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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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das elende einzige Pferd veranlaßt, jedesmal beim Ansteigen der Straße abzusteigen
und haben darum oft wenig Gelegenheit, die bezahlte Bequemlichkeit zu genießen. In
der That, in Irland mit der Post reisen heißt eigentlich nur mit der Post spazieren. --

Man kennt dort keine ans Holz gezimmerten Kähne für den eigenen Ge¬
brauch, sondern bedient sich der Corragh, aus Weidenruthen geflochten. Es sind
dies eigentlich nur Korbe von länglichrunder Gestalt, sechs bis acht Fuß lang bei
drei Fuß Breite und zwei Fuß Tiefe. Auswendig sind sie mit Theer wasserdicht
gemacht, inwendig mit einer ungegerbten Ninderhant überkleidet. Zwei Männer,
auf den Knien sitzend, nehmen gewöhnlich darin Platz und der vordere derselben
bewegt das Fahrzeug, indem er mit einem kurzen, aber breiten Unter abwechselnd
nach der einen und anderen Seite hin in das Wasser drückt (wrikt). Jeder in
dieser Art der Schiffahrt Unerfahrene würde zweifellos bei der geringsten Unruhe
der See umschlagen, aber die Leute dort haben eine solche Fertigkeit, das Gleich¬
gewicht zu erhalten, daß sie fast jedem Sturme Trotz bieten und wirklich Stauuen-
erregendes leisten. So bedienen sie sich dieser Korbboote, um Kühe und Pferde
für die Weidezeit uach den benachbarten, d. h. sechs bis zehn irländischen Meilen
entfernten Inseln und im Herbste von dort zurückzuführen. Zu dem Ende wird
der vierbeinige Passagier an Vorder - und Hinterbeinen gefesselt und auf deu
Rücken ins Fahrzeug gelegt, worauf der Bootsmann auf seinem Banche Platz
nimmt und die Fortbewegung lenkt. Lord George Hill, der Besitzer eines Districts
in der Grafschaft Donegal, hat dem Schreiber dieses erzählt, er selbst habe ge¬
sehen, daß ein solcher Corragh, mit Torf vollgeladen, oben darauf noch ein Pferd
trug, und daß die Expedition glücklich gelang. -- In einem andern Falle freilich
erhielt der Schiffer nur durch Geistesgegenwart sein eignes Leben. Ein junger Mensch
hatte die Aufgabe, einen recht wüthenden Stier nach dem Festland" zurückzubringen.
In der genannten Weise eingerichtet, waren Mann und Stier schon ein ansehn¬
liches Stück in See, als der Stier das Band seiner Hinterbeine zerriß und durch
seine Bewegungen das Fahrzeug in die äußerste Gefahr setzte. Was war zu
thun? An ein Wiederfestbinden war nicht zu denken, beide Ufer waren fern.
Der junge Mann sah nur in der Tödtung des Thieres eine leise Möglichkeit der
eignen Rettung. Er zog sein Messer, aber dabei siel ihm ein, daß das Schlacht¬
opfer bei der beabsichtigten Todesart jedenfalls durch seine gewaltsamen Zuckungen
ihn mitverderben würde. Da sagte ihm Instinkt oder Erfahrung, daß der Er¬
stickungstod weniger heftige Bewegungen mit sich führt und er bewerkstelligte ihn,
indem er seinen Hut eine Zeitlang fest über die Nase und das Maul des Thieres
zog. Er kam wohlbehalten mit dem todten Reisegefährten an. ---

Was hier von der kläglichen Ausstattung des Menschenlebens erzählt wurde,
findet in folgenden authentischen Angaben Bestätigung, die wir einem Werkchen
Lord Georges über den Küstenstrich Gwedorc in der Grafschaft Donegal, seiner
jetzigen Besitzung, entlehnen. Neuntausend und einige Hundert Einwohner dort


Grciizbotcn. I. -I8LL. Is

das elende einzige Pferd veranlaßt, jedesmal beim Ansteigen der Straße abzusteigen
und haben darum oft wenig Gelegenheit, die bezahlte Bequemlichkeit zu genießen. In
der That, in Irland mit der Post reisen heißt eigentlich nur mit der Post spazieren. —

Man kennt dort keine ans Holz gezimmerten Kähne für den eigenen Ge¬
brauch, sondern bedient sich der Corragh, aus Weidenruthen geflochten. Es sind
dies eigentlich nur Korbe von länglichrunder Gestalt, sechs bis acht Fuß lang bei
drei Fuß Breite und zwei Fuß Tiefe. Auswendig sind sie mit Theer wasserdicht
gemacht, inwendig mit einer ungegerbten Ninderhant überkleidet. Zwei Männer,
auf den Knien sitzend, nehmen gewöhnlich darin Platz und der vordere derselben
bewegt das Fahrzeug, indem er mit einem kurzen, aber breiten Unter abwechselnd
nach der einen und anderen Seite hin in das Wasser drückt (wrikt). Jeder in
dieser Art der Schiffahrt Unerfahrene würde zweifellos bei der geringsten Unruhe
der See umschlagen, aber die Leute dort haben eine solche Fertigkeit, das Gleich¬
gewicht zu erhalten, daß sie fast jedem Sturme Trotz bieten und wirklich Stauuen-
erregendes leisten. So bedienen sie sich dieser Korbboote, um Kühe und Pferde
für die Weidezeit uach den benachbarten, d. h. sechs bis zehn irländischen Meilen
entfernten Inseln und im Herbste von dort zurückzuführen. Zu dem Ende wird
der vierbeinige Passagier an Vorder - und Hinterbeinen gefesselt und auf deu
Rücken ins Fahrzeug gelegt, worauf der Bootsmann auf seinem Banche Platz
nimmt und die Fortbewegung lenkt. Lord George Hill, der Besitzer eines Districts
in der Grafschaft Donegal, hat dem Schreiber dieses erzählt, er selbst habe ge¬
sehen, daß ein solcher Corragh, mit Torf vollgeladen, oben darauf noch ein Pferd
trug, und daß die Expedition glücklich gelang. — In einem andern Falle freilich
erhielt der Schiffer nur durch Geistesgegenwart sein eignes Leben. Ein junger Mensch
hatte die Aufgabe, einen recht wüthenden Stier nach dem Festland« zurückzubringen.
In der genannten Weise eingerichtet, waren Mann und Stier schon ein ansehn¬
liches Stück in See, als der Stier das Band seiner Hinterbeine zerriß und durch
seine Bewegungen das Fahrzeug in die äußerste Gefahr setzte. Was war zu
thun? An ein Wiederfestbinden war nicht zu denken, beide Ufer waren fern.
Der junge Mann sah nur in der Tödtung des Thieres eine leise Möglichkeit der
eignen Rettung. Er zog sein Messer, aber dabei siel ihm ein, daß das Schlacht¬
opfer bei der beabsichtigten Todesart jedenfalls durch seine gewaltsamen Zuckungen
ihn mitverderben würde. Da sagte ihm Instinkt oder Erfahrung, daß der Er¬
stickungstod weniger heftige Bewegungen mit sich führt und er bewerkstelligte ihn,
indem er seinen Hut eine Zeitlang fest über die Nase und das Maul des Thieres
zog. Er kam wohlbehalten mit dem todten Reisegefährten an. -—

Was hier von der kläglichen Ausstattung des Menschenlebens erzählt wurde,
findet in folgenden authentischen Angaben Bestätigung, die wir einem Werkchen
Lord Georges über den Küstenstrich Gwedorc in der Grafschaft Donegal, seiner
jetzigen Besitzung, entlehnen. Neuntausend und einige Hundert Einwohner dort


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/121>, abgerufen am 22.07.2024.