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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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denselben Hintergedanken seitens der Katholiken, Groningen ist die Universität,
der dortige Professor Hofstede de Groot der beredte Verfechter und die indu¬
striellen wie jungen Städte die Sitze des modernen RemonstrantiSmus, an den
sich alle andern reformirten Sekten und augenblicklich auch der Katholicismus
Politisch anlehnen.

> Dagegen sind Leyden und besonders Utrecht die Universitäten des Contra-
remonstrantismus, Groen van Prinsterer sein politischer Chef, wissenschaftlicher
Vorfechter, und die altholländifchen Städte und die Familien des mittleren
Bürgerstandes seine Sitze. seinen äußersten rechten Flügel bilden aber die
sogenannten Cvkionen, ober nach ihrer eignen Bezeichnung "chnstlich-reformirte
Abgeschiedene", welche von einem Kandidaten der Theologie, Col, ins Leben
gerufen, sechzig Gemeinden bilden, und nach zehnjährigen Kampfe mit den
damals vom remonstrantisch-bureaukratischen Geiste beherrschten Staate eine
völlige Selbstständigkeit errangen, die gegenwärtig von der reaktionären und
Hofpolitik zu politischen Zwecken ausgebeutet wird.

Denn die Politik des Hauses Oranien war von Moritz bis Wilhelm I.
stets für ein enges Bündniß mit den Contraremonstranten. Wilhelm I. regierte
nach dem Codex der liberalen Bureaukratie, Wilhelm III. hat sich wiederum
offen in die Arme des Contraremonstrantismus geworfen, aber die Zahl der
remonstrantischen Prediger ist gegenwärtig so überwiegend, daß eS zu ihrer
Unterdrückung noch viel ärgerer Gewaltmaßregeln bedürfte, als zu Moritzs
Zeiten; freilich ist auch jetzt, wie zu jenen Zeiten, der große Haufen ent¬
schieden contraremonstrantisch, aber nicht etwa in altgewohnten Gehorsam gegen
die Befehle allmächtiger Priester, noch in blindem Glauben an ererbte Satzungen,
sondern mit einer Selbstständigkeit der Forschung und Untersuchung in den ihm
zustehenden Quellen, der Bibel und religiösen Schriften, wie sie ähnlich nur
in Schottland und bei englischen Sekten gefunden wird. Die reformirte
Kirche in den Niederlanden hat den Prediger stets nur als einen Gemeinde¬
genossen betrachtet, der seinen ersten Platz nur den Kenntnissen verdankt, welche
ihm die jedem freistehende Erklärung der heiligen Schrift erleichtern, und des¬
halb in den Kirchenräthen' ein eignes mächtiges Organ zur Wahrung der An¬
sprüche der gleichberechtigten Gemeindegenossen in dogmatischer und kirchen¬
politischer Beziehung erschaffen und bis auf den heutigen Tag in hoher Blüte
erhalten. Die Kirchenräthe sind zwar aus allen Ständen, mit Ausnahme des
Proletariats, gewählte, aber in ihrer Mehrzahl die angesehensten Mitglieder
der Gemeinden, und es macht anfänglich auf den Fremden einen seltsamen
Eindruck, wenn man in der mit Herren wie Damen der ersten Stände voll¬
gefüllten Kirche einen vornehmen Mann als Diacon mit dem Klingelbeutel zur
Sammlung der Armenbeiträge während der Predigt herumgehen oder Hoch¬
gebildete als eifrige Rivale um den Posten eines Kirchenvorstandes sieht.


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denselben Hintergedanken seitens der Katholiken, Groningen ist die Universität,
der dortige Professor Hofstede de Groot der beredte Verfechter und die indu¬
striellen wie jungen Städte die Sitze des modernen RemonstrantiSmus, an den
sich alle andern reformirten Sekten und augenblicklich auch der Katholicismus
Politisch anlehnen.

> Dagegen sind Leyden und besonders Utrecht die Universitäten des Contra-
remonstrantismus, Groen van Prinsterer sein politischer Chef, wissenschaftlicher
Vorfechter, und die altholländifchen Städte und die Familien des mittleren
Bürgerstandes seine Sitze. seinen äußersten rechten Flügel bilden aber die
sogenannten Cvkionen, ober nach ihrer eignen Bezeichnung „chnstlich-reformirte
Abgeschiedene", welche von einem Kandidaten der Theologie, Col, ins Leben
gerufen, sechzig Gemeinden bilden, und nach zehnjährigen Kampfe mit den
damals vom remonstrantisch-bureaukratischen Geiste beherrschten Staate eine
völlige Selbstständigkeit errangen, die gegenwärtig von der reaktionären und
Hofpolitik zu politischen Zwecken ausgebeutet wird.

Denn die Politik des Hauses Oranien war von Moritz bis Wilhelm I.
stets für ein enges Bündniß mit den Contraremonstranten. Wilhelm I. regierte
nach dem Codex der liberalen Bureaukratie, Wilhelm III. hat sich wiederum
offen in die Arme des Contraremonstrantismus geworfen, aber die Zahl der
remonstrantischen Prediger ist gegenwärtig so überwiegend, daß eS zu ihrer
Unterdrückung noch viel ärgerer Gewaltmaßregeln bedürfte, als zu Moritzs
Zeiten; freilich ist auch jetzt, wie zu jenen Zeiten, der große Haufen ent¬
schieden contraremonstrantisch, aber nicht etwa in altgewohnten Gehorsam gegen
die Befehle allmächtiger Priester, noch in blindem Glauben an ererbte Satzungen,
sondern mit einer Selbstständigkeit der Forschung und Untersuchung in den ihm
zustehenden Quellen, der Bibel und religiösen Schriften, wie sie ähnlich nur
in Schottland und bei englischen Sekten gefunden wird. Die reformirte
Kirche in den Niederlanden hat den Prediger stets nur als einen Gemeinde¬
genossen betrachtet, der seinen ersten Platz nur den Kenntnissen verdankt, welche
ihm die jedem freistehende Erklärung der heiligen Schrift erleichtern, und des¬
halb in den Kirchenräthen' ein eignes mächtiges Organ zur Wahrung der An¬
sprüche der gleichberechtigten Gemeindegenossen in dogmatischer und kirchen¬
politischer Beziehung erschaffen und bis auf den heutigen Tag in hoher Blüte
erhalten. Die Kirchenräthe sind zwar aus allen Ständen, mit Ausnahme des
Proletariats, gewählte, aber in ihrer Mehrzahl die angesehensten Mitglieder
der Gemeinden, und es macht anfänglich auf den Fremden einen seltsamen
Eindruck, wenn man in der mit Herren wie Damen der ersten Stände voll¬
gefüllten Kirche einen vornehmen Mann als Diacon mit dem Klingelbeutel zur
Sammlung der Armenbeiträge während der Predigt herumgehen oder Hoch¬
gebildete als eifrige Rivale um den Posten eines Kirchenvorstandes sieht.


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[0091] denselben Hintergedanken seitens der Katholiken, Groningen ist die Universität, der dortige Professor Hofstede de Groot der beredte Verfechter und die indu¬ striellen wie jungen Städte die Sitze des modernen RemonstrantiSmus, an den sich alle andern reformirten Sekten und augenblicklich auch der Katholicismus Politisch anlehnen. > Dagegen sind Leyden und besonders Utrecht die Universitäten des Contra- remonstrantismus, Groen van Prinsterer sein politischer Chef, wissenschaftlicher Vorfechter, und die altholländifchen Städte und die Familien des mittleren Bürgerstandes seine Sitze. seinen äußersten rechten Flügel bilden aber die sogenannten Cvkionen, ober nach ihrer eignen Bezeichnung „chnstlich-reformirte Abgeschiedene", welche von einem Kandidaten der Theologie, Col, ins Leben gerufen, sechzig Gemeinden bilden, und nach zehnjährigen Kampfe mit den damals vom remonstrantisch-bureaukratischen Geiste beherrschten Staate eine völlige Selbstständigkeit errangen, die gegenwärtig von der reaktionären und Hofpolitik zu politischen Zwecken ausgebeutet wird. Denn die Politik des Hauses Oranien war von Moritz bis Wilhelm I. stets für ein enges Bündniß mit den Contraremonstranten. Wilhelm I. regierte nach dem Codex der liberalen Bureaukratie, Wilhelm III. hat sich wiederum offen in die Arme des Contraremonstrantismus geworfen, aber die Zahl der remonstrantischen Prediger ist gegenwärtig so überwiegend, daß eS zu ihrer Unterdrückung noch viel ärgerer Gewaltmaßregeln bedürfte, als zu Moritzs Zeiten; freilich ist auch jetzt, wie zu jenen Zeiten, der große Haufen ent¬ schieden contraremonstrantisch, aber nicht etwa in altgewohnten Gehorsam gegen die Befehle allmächtiger Priester, noch in blindem Glauben an ererbte Satzungen, sondern mit einer Selbstständigkeit der Forschung und Untersuchung in den ihm zustehenden Quellen, der Bibel und religiösen Schriften, wie sie ähnlich nur in Schottland und bei englischen Sekten gefunden wird. Die reformirte Kirche in den Niederlanden hat den Prediger stets nur als einen Gemeinde¬ genossen betrachtet, der seinen ersten Platz nur den Kenntnissen verdankt, welche ihm die jedem freistehende Erklärung der heiligen Schrift erleichtern, und des¬ halb in den Kirchenräthen' ein eignes mächtiges Organ zur Wahrung der An¬ sprüche der gleichberechtigten Gemeindegenossen in dogmatischer und kirchen¬ politischer Beziehung erschaffen und bis auf den heutigen Tag in hoher Blüte erhalten. Die Kirchenräthe sind zwar aus allen Ständen, mit Ausnahme des Proletariats, gewählte, aber in ihrer Mehrzahl die angesehensten Mitglieder der Gemeinden, und es macht anfänglich auf den Fremden einen seltsamen Eindruck, wenn man in der mit Herren wie Damen der ersten Stände voll¬ gefüllten Kirche einen vornehmen Mann als Diacon mit dem Klingelbeutel zur Sammlung der Armenbeiträge während der Predigt herumgehen oder Hoch¬ gebildete als eifrige Rivale um den Posten eines Kirchenvorstandes sieht. 41*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/91>, abgerufen am 22.07.2024.