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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Verehrung, sondern blos als gutartige Geister auftraten oder sich in Märchen
oder Possen versteckten. ' ,

So kam der alte Glaube nach Verwehen des ersten Sturmes, der über
ihn hereinbrach, neben dem neuen in drei Reihen von mythischen Gebilden
theilweise wieder zu Ehren. In die erste, welche die vom Christenthume in
die Hölle verwiesenen Gottheiten umfaßt, gehören unter andern das wilde
Heer, sofern es bloßer grauenvoller Spuk ist, Frau Holle, die den Tannhäuser
verlockt, die oberöstreichische Perchtel, Satan mit den Naben Wuotans und
dem Bocke Donars und der Teufel, der den Abergläubischen in besondern
Nächten den Farnsamen .gibt. Die zweite Reihe begreift in sich die alten
Götter, sofern sie in einzelne Heilige der katholischen Kirche oder in die Person
Christi selbst aufgegangen sind, die Drachentödter Michael und Georg, Se.
Martin, der Wuotans Schimmel reitet und von Donars Bocke begleitet ist,
Se. Olaf, der Thors rothen Bart trägt und gleich diesem ein Verfolger der
Riesen ist, schließlich mancherlei Züge des Mariencultus, die mit dem zusammen¬
treffen, was in der Urzeit von Frick, Holda oder Bertha galt. Die dritte
Reihe dieser bis aus heute lebendig gebliebenen Erinnerungen aus der Heiden¬
zeit umfaßt die Götterbilder und die religiösen Gebräuche, die ihrer Harm¬
losigkeit und ihrer Unverfänglichkeit halber selbst mit dem alten Namen oder
doch anklingend an diesen von Seiten des Christenthums Duldung erfuhren,
und von denen die ersteren im Aberglauben als eine Art gutartiger Dämonen
fortlebten, die letzteren aber als Mummenschanz, Posse oder Spiel im Kreise
der Volkssitten sich fortsetzten. Hierhin ist zu rechnen der Wodan, dem der
niedersächsische Bauer einen Rest der Ernte für sein Pferd stehen läßt, hierhin
der Eber Früh, der im Korne gehen soll, wenn der Wind in dessen Halmen
wühlt, hierhin Frau Holle, die in Thüringen die Spinnstuben heimsucht, und
die Perchta, izie im Voigtlande und in der Orlagegend mit den Seelen ge¬
storbener Kinder ihren nächtlichen Umzug hält, hierhin die Gebräuche der
Fastenzeit, der schwäbische Funkensonntag, die Oster- und Johannisfeuer, der
Name der Göttin, nach welcher das christliche Osterfest benannt wurde, hierhin
endlich vor allem die Reste des altgermanischen Julfestes, die uns in den Ge¬
stalten und Gebräuchen, den Spielen und Possen der zwölf Nächte und der
ihnen vorausgehenden Adventszeit, unerklärbar sofern man vom Christenthume
allein Aufschluß verlangt, in reichster Fülle entgegentreten.

Nirgends haben die Fluten des Christenthums und der classischen Bildung,
als sie die alte Zeit unter sich begruben, so große Schichten fossiler Reste der¬
selben zusammengeschwemmt, als um die hohen Feste, die gleich Hügeln über
das Alltagsleben emporragen. Außerordentlich groß ist die Zahl der vom
Volke um die Oster- und Pfingstzeit beobachteten Sitten, welche bei näherem
Zusehen als dem Heidenthume entstammend erkannt werden. Noch bei weitem


Verehrung, sondern blos als gutartige Geister auftraten oder sich in Märchen
oder Possen versteckten. ' ,

So kam der alte Glaube nach Verwehen des ersten Sturmes, der über
ihn hereinbrach, neben dem neuen in drei Reihen von mythischen Gebilden
theilweise wieder zu Ehren. In die erste, welche die vom Christenthume in
die Hölle verwiesenen Gottheiten umfaßt, gehören unter andern das wilde
Heer, sofern es bloßer grauenvoller Spuk ist, Frau Holle, die den Tannhäuser
verlockt, die oberöstreichische Perchtel, Satan mit den Naben Wuotans und
dem Bocke Donars und der Teufel, der den Abergläubischen in besondern
Nächten den Farnsamen .gibt. Die zweite Reihe begreift in sich die alten
Götter, sofern sie in einzelne Heilige der katholischen Kirche oder in die Person
Christi selbst aufgegangen sind, die Drachentödter Michael und Georg, Se.
Martin, der Wuotans Schimmel reitet und von Donars Bocke begleitet ist,
Se. Olaf, der Thors rothen Bart trägt und gleich diesem ein Verfolger der
Riesen ist, schließlich mancherlei Züge des Mariencultus, die mit dem zusammen¬
treffen, was in der Urzeit von Frick, Holda oder Bertha galt. Die dritte
Reihe dieser bis aus heute lebendig gebliebenen Erinnerungen aus der Heiden¬
zeit umfaßt die Götterbilder und die religiösen Gebräuche, die ihrer Harm¬
losigkeit und ihrer Unverfänglichkeit halber selbst mit dem alten Namen oder
doch anklingend an diesen von Seiten des Christenthums Duldung erfuhren,
und von denen die ersteren im Aberglauben als eine Art gutartiger Dämonen
fortlebten, die letzteren aber als Mummenschanz, Posse oder Spiel im Kreise
der Volkssitten sich fortsetzten. Hierhin ist zu rechnen der Wodan, dem der
niedersächsische Bauer einen Rest der Ernte für sein Pferd stehen läßt, hierhin
der Eber Früh, der im Korne gehen soll, wenn der Wind in dessen Halmen
wühlt, hierhin Frau Holle, die in Thüringen die Spinnstuben heimsucht, und
die Perchta, izie im Voigtlande und in der Orlagegend mit den Seelen ge¬
storbener Kinder ihren nächtlichen Umzug hält, hierhin die Gebräuche der
Fastenzeit, der schwäbische Funkensonntag, die Oster- und Johannisfeuer, der
Name der Göttin, nach welcher das christliche Osterfest benannt wurde, hierhin
endlich vor allem die Reste des altgermanischen Julfestes, die uns in den Ge¬
stalten und Gebräuchen, den Spielen und Possen der zwölf Nächte und der
ihnen vorausgehenden Adventszeit, unerklärbar sofern man vom Christenthume
allein Aufschluß verlangt, in reichster Fülle entgegentreten.

Nirgends haben die Fluten des Christenthums und der classischen Bildung,
als sie die alte Zeit unter sich begruben, so große Schichten fossiler Reste der¬
selben zusammengeschwemmt, als um die hohen Feste, die gleich Hügeln über
das Alltagsleben emporragen. Außerordentlich groß ist die Zahl der vom
Volke um die Oster- und Pfingstzeit beobachteten Sitten, welche bei näherem
Zusehen als dem Heidenthume entstammend erkannt werden. Noch bei weitem


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[0492] Verehrung, sondern blos als gutartige Geister auftraten oder sich in Märchen oder Possen versteckten. ' , So kam der alte Glaube nach Verwehen des ersten Sturmes, der über ihn hereinbrach, neben dem neuen in drei Reihen von mythischen Gebilden theilweise wieder zu Ehren. In die erste, welche die vom Christenthume in die Hölle verwiesenen Gottheiten umfaßt, gehören unter andern das wilde Heer, sofern es bloßer grauenvoller Spuk ist, Frau Holle, die den Tannhäuser verlockt, die oberöstreichische Perchtel, Satan mit den Naben Wuotans und dem Bocke Donars und der Teufel, der den Abergläubischen in besondern Nächten den Farnsamen .gibt. Die zweite Reihe begreift in sich die alten Götter, sofern sie in einzelne Heilige der katholischen Kirche oder in die Person Christi selbst aufgegangen sind, die Drachentödter Michael und Georg, Se. Martin, der Wuotans Schimmel reitet und von Donars Bocke begleitet ist, Se. Olaf, der Thors rothen Bart trägt und gleich diesem ein Verfolger der Riesen ist, schließlich mancherlei Züge des Mariencultus, die mit dem zusammen¬ treffen, was in der Urzeit von Frick, Holda oder Bertha galt. Die dritte Reihe dieser bis aus heute lebendig gebliebenen Erinnerungen aus der Heiden¬ zeit umfaßt die Götterbilder und die religiösen Gebräuche, die ihrer Harm¬ losigkeit und ihrer Unverfänglichkeit halber selbst mit dem alten Namen oder doch anklingend an diesen von Seiten des Christenthums Duldung erfuhren, und von denen die ersteren im Aberglauben als eine Art gutartiger Dämonen fortlebten, die letzteren aber als Mummenschanz, Posse oder Spiel im Kreise der Volkssitten sich fortsetzten. Hierhin ist zu rechnen der Wodan, dem der niedersächsische Bauer einen Rest der Ernte für sein Pferd stehen läßt, hierhin der Eber Früh, der im Korne gehen soll, wenn der Wind in dessen Halmen wühlt, hierhin Frau Holle, die in Thüringen die Spinnstuben heimsucht, und die Perchta, izie im Voigtlande und in der Orlagegend mit den Seelen ge¬ storbener Kinder ihren nächtlichen Umzug hält, hierhin die Gebräuche der Fastenzeit, der schwäbische Funkensonntag, die Oster- und Johannisfeuer, der Name der Göttin, nach welcher das christliche Osterfest benannt wurde, hierhin endlich vor allem die Reste des altgermanischen Julfestes, die uns in den Ge¬ stalten und Gebräuchen, den Spielen und Possen der zwölf Nächte und der ihnen vorausgehenden Adventszeit, unerklärbar sofern man vom Christenthume allein Aufschluß verlangt, in reichster Fülle entgegentreten. Nirgends haben die Fluten des Christenthums und der classischen Bildung, als sie die alte Zeit unter sich begruben, so große Schichten fossiler Reste der¬ selben zusammengeschwemmt, als um die hohen Feste, die gleich Hügeln über das Alltagsleben emporragen. Außerordentlich groß ist die Zahl der vom Volke um die Oster- und Pfingstzeit beobachteten Sitten, welche bei näherem Zusehen als dem Heidenthume entstammend erkannt werden. Noch bei weitem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/492>, abgerufen am 22.07.2024.