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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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reicher aber lagerten sich derartige Ueberreste der Urzeit auf und um Weihnachten
ab, das der Zeit und in gewisser Hinsicht selbst der Bedeutung nach dem höchsten
Feste der Germanen entspricht. Dies ist der Satz, den das Vorhergehende
einleitete und das Folgende erläutern und mit Beispielen belegen wird.

Der Mittwinter, wo die Sonne zu sommerlichen Glänze umzuwenden
begann und wo deshalb am passendsten das alte Jahr schloß und das neue
sich aufthat, mußte dem Geiste der Nordvölker die als Götter aufgefaßten
Naturkräfte sammeln und dadurch zur hochheiligen Zeit werden. Wie viele
der Himmlischen sich einstellten, läßt sich nicht mehr constatiren, wiewol sich aus
dem Ausdrucke "zwölf Nächte" die Andeutung gewinnen lassen möchte, daß in
jeder ein bestimmter der zwölf obersten Götter verehrt worden sei. Lassen wir
aber diese Hypothese beiseite, so scheinen inamentlich drei Gottheiten in der
Julzeit eine Rolle gespielt zu haben, Fro nämlich, Donar und Wuotan nebst
seiner Gemahlin Frick, die je nach der Landschaft auch ändere Namen, z. B.
Frau Herke, Frau Holle, Perchta oder Bertha führte.

Nach vollendeter Bestellung der Wintersaat, um Martini, begann eine Art
Vorfest. Da zogen die Götter auf einem Wagen oder zu Roß durch die Gauen,
empfingen Opfergaben und spendeten Segen dem keimenden Getreide. Es war
ein frommer Mummenschanz, bei welchem das übermenschliche Wesen derer> die
ihn aufführten, dadurch angedeutet war, daß sich dieselben in weiße Gewänder,
in die Farbe des Lichtes kleideten. Dieser Aufzug hat sich, in eine Posse ver¬
wandelt, sowol in Nord- als in Süddeutschland erhalten. Wir meinen den
sogenannten "Schimmelreiter", der in de.n Adventen sein Wesen treibt.
In der Grafschaft Ruppin erscheint in der zweiten Woche des December ein
Ritter auf einem weißen Pferde, das heißt ein Knecht, dem auf der Brust und
auf dem Rücken ein Sieb festgebunden, ein weißes Linnen darübergebreitet
und vorn ein Pferdekopf befestigt wird. Ihm folgt ein ebenfalls weißgekleideter
"Christmann", der mit Bändern geschmückt ist, einen großen Sack mit
Asche und eine Tasche mit Pfefferkuchen trägt und von einem Trupp "Feien",
Burschen, die Weiberkleider angezogen und sich die Gesichter geschwärzt haben, be¬
gleitet ist. Diese Sippschaft zieht mit Musik von Haus zu Haus, und zwar
tritt zuerst der Reiter ein und springt über einen Stuhl. Dann kommt der
Christmann, die Feien müssen draußen warten. Hierauf stimmen die Mädchen
im Hause ein Lied an, worauf der Reiter eine von ihnen beim Arme nimmt
und mit ihr tanzt, während der Christmann den Kindern Sprüche überhört
und die Fleißigen mit Pfefferkuchen belohnt, die Faulen mittelst des Aschen¬
sackes bestraft. Sobald beide wieder fort sind, dringen die Feien herein,
hüpfen umher, treiben allerlei Muthwillen und kehren das unterste zuoberst.

Ein ähnlicher Spuk läßt sich in den Wochen vor Weihnachten in andren
Gegenden Norddeutschlands und in Schlesien sehen. Hier wird der Schimmel


reicher aber lagerten sich derartige Ueberreste der Urzeit auf und um Weihnachten
ab, das der Zeit und in gewisser Hinsicht selbst der Bedeutung nach dem höchsten
Feste der Germanen entspricht. Dies ist der Satz, den das Vorhergehende
einleitete und das Folgende erläutern und mit Beispielen belegen wird.

Der Mittwinter, wo die Sonne zu sommerlichen Glänze umzuwenden
begann und wo deshalb am passendsten das alte Jahr schloß und das neue
sich aufthat, mußte dem Geiste der Nordvölker die als Götter aufgefaßten
Naturkräfte sammeln und dadurch zur hochheiligen Zeit werden. Wie viele
der Himmlischen sich einstellten, läßt sich nicht mehr constatiren, wiewol sich aus
dem Ausdrucke „zwölf Nächte" die Andeutung gewinnen lassen möchte, daß in
jeder ein bestimmter der zwölf obersten Götter verehrt worden sei. Lassen wir
aber diese Hypothese beiseite, so scheinen inamentlich drei Gottheiten in der
Julzeit eine Rolle gespielt zu haben, Fro nämlich, Donar und Wuotan nebst
seiner Gemahlin Frick, die je nach der Landschaft auch ändere Namen, z. B.
Frau Herke, Frau Holle, Perchta oder Bertha führte.

Nach vollendeter Bestellung der Wintersaat, um Martini, begann eine Art
Vorfest. Da zogen die Götter auf einem Wagen oder zu Roß durch die Gauen,
empfingen Opfergaben und spendeten Segen dem keimenden Getreide. Es war
ein frommer Mummenschanz, bei welchem das übermenschliche Wesen derer> die
ihn aufführten, dadurch angedeutet war, daß sich dieselben in weiße Gewänder,
in die Farbe des Lichtes kleideten. Dieser Aufzug hat sich, in eine Posse ver¬
wandelt, sowol in Nord- als in Süddeutschland erhalten. Wir meinen den
sogenannten „Schimmelreiter", der in de.n Adventen sein Wesen treibt.
In der Grafschaft Ruppin erscheint in der zweiten Woche des December ein
Ritter auf einem weißen Pferde, das heißt ein Knecht, dem auf der Brust und
auf dem Rücken ein Sieb festgebunden, ein weißes Linnen darübergebreitet
und vorn ein Pferdekopf befestigt wird. Ihm folgt ein ebenfalls weißgekleideter
„Christmann", der mit Bändern geschmückt ist, einen großen Sack mit
Asche und eine Tasche mit Pfefferkuchen trägt und von einem Trupp „Feien",
Burschen, die Weiberkleider angezogen und sich die Gesichter geschwärzt haben, be¬
gleitet ist. Diese Sippschaft zieht mit Musik von Haus zu Haus, und zwar
tritt zuerst der Reiter ein und springt über einen Stuhl. Dann kommt der
Christmann, die Feien müssen draußen warten. Hierauf stimmen die Mädchen
im Hause ein Lied an, worauf der Reiter eine von ihnen beim Arme nimmt
und mit ihr tanzt, während der Christmann den Kindern Sprüche überhört
und die Fleißigen mit Pfefferkuchen belohnt, die Faulen mittelst des Aschen¬
sackes bestraft. Sobald beide wieder fort sind, dringen die Feien herein,
hüpfen umher, treiben allerlei Muthwillen und kehren das unterste zuoberst.

Ein ähnlicher Spuk läßt sich in den Wochen vor Weihnachten in andren
Gegenden Norddeutschlands und in Schlesien sehen. Hier wird der Schimmel


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[0493] reicher aber lagerten sich derartige Ueberreste der Urzeit auf und um Weihnachten ab, das der Zeit und in gewisser Hinsicht selbst der Bedeutung nach dem höchsten Feste der Germanen entspricht. Dies ist der Satz, den das Vorhergehende einleitete und das Folgende erläutern und mit Beispielen belegen wird. Der Mittwinter, wo die Sonne zu sommerlichen Glänze umzuwenden begann und wo deshalb am passendsten das alte Jahr schloß und das neue sich aufthat, mußte dem Geiste der Nordvölker die als Götter aufgefaßten Naturkräfte sammeln und dadurch zur hochheiligen Zeit werden. Wie viele der Himmlischen sich einstellten, läßt sich nicht mehr constatiren, wiewol sich aus dem Ausdrucke „zwölf Nächte" die Andeutung gewinnen lassen möchte, daß in jeder ein bestimmter der zwölf obersten Götter verehrt worden sei. Lassen wir aber diese Hypothese beiseite, so scheinen inamentlich drei Gottheiten in der Julzeit eine Rolle gespielt zu haben, Fro nämlich, Donar und Wuotan nebst seiner Gemahlin Frick, die je nach der Landschaft auch ändere Namen, z. B. Frau Herke, Frau Holle, Perchta oder Bertha führte. Nach vollendeter Bestellung der Wintersaat, um Martini, begann eine Art Vorfest. Da zogen die Götter auf einem Wagen oder zu Roß durch die Gauen, empfingen Opfergaben und spendeten Segen dem keimenden Getreide. Es war ein frommer Mummenschanz, bei welchem das übermenschliche Wesen derer> die ihn aufführten, dadurch angedeutet war, daß sich dieselben in weiße Gewänder, in die Farbe des Lichtes kleideten. Dieser Aufzug hat sich, in eine Posse ver¬ wandelt, sowol in Nord- als in Süddeutschland erhalten. Wir meinen den sogenannten „Schimmelreiter", der in de.n Adventen sein Wesen treibt. In der Grafschaft Ruppin erscheint in der zweiten Woche des December ein Ritter auf einem weißen Pferde, das heißt ein Knecht, dem auf der Brust und auf dem Rücken ein Sieb festgebunden, ein weißes Linnen darübergebreitet und vorn ein Pferdekopf befestigt wird. Ihm folgt ein ebenfalls weißgekleideter „Christmann", der mit Bändern geschmückt ist, einen großen Sack mit Asche und eine Tasche mit Pfefferkuchen trägt und von einem Trupp „Feien", Burschen, die Weiberkleider angezogen und sich die Gesichter geschwärzt haben, be¬ gleitet ist. Diese Sippschaft zieht mit Musik von Haus zu Haus, und zwar tritt zuerst der Reiter ein und springt über einen Stuhl. Dann kommt der Christmann, die Feien müssen draußen warten. Hierauf stimmen die Mädchen im Hause ein Lied an, worauf der Reiter eine von ihnen beim Arme nimmt und mit ihr tanzt, während der Christmann den Kindern Sprüche überhört und die Fleißigen mit Pfefferkuchen belohnt, die Faulen mittelst des Aschen¬ sackes bestraft. Sobald beide wieder fort sind, dringen die Feien herein, hüpfen umher, treiben allerlei Muthwillen und kehren das unterste zuoberst. Ein ähnlicher Spuk läßt sich in den Wochen vor Weihnachten in andren Gegenden Norddeutschlands und in Schlesien sehen. Hier wird der Schimmel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/493>, abgerufen am 22.07.2024.