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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Jene Mischung von französischer Voltairischer Aufklärung und deutscher Ro¬
mantik, die sich bereits in seinen ersten Jugendgedichten zeigt und über die er
selbst ein so klares Bewußtsein hat, ist ihm auch im Alter geblieben. Heute
findet Heine eine poetische Seite dieses oder jenes Gottes heraus, gleichviel ob
er aus Judäa oder aus Griechenland stammt, dann betet er ihn an, oder er
spricht sich gnädig über ihn aus, je nach Gutbefinden. Den andern Tag fallen
ihm die lächerlichen Seiten der gewöhnlichen Vorstellungen ein, dann lästert er
oder leugnet seine Existenz. Heine hat, den Franzosen allerlei schöne Sachen
über die Philosophie erzählt, auch über Kant, Fichte u. s. w., aber von dem
Gott, den diese gelehrt, hat er nie einen Begriff gehabt; denn es war ein
Gott des Gewissens. Heine verstand sehr wohl die Seiten des Göttlichen,
welche die Phantasie oder das Gemüth ausschließt, denn er ist nach beiden
Richtungen hin eine hochbegabte Natur, aber was Gewissen heißt, davon hat.
er nie eine Ahnung gehabt. Darum ist ihm unter allen Religionsformen am
meisten der Protestantismus verhaßt gewesen, obgleich er zufällig in diese Kirche
eingeführt wurde; und er hat bald den heidnischen Göttern, bald den katho¬
lischen Heiligen Altäre aufgerichtet. Die neuerdings hervortretende Vorliebe
für den Katholicismus nimmt uns daher nicht Wunder. Wohlverstanden, für
den Katholicismus aus den Zeiten Leos X. "Auch ich war in meiner Jugend,"
schreibt er in dem gegenwärtigen Bericht, "von der geheimen und unendlichen
Süßigkeit dieser spiritualistischen Poesie berauscht, und das Entzücken des Todes,
das darin waltet, erregte in mir zuweilen einen Freudenschauer. Auch ich be¬
geisterte mich damals für die unbefleckte Königin des Himmels und beschrieb
in koketten Versen die Legenden ihrer grenzenlosen Barmherzigkeit u. s. w."
Seine Bestimmung, setzt er hinzu, wäre eigentlich gewesen, ein galanter Ubbo
zu sein; und wir geben ihm darin vollkommen Recht, und haben auch nichts
dagegen, wenn er mit großem Behagen die komische Situation ausmalt, wie
er als Papst dem vor ihm knienden Gläubigen seinen Segen ertheilt haben
würde. Es hat unter den Päpsten so manchen gegeben, der Heines Geistes¬
verwandter war.

Wenn eS aber in seinem Gemüthe einmal Ernst wurde, was freilich selten
geschah, so war es nicht das griechische Heidenthum, auch nicht der Katholicis¬
mus, der seine Seile ausfüllte, sondern die Reminiscenzen der alten jüdischen
Religion, in der er erzogen war, und dieses einzige positive Gefühl, so sehr er
sich seiner durch Hohn und Spott zu erwehren sucht, ist für uns doch die
menschlich achtungswertheste Seite in seinem Wesen. In den Spielen seiner
Phantasie konnte er sich ganz mit Recht einen Romantiker nennen, der die
Kapuze von sich geworfen (un ron antike äLtroauv), aber im Innersten seines
Wesens ist er nie etwas Andres gewesen als Jude, und das rechnen wir ihm
zur Ehre an.


Jene Mischung von französischer Voltairischer Aufklärung und deutscher Ro¬
mantik, die sich bereits in seinen ersten Jugendgedichten zeigt und über die er
selbst ein so klares Bewußtsein hat, ist ihm auch im Alter geblieben. Heute
findet Heine eine poetische Seite dieses oder jenes Gottes heraus, gleichviel ob
er aus Judäa oder aus Griechenland stammt, dann betet er ihn an, oder er
spricht sich gnädig über ihn aus, je nach Gutbefinden. Den andern Tag fallen
ihm die lächerlichen Seiten der gewöhnlichen Vorstellungen ein, dann lästert er
oder leugnet seine Existenz. Heine hat, den Franzosen allerlei schöne Sachen
über die Philosophie erzählt, auch über Kant, Fichte u. s. w., aber von dem
Gott, den diese gelehrt, hat er nie einen Begriff gehabt; denn es war ein
Gott des Gewissens. Heine verstand sehr wohl die Seiten des Göttlichen,
welche die Phantasie oder das Gemüth ausschließt, denn er ist nach beiden
Richtungen hin eine hochbegabte Natur, aber was Gewissen heißt, davon hat.
er nie eine Ahnung gehabt. Darum ist ihm unter allen Religionsformen am
meisten der Protestantismus verhaßt gewesen, obgleich er zufällig in diese Kirche
eingeführt wurde; und er hat bald den heidnischen Göttern, bald den katho¬
lischen Heiligen Altäre aufgerichtet. Die neuerdings hervortretende Vorliebe
für den Katholicismus nimmt uns daher nicht Wunder. Wohlverstanden, für
den Katholicismus aus den Zeiten Leos X. „Auch ich war in meiner Jugend,"
schreibt er in dem gegenwärtigen Bericht, „von der geheimen und unendlichen
Süßigkeit dieser spiritualistischen Poesie berauscht, und das Entzücken des Todes,
das darin waltet, erregte in mir zuweilen einen Freudenschauer. Auch ich be¬
geisterte mich damals für die unbefleckte Königin des Himmels und beschrieb
in koketten Versen die Legenden ihrer grenzenlosen Barmherzigkeit u. s. w."
Seine Bestimmung, setzt er hinzu, wäre eigentlich gewesen, ein galanter Ubbo
zu sein; und wir geben ihm darin vollkommen Recht, und haben auch nichts
dagegen, wenn er mit großem Behagen die komische Situation ausmalt, wie
er als Papst dem vor ihm knienden Gläubigen seinen Segen ertheilt haben
würde. Es hat unter den Päpsten so manchen gegeben, der Heines Geistes¬
verwandter war.

Wenn eS aber in seinem Gemüthe einmal Ernst wurde, was freilich selten
geschah, so war es nicht das griechische Heidenthum, auch nicht der Katholicis¬
mus, der seine Seile ausfüllte, sondern die Reminiscenzen der alten jüdischen
Religion, in der er erzogen war, und dieses einzige positive Gefühl, so sehr er
sich seiner durch Hohn und Spott zu erwehren sucht, ist für uns doch die
menschlich achtungswertheste Seite in seinem Wesen. In den Spielen seiner
Phantasie konnte er sich ganz mit Recht einen Romantiker nennen, der die
Kapuze von sich geworfen (un ron antike äLtroauv), aber im Innersten seines
Wesens ist er nie etwas Andres gewesen als Jude, und das rechnen wir ihm
zur Ehre an.


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[0076] Jene Mischung von französischer Voltairischer Aufklärung und deutscher Ro¬ mantik, die sich bereits in seinen ersten Jugendgedichten zeigt und über die er selbst ein so klares Bewußtsein hat, ist ihm auch im Alter geblieben. Heute findet Heine eine poetische Seite dieses oder jenes Gottes heraus, gleichviel ob er aus Judäa oder aus Griechenland stammt, dann betet er ihn an, oder er spricht sich gnädig über ihn aus, je nach Gutbefinden. Den andern Tag fallen ihm die lächerlichen Seiten der gewöhnlichen Vorstellungen ein, dann lästert er oder leugnet seine Existenz. Heine hat, den Franzosen allerlei schöne Sachen über die Philosophie erzählt, auch über Kant, Fichte u. s. w., aber von dem Gott, den diese gelehrt, hat er nie einen Begriff gehabt; denn es war ein Gott des Gewissens. Heine verstand sehr wohl die Seiten des Göttlichen, welche die Phantasie oder das Gemüth ausschließt, denn er ist nach beiden Richtungen hin eine hochbegabte Natur, aber was Gewissen heißt, davon hat. er nie eine Ahnung gehabt. Darum ist ihm unter allen Religionsformen am meisten der Protestantismus verhaßt gewesen, obgleich er zufällig in diese Kirche eingeführt wurde; und er hat bald den heidnischen Göttern, bald den katho¬ lischen Heiligen Altäre aufgerichtet. Die neuerdings hervortretende Vorliebe für den Katholicismus nimmt uns daher nicht Wunder. Wohlverstanden, für den Katholicismus aus den Zeiten Leos X. „Auch ich war in meiner Jugend," schreibt er in dem gegenwärtigen Bericht, „von der geheimen und unendlichen Süßigkeit dieser spiritualistischen Poesie berauscht, und das Entzücken des Todes, das darin waltet, erregte in mir zuweilen einen Freudenschauer. Auch ich be¬ geisterte mich damals für die unbefleckte Königin des Himmels und beschrieb in koketten Versen die Legenden ihrer grenzenlosen Barmherzigkeit u. s. w." Seine Bestimmung, setzt er hinzu, wäre eigentlich gewesen, ein galanter Ubbo zu sein; und wir geben ihm darin vollkommen Recht, und haben auch nichts dagegen, wenn er mit großem Behagen die komische Situation ausmalt, wie er als Papst dem vor ihm knienden Gläubigen seinen Segen ertheilt haben würde. Es hat unter den Päpsten so manchen gegeben, der Heines Geistes¬ verwandter war. Wenn eS aber in seinem Gemüthe einmal Ernst wurde, was freilich selten geschah, so war es nicht das griechische Heidenthum, auch nicht der Katholicis¬ mus, der seine Seile ausfüllte, sondern die Reminiscenzen der alten jüdischen Religion, in der er erzogen war, und dieses einzige positive Gefühl, so sehr er sich seiner durch Hohn und Spott zu erwehren sucht, ist für uns doch die menschlich achtungswertheste Seite in seinem Wesen. In den Spielen seiner Phantasie konnte er sich ganz mit Recht einen Romantiker nennen, der die Kapuze von sich geworfen (un ron antike äLtroauv), aber im Innersten seines Wesens ist er nie etwas Andres gewesen als Jude, und das rechnen wir ihm zur Ehre an.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/76>, abgerufen am 24.08.2024.