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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Porte de Laeken. und dann rechts ab in die Chaussee dAnvers zieht. Wir
schließen uns ihr an und gelangen so an das Chandeau des Fleurs, dieses
Blumenschloß ohne Blumen, ohne natürliche wenigstens, von dessen Dach bunte
Flaggen und Fahnen von allen Farben in mächtiger Breite herabwehen. Mit
genauer Noth erHaschen wir bei dem großen Andrang an der Kasse des Por¬
tiers eine Karte für 30 Centimen, die uns das Recht auf alle möglichen Ge¬
nüsse des Chateau des Fleurs, und deren sind sehr viele, ertheilt. Was kann
man nicht alles für diese 30 Centimen haben: Gesang, Tanz, Concert, Theater,
Improvisators und noch obendrein ein Glas Färö, dieses säuerliche Brüsseler
Bier, oder ein Gläschen Cognac.

Wir sind indessen glücklich bis in die Mitte des ungeheuren Saales, in
welchem viele Hunderte von niedrigen Stühlen und kleinen Tischen stehen, ge¬
langt und haben noch Zeit, da die Abendunterhaltung erst in einer Viertel¬
stunde beginnt, bei dem sast blendenden Glanz der Gasflammen das Publicum
zu betrachten . . Aus den aristokratischen Kreisen sieht man nun freilich nie¬
mand im Chateau des Fleurs, es müßte denn ein alter Bonvivant sein, der
aus einen Abend den Liebhaber einer Brüsseler Grisette spielen wollte, aber desto
zahlreicher sind die kleinen Geschäftsmänner mit ihren Frauen, Epiciers, junge
Comptoiristen, die Grisetten, unter denen vorzüglich viele Französinnen, die^
jüngeren Künstler und Beamten -und -- die flamländischen Kindermuhmen mit
den Kindern ihrer Herrschaft vertreten.

Einem Deutschen erscheint es auffallend, Kinder an einem Vergnügunsort'e
zu finden, wo Wort und Geberden nicht immer nach den Grundsätzen der An¬
ständigkeit und Moral -- nach deutschen Begriffen --- geregelt werden, aber
hier ist es ganz in der Ordnung, daß Vater und Mutter ihre vier-, fünf- und
siebenjährigen Sprößlinge mit an derartige Orte nehmen. Die Abendunterhal¬
tung nimmt jetzt bald ihren Anfang, denn die Ausrufer, welche draußen auf
den Boulevards mit den Programmen der Wunderdinge im Chateau des Fleurs
umherliefen und durch ihr Geschrei die Ohren der Spaziergänger marterten,
stürzen in den Saal und rufen, in den Zwischenräumen auf- und abrennend,
aus vollem Hals: "Meine Damen und Herren, das Programm der großen
Soiree für 3 Centimen". Es klingelt -- und in demselben Moment springt
ein elegant gekleideter Herr hinter dem Vorhang der' sich im Hintergrund er¬
hebenden Bühne hervor und verkündet mit einer Stentorstimme und einem
großen Aufwand von Pathos, daß der Augenblick des Beginnens dieser
"Soiree ertraordinaire" gekommen. Auf dieses Wort verstummt das Schwirren
und Summen'im Saal, die Musik fällt ein, und nachdem die Gardine sich
gehoben, tritt "Mademoiselle Mathilde", eine Größe vom Pariser Vaudeville,
wie der Zettel prahlend verkündet, in eleganter Toilette auf und singt einige
jener leichten französischen Lieder, die das Publicum weniger durch die Melo-


Porte de Laeken. und dann rechts ab in die Chaussee dAnvers zieht. Wir
schließen uns ihr an und gelangen so an das Chandeau des Fleurs, dieses
Blumenschloß ohne Blumen, ohne natürliche wenigstens, von dessen Dach bunte
Flaggen und Fahnen von allen Farben in mächtiger Breite herabwehen. Mit
genauer Noth erHaschen wir bei dem großen Andrang an der Kasse des Por¬
tiers eine Karte für 30 Centimen, die uns das Recht auf alle möglichen Ge¬
nüsse des Chateau des Fleurs, und deren sind sehr viele, ertheilt. Was kann
man nicht alles für diese 30 Centimen haben: Gesang, Tanz, Concert, Theater,
Improvisators und noch obendrein ein Glas Färö, dieses säuerliche Brüsseler
Bier, oder ein Gläschen Cognac.

Wir sind indessen glücklich bis in die Mitte des ungeheuren Saales, in
welchem viele Hunderte von niedrigen Stühlen und kleinen Tischen stehen, ge¬
langt und haben noch Zeit, da die Abendunterhaltung erst in einer Viertel¬
stunde beginnt, bei dem sast blendenden Glanz der Gasflammen das Publicum
zu betrachten . . Aus den aristokratischen Kreisen sieht man nun freilich nie¬
mand im Chateau des Fleurs, es müßte denn ein alter Bonvivant sein, der
aus einen Abend den Liebhaber einer Brüsseler Grisette spielen wollte, aber desto
zahlreicher sind die kleinen Geschäftsmänner mit ihren Frauen, Epiciers, junge
Comptoiristen, die Grisetten, unter denen vorzüglich viele Französinnen, die^
jüngeren Künstler und Beamten -und — die flamländischen Kindermuhmen mit
den Kindern ihrer Herrschaft vertreten.

Einem Deutschen erscheint es auffallend, Kinder an einem Vergnügunsort'e
zu finden, wo Wort und Geberden nicht immer nach den Grundsätzen der An¬
ständigkeit und Moral — nach deutschen Begriffen —- geregelt werden, aber
hier ist es ganz in der Ordnung, daß Vater und Mutter ihre vier-, fünf- und
siebenjährigen Sprößlinge mit an derartige Orte nehmen. Die Abendunterhal¬
tung nimmt jetzt bald ihren Anfang, denn die Ausrufer, welche draußen auf
den Boulevards mit den Programmen der Wunderdinge im Chateau des Fleurs
umherliefen und durch ihr Geschrei die Ohren der Spaziergänger marterten,
stürzen in den Saal und rufen, in den Zwischenräumen auf- und abrennend,
aus vollem Hals: „Meine Damen und Herren, das Programm der großen
Soiree für 3 Centimen". Es klingelt — und in demselben Moment springt
ein elegant gekleideter Herr hinter dem Vorhang der' sich im Hintergrund er¬
hebenden Bühne hervor und verkündet mit einer Stentorstimme und einem
großen Aufwand von Pathos, daß der Augenblick des Beginnens dieser
„Soiree ertraordinaire" gekommen. Auf dieses Wort verstummt das Schwirren
und Summen'im Saal, die Musik fällt ein, und nachdem die Gardine sich
gehoben, tritt „Mademoiselle Mathilde", eine Größe vom Pariser Vaudeville,
wie der Zettel prahlend verkündet, in eleganter Toilette auf und singt einige
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/504>, abgerufen am 24.08.2024.