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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Sprache beibehielten, indem sie also im Stande waren Mes die fremden Vor¬
stellungen vollständig in die Formen ihres Denkens und Empfindens zu über¬
setzen, wurde dieser Bildungsproccß bei ihnen ein organischer und behielt seine-
volksthümliche Basis bei. Ja auch der Protestantismus war in seinen wesentlichen
Grundzügen nichts Anderes, als die Ausmerzung der fremdartigen Elemente,
die in diesem Älldungsproceß nicht in den Organismus des deutschen Volks
übergegangen warm.

Die Germanen dagegen, welche in Frankreich, Italien und Spanien in
die Sprache des besiegten Volks verfielen, konnten, weil sie gegen die fremden
Vorstellungen wehrlos waren, dem mechanischen Bildungsproceß nicht ent¬
gehen; und doch waren sie. als die Inhaber ,der factischen Gewalt zugleich die
Träger der wirklichen Bildung. So entstand nun in der romanischen Sprache
und Literatur jene beständige Symbolik, bei der man nicht unterscheiden konnte,
was Bild und was Gegenbild war: jene bunte und verworrene Vermischung
zweier Weltanschauungen, r?on denen die eine die andere ausschloß und die doch
nebeneinander zu bestehen suchten. Als die Reformation eintrat, war innerhalb
der romanischen Völker die Klust zwischen diesen beiden Weltanschauungen
am weitesten geworden. Aus der einen Seite Arelim, Macchiavelli, Pulci u. s. w.,
auf der andern die Kirche in der ganzen Fülle ihrer himmlischen Ansprüche.
Die Reformation hatte aus die romanischen Völker zunächst den Einfluß, daß
die Kirche sich zusammenraffte und ihren weltlichen heidnischen Gegensatz unter¬
drückte. Die Inquisition, die Jesuiten, die spanischen Dichter, namentlich
Calderon, waren die bestimmtesten Ausdrücke dieses Sieges, und zugleich die
bestimmtesten Ausdrücke der Romantik, die dies Mal mit Bewußtsein das der
Bildung und der Natur feindliche Glaubensmoment vertrat, nicht obgleich,
sondern weil es der weltlichen Bildung feindlich war.

Man steht, daß in dieser poetischen Methode Calderons und der übrigen
etwas Verwandtes mit der Methode ihrer deutschen Epigonen im 19. Jahr¬
hundert lag. Allein der Unterschied springt gleichfalls in die Augen. Cal¬
deron befriedigt in seinen Dichtungen nicht seine subjectiven, ästhetischen Ge¬
lüste, sondern er drückt in ihnen den fertigen Inhalt des Volksbewußtseins aus,
wie er aus den Händen der Inquisition, der Jesuiten hervorgegangen war-
Unsre Romantiker dagegen verherrlichen den Katholicismus, das Ritterthum u.s. w.
nicht als Vertreter ihres Volks, auch nicht als den Ausdruck ihrer eignen
Ueberzeugung (spätere Consequenzen dürfen uns daran nicht irreführen), sondern
weil sie zum Behuf der höheren Poesie dergleichen Fictionen für nöthig hielten.
Diese Stimmung nun ist der Gipfel und zugleich die Widerlegung der Ro¬
mantik; denn über diese Form des Widerspruchs gegen Bildung und Natur kann
die Verkehrtheit des menschlichen Idealismus nicht mehr hinausgehen.

Wir wollen, noch auf einen Umstand aufmerksam machen. Der Spiri-


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Sprache beibehielten, indem sie also im Stande waren Mes die fremden Vor¬
stellungen vollständig in die Formen ihres Denkens und Empfindens zu über¬
setzen, wurde dieser Bildungsproccß bei ihnen ein organischer und behielt seine-
volksthümliche Basis bei. Ja auch der Protestantismus war in seinen wesentlichen
Grundzügen nichts Anderes, als die Ausmerzung der fremdartigen Elemente,
die in diesem Älldungsproceß nicht in den Organismus des deutschen Volks
übergegangen warm.

Die Germanen dagegen, welche in Frankreich, Italien und Spanien in
die Sprache des besiegten Volks verfielen, konnten, weil sie gegen die fremden
Vorstellungen wehrlos waren, dem mechanischen Bildungsproceß nicht ent¬
gehen; und doch waren sie. als die Inhaber ,der factischen Gewalt zugleich die
Träger der wirklichen Bildung. So entstand nun in der romanischen Sprache
und Literatur jene beständige Symbolik, bei der man nicht unterscheiden konnte,
was Bild und was Gegenbild war: jene bunte und verworrene Vermischung
zweier Weltanschauungen, r?on denen die eine die andere ausschloß und die doch
nebeneinander zu bestehen suchten. Als die Reformation eintrat, war innerhalb
der romanischen Völker die Klust zwischen diesen beiden Weltanschauungen
am weitesten geworden. Aus der einen Seite Arelim, Macchiavelli, Pulci u. s. w.,
auf der andern die Kirche in der ganzen Fülle ihrer himmlischen Ansprüche.
Die Reformation hatte aus die romanischen Völker zunächst den Einfluß, daß
die Kirche sich zusammenraffte und ihren weltlichen heidnischen Gegensatz unter¬
drückte. Die Inquisition, die Jesuiten, die spanischen Dichter, namentlich
Calderon, waren die bestimmtesten Ausdrücke dieses Sieges, und zugleich die
bestimmtesten Ausdrücke der Romantik, die dies Mal mit Bewußtsein das der
Bildung und der Natur feindliche Glaubensmoment vertrat, nicht obgleich,
sondern weil es der weltlichen Bildung feindlich war.

Man steht, daß in dieser poetischen Methode Calderons und der übrigen
etwas Verwandtes mit der Methode ihrer deutschen Epigonen im 19. Jahr¬
hundert lag. Allein der Unterschied springt gleichfalls in die Augen. Cal¬
deron befriedigt in seinen Dichtungen nicht seine subjectiven, ästhetischen Ge¬
lüste, sondern er drückt in ihnen den fertigen Inhalt des Volksbewußtseins aus,
wie er aus den Händen der Inquisition, der Jesuiten hervorgegangen war-
Unsre Romantiker dagegen verherrlichen den Katholicismus, das Ritterthum u.s. w.
nicht als Vertreter ihres Volks, auch nicht als den Ausdruck ihrer eignen
Ueberzeugung (spätere Consequenzen dürfen uns daran nicht irreführen), sondern
weil sie zum Behuf der höheren Poesie dergleichen Fictionen für nöthig hielten.
Diese Stimmung nun ist der Gipfel und zugleich die Widerlegung der Ro¬
mantik; denn über diese Form des Widerspruchs gegen Bildung und Natur kann
die Verkehrtheit des menschlichen Idealismus nicht mehr hinausgehen.

Wir wollen, noch auf einen Umstand aufmerksam machen. Der Spiri-


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[0051] Sprache beibehielten, indem sie also im Stande waren Mes die fremden Vor¬ stellungen vollständig in die Formen ihres Denkens und Empfindens zu über¬ setzen, wurde dieser Bildungsproccß bei ihnen ein organischer und behielt seine- volksthümliche Basis bei. Ja auch der Protestantismus war in seinen wesentlichen Grundzügen nichts Anderes, als die Ausmerzung der fremdartigen Elemente, die in diesem Älldungsproceß nicht in den Organismus des deutschen Volks übergegangen warm. Die Germanen dagegen, welche in Frankreich, Italien und Spanien in die Sprache des besiegten Volks verfielen, konnten, weil sie gegen die fremden Vorstellungen wehrlos waren, dem mechanischen Bildungsproceß nicht ent¬ gehen; und doch waren sie. als die Inhaber ,der factischen Gewalt zugleich die Träger der wirklichen Bildung. So entstand nun in der romanischen Sprache und Literatur jene beständige Symbolik, bei der man nicht unterscheiden konnte, was Bild und was Gegenbild war: jene bunte und verworrene Vermischung zweier Weltanschauungen, r?on denen die eine die andere ausschloß und die doch nebeneinander zu bestehen suchten. Als die Reformation eintrat, war innerhalb der romanischen Völker die Klust zwischen diesen beiden Weltanschauungen am weitesten geworden. Aus der einen Seite Arelim, Macchiavelli, Pulci u. s. w., auf der andern die Kirche in der ganzen Fülle ihrer himmlischen Ansprüche. Die Reformation hatte aus die romanischen Völker zunächst den Einfluß, daß die Kirche sich zusammenraffte und ihren weltlichen heidnischen Gegensatz unter¬ drückte. Die Inquisition, die Jesuiten, die spanischen Dichter, namentlich Calderon, waren die bestimmtesten Ausdrücke dieses Sieges, und zugleich die bestimmtesten Ausdrücke der Romantik, die dies Mal mit Bewußtsein das der Bildung und der Natur feindliche Glaubensmoment vertrat, nicht obgleich, sondern weil es der weltlichen Bildung feindlich war. Man steht, daß in dieser poetischen Methode Calderons und der übrigen etwas Verwandtes mit der Methode ihrer deutschen Epigonen im 19. Jahr¬ hundert lag. Allein der Unterschied springt gleichfalls in die Augen. Cal¬ deron befriedigt in seinen Dichtungen nicht seine subjectiven, ästhetischen Ge¬ lüste, sondern er drückt in ihnen den fertigen Inhalt des Volksbewußtseins aus, wie er aus den Händen der Inquisition, der Jesuiten hervorgegangen war- Unsre Romantiker dagegen verherrlichen den Katholicismus, das Ritterthum u.s. w. nicht als Vertreter ihres Volks, auch nicht als den Ausdruck ihrer eignen Ueberzeugung (spätere Consequenzen dürfen uns daran nicht irreführen), sondern weil sie zum Behuf der höheren Poesie dergleichen Fictionen für nöthig hielten. Diese Stimmung nun ist der Gipfel und zugleich die Widerlegung der Ro¬ mantik; denn über diese Form des Widerspruchs gegen Bildung und Natur kann die Verkehrtheit des menschlichen Idealismus nicht mehr hinausgehen. Wir wollen, noch auf einen Umstand aufmerksam machen. Der Spiri- - 6'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/51>, abgerufen am 24.08.2024.