichend, die Zeit zum Beginne des Gottes¬ dienstes anzugeben; statt eines Thores findet man sehr oft nur einen querüber gelegten Baumstamm; Reisewagen mit Land-Lords haben bei dreien ihrer ur¬ sprünglichen Räder oft ein viertes, das zu einem Ackerwagen gehört hat, so daß die ganze Maschine ans eine lächerliche Art schief steht und man den Wagen nicht öffnen kann, bevor das fremde größere Rad abgenommen worden. Gar nicht un¬ gewöhnlich ist es, daß mau in Ermangelung eines Schlosses den Schlag des Neisewagens für einen Theil der Reise vernagelt und> mit Hammer und Zange herbeieile, wenn jemand aufsteigen will. Hemmschuhe sind ein Luxus. In vollem Lause geht es bergab und einem etwa um seineu Hals besorgten Reisenden, der, über alle die jähen Abstürze hinsausend und die kühnsten und plötzlichsten Windungen des Weges durchfliegend,' dem Kutscher Vorsicht zuruft, antwortet dieser ganz gelassen: .Mver koar! 1 alwa^s osoapoä Imppl^l^ Keine Angst! Ich kam immer glücklich davon! Paulus und seiue Zeit. H. E. G. Paulus und seine Zeit, nach dessen literarischem Nachlasse, bisher un- gedruckten Briefwechsel und mündlichen Mittheilungen dargestellt von Freiherr» v. Neichlin-Waldegg. 2 Bde. Stuttgart, Verlagsmagaziu. — Wir sehen dem Nachlasse des würdigen Veteranen, der bis in sein ganz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/122>, abgerufen am 22.07.2024.