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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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war der höchste Feiertag unsrer Urväter, oder vielmehr ein Cyclus von Feier¬
tagen. Die ganze Periode von der Stunde an, wo die Sonne ihren (schein¬
baren) Wendepunkt erreichte, bis zu dem Tage, wo sie wieder vorwärts rückt,
in der einen Gegend die Zwölften, in der andern die Loostage, wieder anderswo
die Rauhnächte, am Rheine auch die Dreizehnnächte genannt, war geheiligt.
Während derselben ruhten Ackergerät!), Handwerkszeug und Waffen. Cäsar
und Germaniens benutzten diese Zeit, um die keines Angriffs gewärtigen, fried¬
lich der Festfeier sich erfreuenden Stämme am Niederrhein zu überfallen. Man
brachte den Ueberirdischen Opfer, vorzüglich an Pferden und Schweinen, hielt
Schmäuse, erleuchtete die heiligen Haine mit Strohfackcln und Kerzen und ließ
auf den Bergen jene mächtigen Feuer lodern, welche alle Ehrentage der Götter
mit ihrem Scheine bestrahlten. Der große Gerichtssriede herrschte. Die Woh¬
nungen wurden mit Wasser um Mitternacht aus heiligen Quellen besprengt,
von dem ein Rest das ganze Jahr über zu frommem Gebrauche aufbewahrt
wurde. Beim Schmause legte man Gelübde ab, trank das Gedächtniß der
Götter, pries sie und vor allem den Sonnengott in schallenden Liedern, führte
Schwerttanze aus und musicirte dazu, so gut man es vermochte.

Auch hiervon hat sich manches in Sitte und Sage erhalten, wenn auch ver¬
stümmelt, und theilweise verunstaltet durch ungehörige Zuthat. Noch jetzt will
in vielen Gegenden der Aberglaube, daß in den zwölf Nächten alle Arbeit und
namentlich die des Nockens und der Spindel ruhe. Die Uebertreter trifft die
Rache der gegenwärtig zu Gespenstern herabgesetzten Götter. Das Haus mußte
gesäubert und geschmückt sein, wenn die heilige Zeit nahte, und noch jetzt weiß
man in den Thälern Steiermarks, daß auf den Höfen, die in der Weihnachts¬
woche nicht in Ordnung geHallen werden, die Kinder wegkommen. Ist die
Ordnung des Hauswesens für die festliche Zeit festgestellt, dann darf sie nicht
nichr gestört werden, und so oft während der Zwölften der Tisch verrückt wird,
so oft dottnert es im nächsten Jahre. Die tiefste Stille muß gewahrt werden,
und wer durch lautes Zuwerfen der Thüre die geweihte Nacht entweiht, hat
im folgenden Sommer den Blitz zu fürchten,

Am Niederrhein geht die Sage, daß in der Weihnacht während einer Mi¬
nute, die der Kundige wahrzunehmen weiß, alle Wasser Wein sind, daß das
in dieser Nacht geschöpfte Wasser sich gleich dem Osterwasser das ganze Jahr
hindurch frisch erhält und daß -- ein sehr poetischer Hinweis auf die unter¬
gegangene Herrlichkeit des Heidenthums! -- in der Christnacht die Glocken
aller versunkenen Kirchen und Kapellen ihr Geläut vernehmen lassen. Ferner
heißt es, daß die Sonne in der Christnacht zwei Freudensprünge thue und
dann ihren Lauf ändere -- so namentlich in Schwaben. In diesem erhabenen
Augenblicke soll alles Vieh in den Ställen und im Walde auf den Knien liegen
und beten.


war der höchste Feiertag unsrer Urväter, oder vielmehr ein Cyclus von Feier¬
tagen. Die ganze Periode von der Stunde an, wo die Sonne ihren (schein¬
baren) Wendepunkt erreichte, bis zu dem Tage, wo sie wieder vorwärts rückt,
in der einen Gegend die Zwölften, in der andern die Loostage, wieder anderswo
die Rauhnächte, am Rheine auch die Dreizehnnächte genannt, war geheiligt.
Während derselben ruhten Ackergerät!), Handwerkszeug und Waffen. Cäsar
und Germaniens benutzten diese Zeit, um die keines Angriffs gewärtigen, fried¬
lich der Festfeier sich erfreuenden Stämme am Niederrhein zu überfallen. Man
brachte den Ueberirdischen Opfer, vorzüglich an Pferden und Schweinen, hielt
Schmäuse, erleuchtete die heiligen Haine mit Strohfackcln und Kerzen und ließ
auf den Bergen jene mächtigen Feuer lodern, welche alle Ehrentage der Götter
mit ihrem Scheine bestrahlten. Der große Gerichtssriede herrschte. Die Woh¬
nungen wurden mit Wasser um Mitternacht aus heiligen Quellen besprengt,
von dem ein Rest das ganze Jahr über zu frommem Gebrauche aufbewahrt
wurde. Beim Schmause legte man Gelübde ab, trank das Gedächtniß der
Götter, pries sie und vor allem den Sonnengott in schallenden Liedern, führte
Schwerttanze aus und musicirte dazu, so gut man es vermochte.

Auch hiervon hat sich manches in Sitte und Sage erhalten, wenn auch ver¬
stümmelt, und theilweise verunstaltet durch ungehörige Zuthat. Noch jetzt will
in vielen Gegenden der Aberglaube, daß in den zwölf Nächten alle Arbeit und
namentlich die des Nockens und der Spindel ruhe. Die Uebertreter trifft die
Rache der gegenwärtig zu Gespenstern herabgesetzten Götter. Das Haus mußte
gesäubert und geschmückt sein, wenn die heilige Zeit nahte, und noch jetzt weiß
man in den Thälern Steiermarks, daß auf den Höfen, die in der Weihnachts¬
woche nicht in Ordnung geHallen werden, die Kinder wegkommen. Ist die
Ordnung des Hauswesens für die festliche Zeit festgestellt, dann darf sie nicht
nichr gestört werden, und so oft während der Zwölften der Tisch verrückt wird,
so oft dottnert es im nächsten Jahre. Die tiefste Stille muß gewahrt werden,
und wer durch lautes Zuwerfen der Thüre die geweihte Nacht entweiht, hat
im folgenden Sommer den Blitz zu fürchten,

Am Niederrhein geht die Sage, daß in der Weihnacht während einer Mi¬
nute, die der Kundige wahrzunehmen weiß, alle Wasser Wein sind, daß das
in dieser Nacht geschöpfte Wasser sich gleich dem Osterwasser das ganze Jahr
hindurch frisch erhält und daß — ein sehr poetischer Hinweis auf die unter¬
gegangene Herrlichkeit des Heidenthums! — in der Christnacht die Glocken
aller versunkenen Kirchen und Kapellen ihr Geläut vernehmen lassen. Ferner
heißt es, daß die Sonne in der Christnacht zwei Freudensprünge thue und
dann ihren Lauf ändere — so namentlich in Schwaben. In diesem erhabenen
Augenblicke soll alles Vieh in den Ställen und im Walde auf den Knien liegen
und beten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/498>, abgerufen am 25.08.2024.