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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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durch drei junge Leute gebildet, von denen die beiden letzten die Hände auf
die Schultern des Vordermannes legen, während ein vierter dem mittelsten aus
den Achseln sitzt. Der Kops des Pferdes ist durch eine Erhöhung angedeutet,
durch welche das weiße Tuch, das über sie gebreitet ist, emporgehoben wird.
Der Reirer ist gleichfalls verhangen und hat bisweilen einen Kürbis, in den
Augen und ein Mund geschnitten sind, und aus welchem ein Licht hervorleuch¬
tet, als Laterne in der Hand. Häusig begleitet den Schimmelreiter ein "Bär",
dargestellt durch einen Burschen, der in Erbsen- oder Haferstroh eingeflochten
ist und mit einer Balancirstange die Rolle des Tanzbären spielt, einst aber,
wie sogleich gezeigt werden soll, nichts weniger als einen Bären vorstellte. In
einigen pommerschen Strichen und namentlich auf Usedom tritt zu diesen ba¬
rocken Masken noch der "Klapp er hock", ein Bursche mit einem Ziegenkopf,
dessen untere Kinnlade beweglich ist und womit fortwährend geklappert wird.
Er stößt die Kinder, welche kein Gebet hersagen können.

In diesem Auszuge sehen wir bei'einem Rückblicke aus die altgermanische
Göttersage ganz deutlich drei Gottheiten auftreten. Der Schimmelreiter ist
Wuotan auf seinem weißen Rosse, der Bock eine Erinnerung an das Attribut
Donars, der Bär endlich, welcher auch bei den Nachklängen i?es alten Maifesteö
eine wichtige Rolle spielt, ist (wenn wir das plattdeutsche Behre- oder Bäre-
Eber daranhalten und das später zu erwähnende weiße Schwein des schwäbi¬
schen Weihnachtsaberglaubens damit vergleichen), ohne Zweifel der heilige Eber
Froh, des Gottes der Fruchtbarkeit. Die Feien mögen Untergötter, vielleicht
auch Elben sein. Der Aschensack deutet an, daß man einst ganz so wie zu
Ostern und am Mittsommertage heilige Feuer anzündete, mit deren Asche man
sich bewarf, indem dieselbe segnende Kraft hatte.

In Mitteldeutschland, namentlich im Königreiche Sachsen, ist Schimmel,
Bock und Bär verschwunden, der Reiter aber geht unter einem Namen um, der
womöglich noch klarer aus den heidnischen Ursprung der Ceremonie hinweist.
Wir meinen den allbekannten "Ruprecht" oder "Rupprich", welcher, jetzt
als Knecht des heiligen Christ aufgefaßt, einige Wochen oder auch nur einige
Tage vor dem Weihnachtsabende in einen mit goldnen Aepfeln und Nüssen be-
hangenen Pelz vermummt, in die Stuben schaut, die Bescherung ansagt, sich
erkundigt, ob die Kinder gefolgt haben, die Gehorsamen mit einer Obstspende
belohnt und die Unartiger schreckt und mit der Ruthe straft. In dem plumpen,
struppigen Gesellen aber haben wir nichts weniger als einen Knecht des Christ¬
kindes, sondern -- man denke an die alte Form des Namens Ruprecht, Hruod-
percht -- einen "ruhmesprächtigen" Gott, und zwar keinen andern als den
gewaltigen Himmelsriesen und Göttervater Wuotan vor uns, zu dessen Bei¬
namen in der Edda auch der des Ruhmstrahlenden gehörte.

Diese Hypothesen werden zu Ueberzeugungen, sobald man damit zusam-


durch drei junge Leute gebildet, von denen die beiden letzten die Hände auf
die Schultern des Vordermannes legen, während ein vierter dem mittelsten aus
den Achseln sitzt. Der Kops des Pferdes ist durch eine Erhöhung angedeutet,
durch welche das weiße Tuch, das über sie gebreitet ist, emporgehoben wird.
Der Reirer ist gleichfalls verhangen und hat bisweilen einen Kürbis, in den
Augen und ein Mund geschnitten sind, und aus welchem ein Licht hervorleuch¬
tet, als Laterne in der Hand. Häusig begleitet den Schimmelreiter ein „Bär",
dargestellt durch einen Burschen, der in Erbsen- oder Haferstroh eingeflochten
ist und mit einer Balancirstange die Rolle des Tanzbären spielt, einst aber,
wie sogleich gezeigt werden soll, nichts weniger als einen Bären vorstellte. In
einigen pommerschen Strichen und namentlich auf Usedom tritt zu diesen ba¬
rocken Masken noch der „Klapp er hock", ein Bursche mit einem Ziegenkopf,
dessen untere Kinnlade beweglich ist und womit fortwährend geklappert wird.
Er stößt die Kinder, welche kein Gebet hersagen können.

In diesem Auszuge sehen wir bei'einem Rückblicke aus die altgermanische
Göttersage ganz deutlich drei Gottheiten auftreten. Der Schimmelreiter ist
Wuotan auf seinem weißen Rosse, der Bock eine Erinnerung an das Attribut
Donars, der Bär endlich, welcher auch bei den Nachklängen i?es alten Maifesteö
eine wichtige Rolle spielt, ist (wenn wir das plattdeutsche Behre- oder Bäre-
Eber daranhalten und das später zu erwähnende weiße Schwein des schwäbi¬
schen Weihnachtsaberglaubens damit vergleichen), ohne Zweifel der heilige Eber
Froh, des Gottes der Fruchtbarkeit. Die Feien mögen Untergötter, vielleicht
auch Elben sein. Der Aschensack deutet an, daß man einst ganz so wie zu
Ostern und am Mittsommertage heilige Feuer anzündete, mit deren Asche man
sich bewarf, indem dieselbe segnende Kraft hatte.

In Mitteldeutschland, namentlich im Königreiche Sachsen, ist Schimmel,
Bock und Bär verschwunden, der Reiter aber geht unter einem Namen um, der
womöglich noch klarer aus den heidnischen Ursprung der Ceremonie hinweist.
Wir meinen den allbekannten „Ruprecht" oder „Rupprich", welcher, jetzt
als Knecht des heiligen Christ aufgefaßt, einige Wochen oder auch nur einige
Tage vor dem Weihnachtsabende in einen mit goldnen Aepfeln und Nüssen be-
hangenen Pelz vermummt, in die Stuben schaut, die Bescherung ansagt, sich
erkundigt, ob die Kinder gefolgt haben, die Gehorsamen mit einer Obstspende
belohnt und die Unartiger schreckt und mit der Ruthe straft. In dem plumpen,
struppigen Gesellen aber haben wir nichts weniger als einen Knecht des Christ¬
kindes, sondern — man denke an die alte Form des Namens Ruprecht, Hruod-
percht — einen „ruhmesprächtigen" Gott, und zwar keinen andern als den
gewaltigen Himmelsriesen und Göttervater Wuotan vor uns, zu dessen Bei¬
namen in der Edda auch der des Ruhmstrahlenden gehörte.

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[0494] durch drei junge Leute gebildet, von denen die beiden letzten die Hände auf die Schultern des Vordermannes legen, während ein vierter dem mittelsten aus den Achseln sitzt. Der Kops des Pferdes ist durch eine Erhöhung angedeutet, durch welche das weiße Tuch, das über sie gebreitet ist, emporgehoben wird. Der Reirer ist gleichfalls verhangen und hat bisweilen einen Kürbis, in den Augen und ein Mund geschnitten sind, und aus welchem ein Licht hervorleuch¬ tet, als Laterne in der Hand. Häusig begleitet den Schimmelreiter ein „Bär", dargestellt durch einen Burschen, der in Erbsen- oder Haferstroh eingeflochten ist und mit einer Balancirstange die Rolle des Tanzbären spielt, einst aber, wie sogleich gezeigt werden soll, nichts weniger als einen Bären vorstellte. In einigen pommerschen Strichen und namentlich auf Usedom tritt zu diesen ba¬ rocken Masken noch der „Klapp er hock", ein Bursche mit einem Ziegenkopf, dessen untere Kinnlade beweglich ist und womit fortwährend geklappert wird. Er stößt die Kinder, welche kein Gebet hersagen können. In diesem Auszuge sehen wir bei'einem Rückblicke aus die altgermanische Göttersage ganz deutlich drei Gottheiten auftreten. Der Schimmelreiter ist Wuotan auf seinem weißen Rosse, der Bock eine Erinnerung an das Attribut Donars, der Bär endlich, welcher auch bei den Nachklängen i?es alten Maifesteö eine wichtige Rolle spielt, ist (wenn wir das plattdeutsche Behre- oder Bäre- Eber daranhalten und das später zu erwähnende weiße Schwein des schwäbi¬ schen Weihnachtsaberglaubens damit vergleichen), ohne Zweifel der heilige Eber Froh, des Gottes der Fruchtbarkeit. Die Feien mögen Untergötter, vielleicht auch Elben sein. Der Aschensack deutet an, daß man einst ganz so wie zu Ostern und am Mittsommertage heilige Feuer anzündete, mit deren Asche man sich bewarf, indem dieselbe segnende Kraft hatte. In Mitteldeutschland, namentlich im Königreiche Sachsen, ist Schimmel, Bock und Bär verschwunden, der Reiter aber geht unter einem Namen um, der womöglich noch klarer aus den heidnischen Ursprung der Ceremonie hinweist. Wir meinen den allbekannten „Ruprecht" oder „Rupprich", welcher, jetzt als Knecht des heiligen Christ aufgefaßt, einige Wochen oder auch nur einige Tage vor dem Weihnachtsabende in einen mit goldnen Aepfeln und Nüssen be- hangenen Pelz vermummt, in die Stuben schaut, die Bescherung ansagt, sich erkundigt, ob die Kinder gefolgt haben, die Gehorsamen mit einer Obstspende belohnt und die Unartiger schreckt und mit der Ruthe straft. In dem plumpen, struppigen Gesellen aber haben wir nichts weniger als einen Knecht des Christ¬ kindes, sondern — man denke an die alte Form des Namens Ruprecht, Hruod- percht — einen „ruhmesprächtigen" Gott, und zwar keinen andern als den gewaltigen Himmelsriesen und Göttervater Wuotan vor uns, zu dessen Bei¬ namen in der Edda auch der des Ruhmstrahlenden gehörte. Diese Hypothesen werden zu Ueberzeugungen, sobald man damit zusam-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/494>, abgerufen am 22.07.2024.