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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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heilige Martin auf alten Bildern als Ritter mit Roß und Mantel von weißer
Farbe dargestellt wird, und daß die im Herbste ziehenden Naben und Krähen
Nicht blos Martinsherden oder Martinsvogel, sondern sogar Godes-, d. h. Wodes-
oder Wuotanshühner genannt werden, so bleibt kaum ein berechtigter Zweifel
übrig, daß wir in dem frommen Rittersmanne Martin denselben Gott, und in
der Rolle, die er bei diesen Gebräuchen spielt, dieselben Anklänge an die Vor¬
feier des altdeutschen Mittwintersestes vor uns haben, die wir oben in dem
Schimmelreiter und dem Ruprecht entdeckten.

Eine ganz ähnliche Gestalt ist der heilige Nicolaus, der unter mannig¬
fachen Abwandlungen seines Namens ein noch weiteres Gebiet hat, als der
Schimmelreiter, der Martin und der Ruprecht. Sein Tag, der 6. December,
begann in südlichen Gegenden das Vorfest der Weihnachtszeit, und im Norden
sowie am Rhein tritt er ganz so wie die bisher betrachteten Verhüllungen Wuo-
ans auf. In Mecklenburg heißt er "Ruklas", d. h. der rauhe Nicolaus,
er Braunschweig und Hannver "Bullerklas", am Niederrhein und in West-
iphalen einfach "Kloas" oder von seinem Aschensacke "Ziederklas". Auch hier
ist sein Charakter eine Mischung aus Popanz, Kinderfreund und Possenreißer.
Die Kinder glauben, daß Sanct Niclas als Bote des Christkindes die Weih-
nachtsbescheerung verkündend durch das Land zieht. Er sitzt auf einem Schimmel,
das Christkind auf einem weißen Hahne. Er kommt stets in der Nacht, pocht
an die Thür und poltert durch das Haus. Die Kinder haben vor ihrer Schlaf¬
stube große Schüsseln und daneben ihre Schuhe hingestellt, die mit Hafer, "dem
Klas für sein Roß", gefüllt sind. Er nimmt das Pferdefutter und füllt dafür
die'Schüsseln mit Geschenken, während die Kleinen drei Gebete hersagen oder
sich ängstlich unter ihre Decke verkriechen. Ungezogene Buben und Dirnen
finden am Morgen eine in Kalk getauchte Ruthe auf ihrer Schüssel, artige
Kinder dagegen allerlei angenehme Dinge, Zuckerbrod und Bretzeln, Aepfel,
Nüsse, Heiligenbildchen, vor allem aber den "Klasmann", das Bild des Hei¬
ligen (oder des alten Gottes) selbst aus Semmelteig geformt und mit Korin¬
thenaugen versehen,.sein schmackhaftes Pferdchen besonders, oder (ganz wie die
Pfefferkuchenreiter des Dresdner Strietzelmartts), aus Honigkuchenteig in Form
gepreßt den Klas zu Pferde. >

In Oestreich, Baiern und der Schweiz ist Nicolaus nichts als der kinder¬
liebende Bischof. Er tritt im kirchlichen Ornate auf und hat einen Engel im
Chorhemde zur Begleitung. Allein auch hier findet sich eine sehr deutliche
Spur seiner ursprünglich heidnischen Natur, die sich durch Ausführung des
Grundsatzes Gregors des Großen (Cap. 71), "daß man die Feste der Heiden
allmälig in christliche verwandeln und in manchen Stücken nachahmen müsse",
nicht völlig verwischen ließ. Der andre Begleiter des Heiligen nämlich, in
Oestreich "Grampus", in Steiermark "Bartel" genannt, ist ein und dasselbe


heilige Martin auf alten Bildern als Ritter mit Roß und Mantel von weißer
Farbe dargestellt wird, und daß die im Herbste ziehenden Naben und Krähen
Nicht blos Martinsherden oder Martinsvogel, sondern sogar Godes-, d. h. Wodes-
oder Wuotanshühner genannt werden, so bleibt kaum ein berechtigter Zweifel
übrig, daß wir in dem frommen Rittersmanne Martin denselben Gott, und in
der Rolle, die er bei diesen Gebräuchen spielt, dieselben Anklänge an die Vor¬
feier des altdeutschen Mittwintersestes vor uns haben, die wir oben in dem
Schimmelreiter und dem Ruprecht entdeckten.

Eine ganz ähnliche Gestalt ist der heilige Nicolaus, der unter mannig¬
fachen Abwandlungen seines Namens ein noch weiteres Gebiet hat, als der
Schimmelreiter, der Martin und der Ruprecht. Sein Tag, der 6. December,
begann in südlichen Gegenden das Vorfest der Weihnachtszeit, und im Norden
sowie am Rhein tritt er ganz so wie die bisher betrachteten Verhüllungen Wuo-
ans auf. In Mecklenburg heißt er „Ruklas", d. h. der rauhe Nicolaus,
er Braunschweig und Hannver „Bullerklas", am Niederrhein und in West-
iphalen einfach „Kloas" oder von seinem Aschensacke „Ziederklas". Auch hier
ist sein Charakter eine Mischung aus Popanz, Kinderfreund und Possenreißer.
Die Kinder glauben, daß Sanct Niclas als Bote des Christkindes die Weih-
nachtsbescheerung verkündend durch das Land zieht. Er sitzt auf einem Schimmel,
das Christkind auf einem weißen Hahne. Er kommt stets in der Nacht, pocht
an die Thür und poltert durch das Haus. Die Kinder haben vor ihrer Schlaf¬
stube große Schüsseln und daneben ihre Schuhe hingestellt, die mit Hafer, „dem
Klas für sein Roß", gefüllt sind. Er nimmt das Pferdefutter und füllt dafür
die'Schüsseln mit Geschenken, während die Kleinen drei Gebete hersagen oder
sich ängstlich unter ihre Decke verkriechen. Ungezogene Buben und Dirnen
finden am Morgen eine in Kalk getauchte Ruthe auf ihrer Schüssel, artige
Kinder dagegen allerlei angenehme Dinge, Zuckerbrod und Bretzeln, Aepfel,
Nüsse, Heiligenbildchen, vor allem aber den „Klasmann", das Bild des Hei¬
ligen (oder des alten Gottes) selbst aus Semmelteig geformt und mit Korin¬
thenaugen versehen,.sein schmackhaftes Pferdchen besonders, oder (ganz wie die
Pfefferkuchenreiter des Dresdner Strietzelmartts), aus Honigkuchenteig in Form
gepreßt den Klas zu Pferde. >

In Oestreich, Baiern und der Schweiz ist Nicolaus nichts als der kinder¬
liebende Bischof. Er tritt im kirchlichen Ornate auf und hat einen Engel im
Chorhemde zur Begleitung. Allein auch hier findet sich eine sehr deutliche
Spur seiner ursprünglich heidnischen Natur, die sich durch Ausführung des
Grundsatzes Gregors des Großen (Cap. 71), „daß man die Feste der Heiden
allmälig in christliche verwandeln und in manchen Stücken nachahmen müsse",
nicht völlig verwischen ließ. Der andre Begleiter des Heiligen nämlich, in
Oestreich „Grampus", in Steiermark „Bartel" genannt, ist ein und dasselbe


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[0496] heilige Martin auf alten Bildern als Ritter mit Roß und Mantel von weißer Farbe dargestellt wird, und daß die im Herbste ziehenden Naben und Krähen Nicht blos Martinsherden oder Martinsvogel, sondern sogar Godes-, d. h. Wodes- oder Wuotanshühner genannt werden, so bleibt kaum ein berechtigter Zweifel übrig, daß wir in dem frommen Rittersmanne Martin denselben Gott, und in der Rolle, die er bei diesen Gebräuchen spielt, dieselben Anklänge an die Vor¬ feier des altdeutschen Mittwintersestes vor uns haben, die wir oben in dem Schimmelreiter und dem Ruprecht entdeckten. Eine ganz ähnliche Gestalt ist der heilige Nicolaus, der unter mannig¬ fachen Abwandlungen seines Namens ein noch weiteres Gebiet hat, als der Schimmelreiter, der Martin und der Ruprecht. Sein Tag, der 6. December, begann in südlichen Gegenden das Vorfest der Weihnachtszeit, und im Norden sowie am Rhein tritt er ganz so wie die bisher betrachteten Verhüllungen Wuo- ans auf. In Mecklenburg heißt er „Ruklas", d. h. der rauhe Nicolaus, er Braunschweig und Hannver „Bullerklas", am Niederrhein und in West- iphalen einfach „Kloas" oder von seinem Aschensacke „Ziederklas". Auch hier ist sein Charakter eine Mischung aus Popanz, Kinderfreund und Possenreißer. Die Kinder glauben, daß Sanct Niclas als Bote des Christkindes die Weih- nachtsbescheerung verkündend durch das Land zieht. Er sitzt auf einem Schimmel, das Christkind auf einem weißen Hahne. Er kommt stets in der Nacht, pocht an die Thür und poltert durch das Haus. Die Kinder haben vor ihrer Schlaf¬ stube große Schüsseln und daneben ihre Schuhe hingestellt, die mit Hafer, „dem Klas für sein Roß", gefüllt sind. Er nimmt das Pferdefutter und füllt dafür die'Schüsseln mit Geschenken, während die Kleinen drei Gebete hersagen oder sich ängstlich unter ihre Decke verkriechen. Ungezogene Buben und Dirnen finden am Morgen eine in Kalk getauchte Ruthe auf ihrer Schüssel, artige Kinder dagegen allerlei angenehme Dinge, Zuckerbrod und Bretzeln, Aepfel, Nüsse, Heiligenbildchen, vor allem aber den „Klasmann", das Bild des Hei¬ ligen (oder des alten Gottes) selbst aus Semmelteig geformt und mit Korin¬ thenaugen versehen,.sein schmackhaftes Pferdchen besonders, oder (ganz wie die Pfefferkuchenreiter des Dresdner Strietzelmartts), aus Honigkuchenteig in Form gepreßt den Klas zu Pferde. > In Oestreich, Baiern und der Schweiz ist Nicolaus nichts als der kinder¬ liebende Bischof. Er tritt im kirchlichen Ornate auf und hat einen Engel im Chorhemde zur Begleitung. Allein auch hier findet sich eine sehr deutliche Spur seiner ursprünglich heidnischen Natur, die sich durch Ausführung des Grundsatzes Gregors des Großen (Cap. 71), „daß man die Feste der Heiden allmälig in christliche verwandeln und in manchen Stücken nachahmen müsse", nicht völlig verwischen ließ. Der andre Begleiter des Heiligen nämlich, in Oestreich „Grampus", in Steiermark „Bartel" genannt, ist ein und dasselbe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/496>, abgerufen am 22.07.2024.