Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

früheren Glück sehnen und sie verlassen, da sie ihn nicht sesseln könne; sie bekommt
wieder nervöse Zufälle, sie glaubt den Schwan schon zu sehen, der ihn abholt,
da's einzige Mittel, ihr die Ruhe wiederzugeben, sei sein Name -- so thut sie
die unseligen Fragen an ihn. Gegen die Nerven hilft keine Logik, sonst sieht

man allerdings nicht ein, wie sie glauben kann, den Geliebten dadurch an sich
zu fesseln, daß sie seinen Namen und Art weiß. Ueberhaupt wird wol Nie¬
mand das lange vage Hin- und Herreden, das wenig'Zusammenhang hat, sür
eine psychologische Motivirung von Elsas Vergehen ansehen. Ihre sittliche
Würde ist bereits gebrochen und hier zeigt sie nur Neugierde, welche, sie durch
stets neue Vorwände zu beschönigen sucht; das was wahrhafte Geltung hat,
daß die Liebe ihrem Wesen nach unbedingtes Vertrauen fordern muß, macht sie nie
mit sittlicher Energie geltend. Auch Lohengrin weicht nur aus, spielt Versteck
mit ihr und zeigt ebensowenig, daß sein Geheimhalten eine sittliche Berech¬
tigung habe. Daher denn auch der Zuhörer nicht zu der Empfindung einer
wahrhaft tragischen Situation gelangt, sondern höchstens neugierig ist, wie
lange das Spiel dauern mag, dessen Ende er mit Sicherheit vorausweiß.

Wie einfach und menschlich ist dagegen die Sage. Nicht in der Braut¬
nacht, sondern nachdem sie Jahre lang in Treue ihr Gelübde gehalten und
mit Lohengrin in glücklicher Ehe gelebt hat, fällt die hämische Rede der neidi¬
schen Frau Elsa auf die Seele. Dazu muß man sich die Begriffe jener Zeit
von Standesehre vergegenwärtigen, was es sagen wollte, ohne Namen und
Geschlecht, unbekannter Herkunft zu sein, um zu begreifen, wie das Wort an
ihrem Herzen nagt, bis die unglückliche Frage über ihre Lippen kommt, die
dann ihr schönes Glück unwiederbringlich zerstört. Es ist ein Fehltritt, aber ein
menschlich'begreiflicher, den die harte Buße führt. Im Wagnerschen Lohen¬
grin können wir uns Elsas Frage nur durch ihre schwache Constitution einiger¬
maßen begreiflich machen, geschweige daß man von einer tragischen Nothwen¬
digkeit sprechen dürfte. Wenn daher Wagner uns erzählt, daß er "wirklichen,
tiefen, oft in heißen Thränen ihm entströmenden Jammer" gelitten habe, als
er die tragische Nothwendigkeit der Trennung, der Vernichtung der Liebenden
empfunden, so ist das zwar ein schöner Zug seines Charakters, aber für die
dichterische Gestaltung irrelevant.

Kaum hat Elsa die Frage gethan, so stürzt Telramund ins Gemach, man
weiß nicht, ob er Lohengrin tödten oder ihm nur ein Glied abschneiden will.
Elsa steht die Gefahr und reicht Lohengrin schnell sein Schwert, mit welchem er
Friedrich niederstreckt. Die Situation ist der Euryanthe nachgebildet, welche in
dem Augenblick, als Adolar sie tödten will, sich einer Schlange entgegenwirft,
um ihn zu retten. Dort aber ist es der Wendepunkt der Handlung, auf
Euryanthes liebender Hingebung beruht die Lösung des Knotens; was sie hier
soll, sieht man nicht ein. Wenn dadurch klar gemacht werden soll, daß Elsa


früheren Glück sehnen und sie verlassen, da sie ihn nicht sesseln könne; sie bekommt
wieder nervöse Zufälle, sie glaubt den Schwan schon zu sehen, der ihn abholt,
da's einzige Mittel, ihr die Ruhe wiederzugeben, sei sein Name — so thut sie
die unseligen Fragen an ihn. Gegen die Nerven hilft keine Logik, sonst sieht

man allerdings nicht ein, wie sie glauben kann, den Geliebten dadurch an sich
zu fesseln, daß sie seinen Namen und Art weiß. Ueberhaupt wird wol Nie¬
mand das lange vage Hin- und Herreden, das wenig'Zusammenhang hat, sür
eine psychologische Motivirung von Elsas Vergehen ansehen. Ihre sittliche
Würde ist bereits gebrochen und hier zeigt sie nur Neugierde, welche, sie durch
stets neue Vorwände zu beschönigen sucht; das was wahrhafte Geltung hat,
daß die Liebe ihrem Wesen nach unbedingtes Vertrauen fordern muß, macht sie nie
mit sittlicher Energie geltend. Auch Lohengrin weicht nur aus, spielt Versteck
mit ihr und zeigt ebensowenig, daß sein Geheimhalten eine sittliche Berech¬
tigung habe. Daher denn auch der Zuhörer nicht zu der Empfindung einer
wahrhaft tragischen Situation gelangt, sondern höchstens neugierig ist, wie
lange das Spiel dauern mag, dessen Ende er mit Sicherheit vorausweiß.

Wie einfach und menschlich ist dagegen die Sage. Nicht in der Braut¬
nacht, sondern nachdem sie Jahre lang in Treue ihr Gelübde gehalten und
mit Lohengrin in glücklicher Ehe gelebt hat, fällt die hämische Rede der neidi¬
schen Frau Elsa auf die Seele. Dazu muß man sich die Begriffe jener Zeit
von Standesehre vergegenwärtigen, was es sagen wollte, ohne Namen und
Geschlecht, unbekannter Herkunft zu sein, um zu begreifen, wie das Wort an
ihrem Herzen nagt, bis die unglückliche Frage über ihre Lippen kommt, die
dann ihr schönes Glück unwiederbringlich zerstört. Es ist ein Fehltritt, aber ein
menschlich'begreiflicher, den die harte Buße führt. Im Wagnerschen Lohen¬
grin können wir uns Elsas Frage nur durch ihre schwache Constitution einiger¬
maßen begreiflich machen, geschweige daß man von einer tragischen Nothwen¬
digkeit sprechen dürfte. Wenn daher Wagner uns erzählt, daß er „wirklichen,
tiefen, oft in heißen Thränen ihm entströmenden Jammer" gelitten habe, als
er die tragische Nothwendigkeit der Trennung, der Vernichtung der Liebenden
empfunden, so ist das zwar ein schöner Zug seines Charakters, aber für die
dichterische Gestaltung irrelevant.

Kaum hat Elsa die Frage gethan, so stürzt Telramund ins Gemach, man
weiß nicht, ob er Lohengrin tödten oder ihm nur ein Glied abschneiden will.
Elsa steht die Gefahr und reicht Lohengrin schnell sein Schwert, mit welchem er
Friedrich niederstreckt. Die Situation ist der Euryanthe nachgebildet, welche in
dem Augenblick, als Adolar sie tödten will, sich einer Schlange entgegenwirft,
um ihn zu retten. Dort aber ist es der Wendepunkt der Handlung, auf
Euryanthes liebender Hingebung beruht die Lösung des Knotens; was sie hier
soll, sieht man nicht ein. Wenn dadurch klar gemacht werden soll, daß Elsa


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0103" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97349"/>
          <p xml:id="ID_249" prev="#ID_248"> früheren Glück sehnen und sie verlassen, da sie ihn nicht sesseln könne; sie bekommt<lb/>
wieder nervöse Zufälle, sie glaubt den Schwan schon zu sehen, der ihn abholt,<lb/>
da's einzige Mittel, ihr die Ruhe wiederzugeben, sei sein Name &#x2014; so thut sie<lb/>
die unseligen Fragen an ihn. Gegen die Nerven hilft keine Logik, sonst sieht</p><lb/>
          <p xml:id="ID_250"> man allerdings nicht ein, wie sie glauben kann, den Geliebten dadurch an sich<lb/>
zu fesseln, daß sie seinen Namen und Art weiß. Ueberhaupt wird wol Nie¬<lb/>
mand das lange vage Hin- und Herreden, das wenig'Zusammenhang hat, sür<lb/>
eine psychologische Motivirung von Elsas Vergehen ansehen. Ihre sittliche<lb/>
Würde ist bereits gebrochen und hier zeigt sie nur Neugierde, welche, sie durch<lb/>
stets neue Vorwände zu beschönigen sucht; das was wahrhafte Geltung hat,<lb/>
daß die Liebe ihrem Wesen nach unbedingtes Vertrauen fordern muß, macht sie nie<lb/>
mit sittlicher Energie geltend. Auch Lohengrin weicht nur aus, spielt Versteck<lb/>
mit ihr und zeigt ebensowenig, daß sein Geheimhalten eine sittliche Berech¬<lb/>
tigung habe. Daher denn auch der Zuhörer nicht zu der Empfindung einer<lb/>
wahrhaft tragischen Situation gelangt, sondern höchstens neugierig ist, wie<lb/>
lange das Spiel dauern mag, dessen Ende er mit Sicherheit vorausweiß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_251"> Wie einfach und menschlich ist dagegen die Sage. Nicht in der Braut¬<lb/>
nacht, sondern nachdem sie Jahre lang in Treue ihr Gelübde gehalten und<lb/>
mit Lohengrin in glücklicher Ehe gelebt hat, fällt die hämische Rede der neidi¬<lb/>
schen Frau Elsa auf die Seele. Dazu muß man sich die Begriffe jener Zeit<lb/>
von Standesehre vergegenwärtigen, was es sagen wollte, ohne Namen und<lb/>
Geschlecht, unbekannter Herkunft zu sein, um zu begreifen, wie das Wort an<lb/>
ihrem Herzen nagt, bis die unglückliche Frage über ihre Lippen kommt, die<lb/>
dann ihr schönes Glück unwiederbringlich zerstört. Es ist ein Fehltritt, aber ein<lb/>
menschlich'begreiflicher, den die harte Buße führt. Im Wagnerschen Lohen¬<lb/>
grin können wir uns Elsas Frage nur durch ihre schwache Constitution einiger¬<lb/>
maßen begreiflich machen, geschweige daß man von einer tragischen Nothwen¬<lb/>
digkeit sprechen dürfte. Wenn daher Wagner uns erzählt, daß er &#x201E;wirklichen,<lb/>
tiefen, oft in heißen Thränen ihm entströmenden Jammer" gelitten habe, als<lb/>
er die tragische Nothwendigkeit der Trennung, der Vernichtung der Liebenden<lb/>
empfunden, so ist das zwar ein schöner Zug seines Charakters, aber für die<lb/>
dichterische Gestaltung irrelevant.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_252" next="#ID_253"> Kaum hat Elsa die Frage gethan, so stürzt Telramund ins Gemach, man<lb/>
weiß nicht, ob er Lohengrin tödten oder ihm nur ein Glied abschneiden will.<lb/>
Elsa steht die Gefahr und reicht Lohengrin schnell sein Schwert, mit welchem er<lb/>
Friedrich niederstreckt. Die Situation ist der Euryanthe nachgebildet, welche in<lb/>
dem Augenblick, als Adolar sie tödten will, sich einer Schlange entgegenwirft,<lb/>
um ihn zu retten. Dort aber ist es der Wendepunkt der Handlung, auf<lb/>
Euryanthes liebender Hingebung beruht die Lösung des Knotens; was sie hier<lb/>
soll, sieht man nicht ein. Wenn dadurch klar gemacht werden soll, daß Elsa</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0103] früheren Glück sehnen und sie verlassen, da sie ihn nicht sesseln könne; sie bekommt wieder nervöse Zufälle, sie glaubt den Schwan schon zu sehen, der ihn abholt, da's einzige Mittel, ihr die Ruhe wiederzugeben, sei sein Name — so thut sie die unseligen Fragen an ihn. Gegen die Nerven hilft keine Logik, sonst sieht man allerdings nicht ein, wie sie glauben kann, den Geliebten dadurch an sich zu fesseln, daß sie seinen Namen und Art weiß. Ueberhaupt wird wol Nie¬ mand das lange vage Hin- und Herreden, das wenig'Zusammenhang hat, sür eine psychologische Motivirung von Elsas Vergehen ansehen. Ihre sittliche Würde ist bereits gebrochen und hier zeigt sie nur Neugierde, welche, sie durch stets neue Vorwände zu beschönigen sucht; das was wahrhafte Geltung hat, daß die Liebe ihrem Wesen nach unbedingtes Vertrauen fordern muß, macht sie nie mit sittlicher Energie geltend. Auch Lohengrin weicht nur aus, spielt Versteck mit ihr und zeigt ebensowenig, daß sein Geheimhalten eine sittliche Berech¬ tigung habe. Daher denn auch der Zuhörer nicht zu der Empfindung einer wahrhaft tragischen Situation gelangt, sondern höchstens neugierig ist, wie lange das Spiel dauern mag, dessen Ende er mit Sicherheit vorausweiß. Wie einfach und menschlich ist dagegen die Sage. Nicht in der Braut¬ nacht, sondern nachdem sie Jahre lang in Treue ihr Gelübde gehalten und mit Lohengrin in glücklicher Ehe gelebt hat, fällt die hämische Rede der neidi¬ schen Frau Elsa auf die Seele. Dazu muß man sich die Begriffe jener Zeit von Standesehre vergegenwärtigen, was es sagen wollte, ohne Namen und Geschlecht, unbekannter Herkunft zu sein, um zu begreifen, wie das Wort an ihrem Herzen nagt, bis die unglückliche Frage über ihre Lippen kommt, die dann ihr schönes Glück unwiederbringlich zerstört. Es ist ein Fehltritt, aber ein menschlich'begreiflicher, den die harte Buße führt. Im Wagnerschen Lohen¬ grin können wir uns Elsas Frage nur durch ihre schwache Constitution einiger¬ maßen begreiflich machen, geschweige daß man von einer tragischen Nothwen¬ digkeit sprechen dürfte. Wenn daher Wagner uns erzählt, daß er „wirklichen, tiefen, oft in heißen Thränen ihm entströmenden Jammer" gelitten habe, als er die tragische Nothwendigkeit der Trennung, der Vernichtung der Liebenden empfunden, so ist das zwar ein schöner Zug seines Charakters, aber für die dichterische Gestaltung irrelevant. Kaum hat Elsa die Frage gethan, so stürzt Telramund ins Gemach, man weiß nicht, ob er Lohengrin tödten oder ihm nur ein Glied abschneiden will. Elsa steht die Gefahr und reicht Lohengrin schnell sein Schwert, mit welchem er Friedrich niederstreckt. Die Situation ist der Euryanthe nachgebildet, welche in dem Augenblick, als Adolar sie tödten will, sich einer Schlange entgegenwirft, um ihn zu retten. Dort aber ist es der Wendepunkt der Handlung, auf Euryanthes liebender Hingebung beruht die Lösung des Knotens; was sie hier soll, sieht man nicht ein. Wenn dadurch klar gemacht werden soll, daß Elsa

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/103
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/103>, abgerufen am 22.07.2024.