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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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umstellt, was um Martini und in den Adventen in solchen Gegenden Brauch
ist, wo der Katholicismus die alten Götter in Heilige verwandelt bewahrte.

Hierher gehört zunächst Sanct Martin, dessen Tag auf den -I-I, No¬
vember fällt. In seiner Legende, die beiläufig weit jünger ist, als sein Fest,
findet sich nichts, was auf seine Kleidung oder darauf deutete, daß er mit
Pferden im Zusammenhange stände, und so werden wir schon deshalb den
Schluß ziehen dürfen, daß die im Folgenden mitzutheilenden Züge von einem
heidnischen Gotte entlehnt seien. Stellen wir zuvörderst zusammen, was die
Sitte an seinem Tage zu beobachten gebietet, und ziehen wir dann das Facit.
In Böhmen trinkt das Landvolk sich am Martinstage, der hier "Gehoisto"
heißt, ganz wie einst an den WuotanSscsten, Schönheit und Stärke zu. In
Schlesien sagt man, wenn es zum ersten Male schneit, "der Marten kommt auf
dem Schimmel geritten". In Sachsen bäckt man zu Martini die sogenannten
Märtenöhörnchen, die höchst wahrscheinlich gleich der Martinsgans und den
weiter unten zu nennenden Bretzeln und eberförmigen Weihnachtökuchen ein
Nest uralter Opferspeisen sind und sich auf den Hauptschmuck des Böckh Do¬
nar beziehen, der im Gefolge des Schimmelreiterö den Gott selbst vertrat.
In Schwaben zieht in den Adventen der "Pelzwärte" ganz in der Weise wie
in Sachsen der Knecht Ruprecht umher. Am Niederrhein ward noch vor vier¬
zig Jahren der Vorabend des Martinstages sowie jetzt in Norddeutschland der
Osterabend durch Anzünden von Feuern auf allen Höhen gefeiert, lind noch
jetzt wird hin und wieder der alte Brauch beobachtet. Wie man am -l. Mai
und zu Pfingsten unter Absingung von Reimen Eier und Geld sammelt, so
bettelt sich zu Martini die Jugend Holz'und Stroh zum Martinöfeuer mit den
Worten:


"Wir holen heute Holz und Stroh!
Hohoho! Froh, froh, froh!
Heiliger Sanct Martin"!"

Haben sie ihre Feuerung bekommen, so heischen sie noch Fleisch und Speck,
Würste, Aepfel und Kuchen. Erhalten sie, um was sie gebeten, so erschallt ein
Danklied. Weist man sie ab, so wünschen sie dem Geizigen Uebles in einem
Reime, welcher schließt:


"Und eine Eule fliegt ums Haus,
Die kratzt ihm noch die Augen aus."

Das gesammelte Reisig und Stroh wird entweder in der Mitte des Dorfes
oder auf einem Hügel vor demselben verbrannt. Um das Feuer wird getanzt,
auch reitet auf einem Stecken, der vorn mit einem Pferdeköpfe verziert ist,
Sanct Marten, ein gleich dem norddeutschen Bär in Stroh gehüllter Bursch,
um den Scheiterhaufen. Die Asche wird über die mit Winterkorn besäten Felder
gestreut, indem sie vor Schneckenfraß sichern soll. Rechnen wir dazu, daß der


umstellt, was um Martini und in den Adventen in solchen Gegenden Brauch
ist, wo der Katholicismus die alten Götter in Heilige verwandelt bewahrte.

Hierher gehört zunächst Sanct Martin, dessen Tag auf den -I-I, No¬
vember fällt. In seiner Legende, die beiläufig weit jünger ist, als sein Fest,
findet sich nichts, was auf seine Kleidung oder darauf deutete, daß er mit
Pferden im Zusammenhange stände, und so werden wir schon deshalb den
Schluß ziehen dürfen, daß die im Folgenden mitzutheilenden Züge von einem
heidnischen Gotte entlehnt seien. Stellen wir zuvörderst zusammen, was die
Sitte an seinem Tage zu beobachten gebietet, und ziehen wir dann das Facit.
In Böhmen trinkt das Landvolk sich am Martinstage, der hier „Gehoisto"
heißt, ganz wie einst an den WuotanSscsten, Schönheit und Stärke zu. In
Schlesien sagt man, wenn es zum ersten Male schneit, „der Marten kommt auf
dem Schimmel geritten". In Sachsen bäckt man zu Martini die sogenannten
Märtenöhörnchen, die höchst wahrscheinlich gleich der Martinsgans und den
weiter unten zu nennenden Bretzeln und eberförmigen Weihnachtökuchen ein
Nest uralter Opferspeisen sind und sich auf den Hauptschmuck des Böckh Do¬
nar beziehen, der im Gefolge des Schimmelreiterö den Gott selbst vertrat.
In Schwaben zieht in den Adventen der „Pelzwärte" ganz in der Weise wie
in Sachsen der Knecht Ruprecht umher. Am Niederrhein ward noch vor vier¬
zig Jahren der Vorabend des Martinstages sowie jetzt in Norddeutschland der
Osterabend durch Anzünden von Feuern auf allen Höhen gefeiert, lind noch
jetzt wird hin und wieder der alte Brauch beobachtet. Wie man am -l. Mai
und zu Pfingsten unter Absingung von Reimen Eier und Geld sammelt, so
bettelt sich zu Martini die Jugend Holz'und Stroh zum Martinöfeuer mit den
Worten:


„Wir holen heute Holz und Stroh!
Hohoho! Froh, froh, froh!
Heiliger Sanct Martin»!"

Haben sie ihre Feuerung bekommen, so heischen sie noch Fleisch und Speck,
Würste, Aepfel und Kuchen. Erhalten sie, um was sie gebeten, so erschallt ein
Danklied. Weist man sie ab, so wünschen sie dem Geizigen Uebles in einem
Reime, welcher schließt:


„Und eine Eule fliegt ums Haus,
Die kratzt ihm noch die Augen aus."

Das gesammelte Reisig und Stroh wird entweder in der Mitte des Dorfes
oder auf einem Hügel vor demselben verbrannt. Um das Feuer wird getanzt,
auch reitet auf einem Stecken, der vorn mit einem Pferdeköpfe verziert ist,
Sanct Marten, ein gleich dem norddeutschen Bär in Stroh gehüllter Bursch,
um den Scheiterhaufen. Die Asche wird über die mit Winterkorn besäten Felder
gestreut, indem sie vor Schneckenfraß sichern soll. Rechnen wir dazu, daß der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/495>, abgerufen am 22.07.2024.