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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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gründlicher Kenner des Dichters, wie Delius, sollte doch wol am ersten den
Beruf fühlen, uns darüber Aufschlüsse zu geben. --

Die Lebensbeschreibung von G. Sand ist am Schluß des zweiten Bänd¬
chens wenigstens bis zu dem Punkt gelangt, wo die Dichterin geboren wird.
Was vorhergeht, ist sehr liebenswürdig erzählt und würde uns auch in hohem
Grade interessiren, denn es behandelt die Geschichte bedeutender Persönlichkeiten,
in der sich zum Theil die Sittengeschichte Frankreichs abspiegelt, aber wir
werden doch ein wenig ungeduldig, da wir grade in diesem Buch etwas Anderes
erwarteten. -- Der Schluß des Bandes ist im Jahre 1848 geschrieben, also
in einer Periode, die für die Entwicklung der Dichterin sehr bedeutend war.
G. Sand oder Aurora Dupin ist am 5. Juli 180L in Paris geboren, ein
Datum, über welches sich viele Zweifel erhoben, welches aber neuerdings durch
Documente festgestellt ist. "Ich hatte," erzählt G. Sand, "eine starke Kon¬
stitution und versprach schön zu werden, habe aber dieses Versprechen nicht
gehalten. Vielleicht war es zum Theil meine Schuld, denn im Alter, wo die
Schönheit sich entwickelt, brachte ich bereits die Nächte mit Lesen und Schreiben
zu. Als Tochter eines schönen Vaters und einer schönen Mutter hätte ich
eigentlich nicht aus der Art schlagen sollen, und meine arme Mutter, welche
die Schönheit über alles schätzte, hat mir darüber auch häufig Vorstellungen
gemacht; aber ich habe mich nie entschließen können, mich um mein Aeußeres
zu bekümmern. Auf Sauberkeit habe ich stets das größte Gewicht gelegt, aber
alles, was an Weichlichkeit grenzte, war mir stets verhaßt. Der Arbeit zu
entsagen, um ein klares Auge zu behalten, nicht in der Sonne herumzulaufen,
wenn die schöne Sonne Gottes uns anzieht,.nicht in ehrlichen Holzschuhen zu
gehen, um sich nicht den Fuß zu verderben, Handschuhe zu tragen, das heißt
auf den freien Gebrauch der Hände zu verzichten, sich nie müde zu machen,
kurz unter einer'Glasglocke zu leben, um zart zu bleiben, das alles habe ich
nicht aushalten können. Das Capitel der Hüte und Handschuhe war die Ver¬
zweiflung meiner Kindheit. Ich war nur einen Augenblick frisch, niemals
schön. Meine Züge waren übrigens leidlich geformt, aber ich dachte nie
daran, ihnen den geringsten Ausdruck zu geben. Schon seit meiner Wiege
hatte ich die Gewohnheit der Träumerei, und das gab mir schon früh ein ein¬
fältiges Aussehen. Ich sage es grade heraus, weil man es mir mein ganzes
Leben hindurch gesagt hat, in der Kindheit, im Kloster und in der Familie,
so daß es also doch wol wahr sein muß. Kurz, mit vollständigen Augen,
Haaren und Zähnen, ohne erhebliche Mißbildung, war ich in meiner Jugend
weder häßlich noch schön: ein großer Vorzug, da aus der Häßlichkeit wie aus
der Schönheit nachtheilige Vorurtheile entspringen. Man erwartet zu viel von
einem glänzenden Aeußern, man mißtraut zu sehr einem abstoßenden Aeußern.
-- So habe ich dem Gebrauche der Biographen in Beziehung aus mein


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gründlicher Kenner des Dichters, wie Delius, sollte doch wol am ersten den
Beruf fühlen, uns darüber Aufschlüsse zu geben. —

Die Lebensbeschreibung von G. Sand ist am Schluß des zweiten Bänd¬
chens wenigstens bis zu dem Punkt gelangt, wo die Dichterin geboren wird.
Was vorhergeht, ist sehr liebenswürdig erzählt und würde uns auch in hohem
Grade interessiren, denn es behandelt die Geschichte bedeutender Persönlichkeiten,
in der sich zum Theil die Sittengeschichte Frankreichs abspiegelt, aber wir
werden doch ein wenig ungeduldig, da wir grade in diesem Buch etwas Anderes
erwarteten. — Der Schluß des Bandes ist im Jahre 1848 geschrieben, also
in einer Periode, die für die Entwicklung der Dichterin sehr bedeutend war.
G. Sand oder Aurora Dupin ist am 5. Juli 180L in Paris geboren, ein
Datum, über welches sich viele Zweifel erhoben, welches aber neuerdings durch
Documente festgestellt ist. „Ich hatte," erzählt G. Sand, „eine starke Kon¬
stitution und versprach schön zu werden, habe aber dieses Versprechen nicht
gehalten. Vielleicht war es zum Theil meine Schuld, denn im Alter, wo die
Schönheit sich entwickelt, brachte ich bereits die Nächte mit Lesen und Schreiben
zu. Als Tochter eines schönen Vaters und einer schönen Mutter hätte ich
eigentlich nicht aus der Art schlagen sollen, und meine arme Mutter, welche
die Schönheit über alles schätzte, hat mir darüber auch häufig Vorstellungen
gemacht; aber ich habe mich nie entschließen können, mich um mein Aeußeres
zu bekümmern. Auf Sauberkeit habe ich stets das größte Gewicht gelegt, aber
alles, was an Weichlichkeit grenzte, war mir stets verhaßt. Der Arbeit zu
entsagen, um ein klares Auge zu behalten, nicht in der Sonne herumzulaufen,
wenn die schöne Sonne Gottes uns anzieht,.nicht in ehrlichen Holzschuhen zu
gehen, um sich nicht den Fuß zu verderben, Handschuhe zu tragen, das heißt
auf den freien Gebrauch der Hände zu verzichten, sich nie müde zu machen,
kurz unter einer'Glasglocke zu leben, um zart zu bleiben, das alles habe ich
nicht aushalten können. Das Capitel der Hüte und Handschuhe war die Ver¬
zweiflung meiner Kindheit. Ich war nur einen Augenblick frisch, niemals
schön. Meine Züge waren übrigens leidlich geformt, aber ich dachte nie
daran, ihnen den geringsten Ausdruck zu geben. Schon seit meiner Wiege
hatte ich die Gewohnheit der Träumerei, und das gab mir schon früh ein ein¬
fältiges Aussehen. Ich sage es grade heraus, weil man es mir mein ganzes
Leben hindurch gesagt hat, in der Kindheit, im Kloster und in der Familie,
so daß es also doch wol wahr sein muß. Kurz, mit vollständigen Augen,
Haaren und Zähnen, ohne erhebliche Mißbildung, war ich in meiner Jugend
weder häßlich noch schön: ein großer Vorzug, da aus der Häßlichkeit wie aus
der Schönheit nachtheilige Vorurtheile entspringen. Man erwartet zu viel von
einem glänzenden Aeußern, man mißtraut zu sehr einem abstoßenden Aeußern.
— So habe ich dem Gebrauche der Biographen in Beziehung aus mein


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[0515] gründlicher Kenner des Dichters, wie Delius, sollte doch wol am ersten den Beruf fühlen, uns darüber Aufschlüsse zu geben. — Die Lebensbeschreibung von G. Sand ist am Schluß des zweiten Bänd¬ chens wenigstens bis zu dem Punkt gelangt, wo die Dichterin geboren wird. Was vorhergeht, ist sehr liebenswürdig erzählt und würde uns auch in hohem Grade interessiren, denn es behandelt die Geschichte bedeutender Persönlichkeiten, in der sich zum Theil die Sittengeschichte Frankreichs abspiegelt, aber wir werden doch ein wenig ungeduldig, da wir grade in diesem Buch etwas Anderes erwarteten. — Der Schluß des Bandes ist im Jahre 1848 geschrieben, also in einer Periode, die für die Entwicklung der Dichterin sehr bedeutend war. G. Sand oder Aurora Dupin ist am 5. Juli 180L in Paris geboren, ein Datum, über welches sich viele Zweifel erhoben, welches aber neuerdings durch Documente festgestellt ist. „Ich hatte," erzählt G. Sand, „eine starke Kon¬ stitution und versprach schön zu werden, habe aber dieses Versprechen nicht gehalten. Vielleicht war es zum Theil meine Schuld, denn im Alter, wo die Schönheit sich entwickelt, brachte ich bereits die Nächte mit Lesen und Schreiben zu. Als Tochter eines schönen Vaters und einer schönen Mutter hätte ich eigentlich nicht aus der Art schlagen sollen, und meine arme Mutter, welche die Schönheit über alles schätzte, hat mir darüber auch häufig Vorstellungen gemacht; aber ich habe mich nie entschließen können, mich um mein Aeußeres zu bekümmern. Auf Sauberkeit habe ich stets das größte Gewicht gelegt, aber alles, was an Weichlichkeit grenzte, war mir stets verhaßt. Der Arbeit zu entsagen, um ein klares Auge zu behalten, nicht in der Sonne herumzulaufen, wenn die schöne Sonne Gottes uns anzieht,.nicht in ehrlichen Holzschuhen zu gehen, um sich nicht den Fuß zu verderben, Handschuhe zu tragen, das heißt auf den freien Gebrauch der Hände zu verzichten, sich nie müde zu machen, kurz unter einer'Glasglocke zu leben, um zart zu bleiben, das alles habe ich nicht aushalten können. Das Capitel der Hüte und Handschuhe war die Ver¬ zweiflung meiner Kindheit. Ich war nur einen Augenblick frisch, niemals schön. Meine Züge waren übrigens leidlich geformt, aber ich dachte nie daran, ihnen den geringsten Ausdruck zu geben. Schon seit meiner Wiege hatte ich die Gewohnheit der Träumerei, und das gab mir schon früh ein ein¬ fältiges Aussehen. Ich sage es grade heraus, weil man es mir mein ganzes Leben hindurch gesagt hat, in der Kindheit, im Kloster und in der Familie, so daß es also doch wol wahr sein muß. Kurz, mit vollständigen Augen, Haaren und Zähnen, ohne erhebliche Mißbildung, war ich in meiner Jugend weder häßlich noch schön: ein großer Vorzug, da aus der Häßlichkeit wie aus der Schönheit nachtheilige Vorurtheile entspringen. Man erwartet zu viel von einem glänzenden Aeußern, man mißtraut zu sehr einem abstoßenden Aeußern. — So habe ich dem Gebrauche der Biographen in Beziehung aus mein «z*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/515>, abgerufen am 22.07.2024.