Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Freia nicht zu bemühen, haben doch die Christen ihre eigenen Heren ver
braune.

Nachdem Elsa erschienen ist, sucht Ortrud mit erheuchelter Freundlichkeit
ihr Vertrauen zu gewinnen, und als sie sich dessen sicher glaubt, warnt sie
Elsa, ihrem Glück nicht zu sehr zu trauen, denn ihr Geliebter könne sie, wie er
durch Zauber gekommen sei, ebenso auch verlassen. Das ist denn doch gar zu
plump mit der Thür ins Haus gefallen und macht deshalb auch auf Elsa kei¬
nen Eindruck; aber auch argwöhnisch gegen die Nachgeben" wird sie nicht. Da
sie ohne Falsch wie die Tauben, aber keineswegs klug wie die Schlangen ist,
nimmt sie die Verrätherin selbst mit sich ins Haus.

Nach Sonnenaufgang versammelt sich das Volk, denen der Heerrufer
verkündigt, daß Friedrich Telramund in Bann und Acht erklärt und Lohen-
grin mit Land und Krone von Brabant belehnt sei, und daß dieser auf den
folgenden Tag die Mannen berufe, um sie in den Krieg zu führen. Da dies
Gebot bei einigen Unzufriedenheit erregt, gesellt sich Friedrich zu ihnen, den sie
mit Mühe auf die Seite bringen. Indem naht Elsa mit zahlreichen Frauen,
unter ihnen Ortrud, um in die Kirche zu ziehen. Plötzlich vertritt ihr Ortrud
den Weg, und verlangt den Vortritt vor ihr unter den heftigsten Schmähun¬
gen, da ihr Gemahl, wenn auch verbannt, doch adeliger Herkunft sei, wahrend
Lohengrin fremd, unbekannt und gewiß ein arger Zauberer sei, Vorwürfe, ge¬
gen welche die betroffene Elsa nicht viel auszubringen weiß. An sich macht
diese Zankscene der Frauen einen widerwärtigen Eindruck, und man begreift
nichts wie Elsa aus offener Straße, vor der Kirche, mitten unter ihren ge¬
treuen Brabantern, von der Frau des Geächteten aufs gröblichste insultirt
werden kann, ohne daß auch nur einer Miene macht, sie zu schützen. Zwar
schelten sie alle mit, daß der Lärm immer ärger wird, aber keiner regt eine
Hand und nicht einmal die Marschälle, die wir mit ihren goldnen Stäben
feierlich voranziehen sahen, sind jetzt, wo eS gilt einem Straßenskandal zu
steuern, zur Stelle.

Das Grundmotiv ist allerdings in der Sage gegeben, aber dort ebenso einfach
als wirksam angewendet. Nachdem Lohengrin geraume Zeit verheirathet ge¬
wesen ist, sticht er im Turnier den Herzog von Eleve vom Pferd, worüber
dessen Gemahlin neidisch zu Elsa sagt: "ein kühner Held ist Lohengrin und
Christenglauben mag er haben; Schade, daß Adels halber sein Nuhm gering
ist, da niemand weiß, von wannen er ans Land geschwommen ist." Das
boshafte Wort fällt Elsa in die Seele und verleitet sie endlich zu der verbo¬
tenen Frage. Hier ist Ursache und Wirkung mit seiner Menschenkenntniß in
das rechte Verhältniß gesetzt. Allein daß Ortrud am Hochzeitsmorgen, am
Tage, nachdem Elsa durch Lohengrin gerettet ist, nachdem sie sich durch er¬
heuchelte Freundschaft in ihr Vertrauen zu schmeicheln gesucht hat, sie plötzlich


Freia nicht zu bemühen, haben doch die Christen ihre eigenen Heren ver
braune.

Nachdem Elsa erschienen ist, sucht Ortrud mit erheuchelter Freundlichkeit
ihr Vertrauen zu gewinnen, und als sie sich dessen sicher glaubt, warnt sie
Elsa, ihrem Glück nicht zu sehr zu trauen, denn ihr Geliebter könne sie, wie er
durch Zauber gekommen sei, ebenso auch verlassen. Das ist denn doch gar zu
plump mit der Thür ins Haus gefallen und macht deshalb auch auf Elsa kei¬
nen Eindruck; aber auch argwöhnisch gegen die Nachgeben« wird sie nicht. Da
sie ohne Falsch wie die Tauben, aber keineswegs klug wie die Schlangen ist,
nimmt sie die Verrätherin selbst mit sich ins Haus.

Nach Sonnenaufgang versammelt sich das Volk, denen der Heerrufer
verkündigt, daß Friedrich Telramund in Bann und Acht erklärt und Lohen-
grin mit Land und Krone von Brabant belehnt sei, und daß dieser auf den
folgenden Tag die Mannen berufe, um sie in den Krieg zu führen. Da dies
Gebot bei einigen Unzufriedenheit erregt, gesellt sich Friedrich zu ihnen, den sie
mit Mühe auf die Seite bringen. Indem naht Elsa mit zahlreichen Frauen,
unter ihnen Ortrud, um in die Kirche zu ziehen. Plötzlich vertritt ihr Ortrud
den Weg, und verlangt den Vortritt vor ihr unter den heftigsten Schmähun¬
gen, da ihr Gemahl, wenn auch verbannt, doch adeliger Herkunft sei, wahrend
Lohengrin fremd, unbekannt und gewiß ein arger Zauberer sei, Vorwürfe, ge¬
gen welche die betroffene Elsa nicht viel auszubringen weiß. An sich macht
diese Zankscene der Frauen einen widerwärtigen Eindruck, und man begreift
nichts wie Elsa aus offener Straße, vor der Kirche, mitten unter ihren ge¬
treuen Brabantern, von der Frau des Geächteten aufs gröblichste insultirt
werden kann, ohne daß auch nur einer Miene macht, sie zu schützen. Zwar
schelten sie alle mit, daß der Lärm immer ärger wird, aber keiner regt eine
Hand und nicht einmal die Marschälle, die wir mit ihren goldnen Stäben
feierlich voranziehen sahen, sind jetzt, wo eS gilt einem Straßenskandal zu
steuern, zur Stelle.

Das Grundmotiv ist allerdings in der Sage gegeben, aber dort ebenso einfach
als wirksam angewendet. Nachdem Lohengrin geraume Zeit verheirathet ge¬
wesen ist, sticht er im Turnier den Herzog von Eleve vom Pferd, worüber
dessen Gemahlin neidisch zu Elsa sagt: „ein kühner Held ist Lohengrin und
Christenglauben mag er haben; Schade, daß Adels halber sein Nuhm gering
ist, da niemand weiß, von wannen er ans Land geschwommen ist." Das
boshafte Wort fällt Elsa in die Seele und verleitet sie endlich zu der verbo¬
tenen Frage. Hier ist Ursache und Wirkung mit seiner Menschenkenntniß in
das rechte Verhältniß gesetzt. Allein daß Ortrud am Hochzeitsmorgen, am
Tage, nachdem Elsa durch Lohengrin gerettet ist, nachdem sie sich durch er¬
heuchelte Freundschaft in ihr Vertrauen zu schmeicheln gesucht hat, sie plötzlich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0100" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97346"/>
          <p xml:id="ID_238" prev="#ID_237"> Freia nicht zu bemühen, haben doch die Christen ihre eigenen Heren ver<lb/>
braune.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_239"> Nachdem Elsa erschienen ist, sucht Ortrud mit erheuchelter Freundlichkeit<lb/>
ihr Vertrauen zu gewinnen, und als sie sich dessen sicher glaubt, warnt sie<lb/>
Elsa, ihrem Glück nicht zu sehr zu trauen, denn ihr Geliebter könne sie, wie er<lb/>
durch Zauber gekommen sei, ebenso auch verlassen. Das ist denn doch gar zu<lb/>
plump mit der Thür ins Haus gefallen und macht deshalb auch auf Elsa kei¬<lb/>
nen Eindruck; aber auch argwöhnisch gegen die Nachgeben« wird sie nicht. Da<lb/>
sie ohne Falsch wie die Tauben, aber keineswegs klug wie die Schlangen ist,<lb/>
nimmt sie die Verrätherin selbst mit sich ins Haus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_240"> Nach Sonnenaufgang versammelt sich das Volk, denen der Heerrufer<lb/>
verkündigt, daß Friedrich Telramund in Bann und Acht erklärt und Lohen-<lb/>
grin mit Land und Krone von Brabant belehnt sei, und daß dieser auf den<lb/>
folgenden Tag die Mannen berufe, um sie in den Krieg zu führen. Da dies<lb/>
Gebot bei einigen Unzufriedenheit erregt, gesellt sich Friedrich zu ihnen, den sie<lb/>
mit Mühe auf die Seite bringen. Indem naht Elsa mit zahlreichen Frauen,<lb/>
unter ihnen Ortrud, um in die Kirche zu ziehen. Plötzlich vertritt ihr Ortrud<lb/>
den Weg, und verlangt den Vortritt vor ihr unter den heftigsten Schmähun¬<lb/>
gen, da ihr Gemahl, wenn auch verbannt, doch adeliger Herkunft sei, wahrend<lb/>
Lohengrin fremd, unbekannt und gewiß ein arger Zauberer sei, Vorwürfe, ge¬<lb/>
gen welche die betroffene Elsa nicht viel auszubringen weiß. An sich macht<lb/>
diese Zankscene der Frauen einen widerwärtigen Eindruck, und man begreift<lb/>
nichts wie Elsa aus offener Straße, vor der Kirche, mitten unter ihren ge¬<lb/>
treuen Brabantern, von der Frau des Geächteten aufs gröblichste insultirt<lb/>
werden kann, ohne daß auch nur einer Miene macht, sie zu schützen. Zwar<lb/>
schelten sie alle mit, daß der Lärm immer ärger wird, aber keiner regt eine<lb/>
Hand und nicht einmal die Marschälle, die wir mit ihren goldnen Stäben<lb/>
feierlich voranziehen sahen, sind jetzt, wo eS gilt einem Straßenskandal zu<lb/>
steuern, zur Stelle.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_241" next="#ID_242"> Das Grundmotiv ist allerdings in der Sage gegeben, aber dort ebenso einfach<lb/>
als wirksam angewendet. Nachdem Lohengrin geraume Zeit verheirathet ge¬<lb/>
wesen ist, sticht er im Turnier den Herzog von Eleve vom Pferd, worüber<lb/>
dessen Gemahlin neidisch zu Elsa sagt: &#x201E;ein kühner Held ist Lohengrin und<lb/>
Christenglauben mag er haben; Schade, daß Adels halber sein Nuhm gering<lb/>
ist, da niemand weiß, von wannen er ans Land geschwommen ist." Das<lb/>
boshafte Wort fällt Elsa in die Seele und verleitet sie endlich zu der verbo¬<lb/>
tenen Frage. Hier ist Ursache und Wirkung mit seiner Menschenkenntniß in<lb/>
das rechte Verhältniß gesetzt. Allein daß Ortrud am Hochzeitsmorgen, am<lb/>
Tage, nachdem Elsa durch Lohengrin gerettet ist, nachdem sie sich durch er¬<lb/>
heuchelte Freundschaft in ihr Vertrauen zu schmeicheln gesucht hat, sie plötzlich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0100] Freia nicht zu bemühen, haben doch die Christen ihre eigenen Heren ver braune. Nachdem Elsa erschienen ist, sucht Ortrud mit erheuchelter Freundlichkeit ihr Vertrauen zu gewinnen, und als sie sich dessen sicher glaubt, warnt sie Elsa, ihrem Glück nicht zu sehr zu trauen, denn ihr Geliebter könne sie, wie er durch Zauber gekommen sei, ebenso auch verlassen. Das ist denn doch gar zu plump mit der Thür ins Haus gefallen und macht deshalb auch auf Elsa kei¬ nen Eindruck; aber auch argwöhnisch gegen die Nachgeben« wird sie nicht. Da sie ohne Falsch wie die Tauben, aber keineswegs klug wie die Schlangen ist, nimmt sie die Verrätherin selbst mit sich ins Haus. Nach Sonnenaufgang versammelt sich das Volk, denen der Heerrufer verkündigt, daß Friedrich Telramund in Bann und Acht erklärt und Lohen- grin mit Land und Krone von Brabant belehnt sei, und daß dieser auf den folgenden Tag die Mannen berufe, um sie in den Krieg zu führen. Da dies Gebot bei einigen Unzufriedenheit erregt, gesellt sich Friedrich zu ihnen, den sie mit Mühe auf die Seite bringen. Indem naht Elsa mit zahlreichen Frauen, unter ihnen Ortrud, um in die Kirche zu ziehen. Plötzlich vertritt ihr Ortrud den Weg, und verlangt den Vortritt vor ihr unter den heftigsten Schmähun¬ gen, da ihr Gemahl, wenn auch verbannt, doch adeliger Herkunft sei, wahrend Lohengrin fremd, unbekannt und gewiß ein arger Zauberer sei, Vorwürfe, ge¬ gen welche die betroffene Elsa nicht viel auszubringen weiß. An sich macht diese Zankscene der Frauen einen widerwärtigen Eindruck, und man begreift nichts wie Elsa aus offener Straße, vor der Kirche, mitten unter ihren ge¬ treuen Brabantern, von der Frau des Geächteten aufs gröblichste insultirt werden kann, ohne daß auch nur einer Miene macht, sie zu schützen. Zwar schelten sie alle mit, daß der Lärm immer ärger wird, aber keiner regt eine Hand und nicht einmal die Marschälle, die wir mit ihren goldnen Stäben feierlich voranziehen sahen, sind jetzt, wo eS gilt einem Straßenskandal zu steuern, zur Stelle. Das Grundmotiv ist allerdings in der Sage gegeben, aber dort ebenso einfach als wirksam angewendet. Nachdem Lohengrin geraume Zeit verheirathet ge¬ wesen ist, sticht er im Turnier den Herzog von Eleve vom Pferd, worüber dessen Gemahlin neidisch zu Elsa sagt: „ein kühner Held ist Lohengrin und Christenglauben mag er haben; Schade, daß Adels halber sein Nuhm gering ist, da niemand weiß, von wannen er ans Land geschwommen ist." Das boshafte Wort fällt Elsa in die Seele und verleitet sie endlich zu der verbo¬ tenen Frage. Hier ist Ursache und Wirkung mit seiner Menschenkenntniß in das rechte Verhältniß gesetzt. Allein daß Ortrud am Hochzeitsmorgen, am Tage, nachdem Elsa durch Lohengrin gerettet ist, nachdem sie sich durch er¬ heuchelte Freundschaft in ihr Vertrauen zu schmeicheln gesucht hat, sie plötzlich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/100
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/100>, abgerufen am 22.07.2024.