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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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verspricht sich von dieser Cabinetsmodification, wie ich schon in meinem Wochen¬
bericht äußerte, keine politischen Veränderungen, aber das Ministerium ist da¬
durch seiner Zwitterhaftigkeit ledig geworden, und zu einer festeren Gestaltung
gelangt.




Aus Wien,

--Endlich hat Rußland sich dazu bequemt,
den bekannten vier Präliminargrundlagen beizutreten. Es ist dies am 28. No¬
vember durch Note des Fürsten Gortschakoff, außerordentlichen Gesandten am Wiener
Hofe, an den Minister des kaiserlichen Hauses und des Aeußeren geschehen. Wie
ich höre, erklärt darin der Fürst Namens feines Monarchen rein und einfach, daß
dieser die vier Vorschläge des Wiener Hofes als Ausgangspunkt der Friedensunter-
handlung annehme. Jeder beschränkende oder erläuternde Beisatz fehlt, so daß die
Annahme wirklich so unbedingt und rückhaltslos erscheint, als sie von Oestreich in
seiner Note vom 10. August verlangt worden war. Die Annahme erfolgte gleich¬
sam in der elften Stunde, zwei Tage nach Unterzeichnung des Zusatzartikels zum
Tractate vom 20. April und vier Tage vor jener des Allianztractates zwischen Oest¬
reich und den Westmächten. Es ist klar, daß es nicht einerlei ist, daß Nußland
statt Ende August erst Ende November den Weg, der zur Aussöhnung führen kann,
betritt. Wir vermögen erst dann wirkliche Fncdenshoffnungen zu hegen, wenn ein
Element hinzutritt, das jetzt noch fehlt. Dieses Element heißt Anschließung Preu¬
ßens, dem der Platz dazu offengehalten worden, an die Allianz vom 2. December.
Nur wenn Oestreich und die Wcstmächte sicher ans Preußen als aus einen Freund
und Bundesgenossen rechnen können, wird Rußland die Nothwendigkeit ernstlich er¬
kennen, der Welt den Frieden zu gewähren, den sie bedarf, und werden jene drei
Großmächte mit Vertrauen an das Friedenswerk gehen. Oestreich hat natürlich die
Erklärung des Fürsten Gortschakoff zur Kenntniß seiner Verbündeten gebracht, und
die westlichen Großmächte werden nicht umhin können, das zu thun. was in dem
Allianztractat für den jetzt eingetretenen Fall vorgesehen ist, nämlich sich in
Friedensverhandlungen einzulassen. Um aber die Ueberzeugung zu gewinnen, daß
die Annahme der vier Punkte als Ausgangspunkt der Verhandlungen von Seite
Rußlands keine Finte, kein Versuch blos zur Gewinnung von Zeit und der Meinung
der Welt sei, muß diese Macht ganz isolirt sein, müssen alle Mächte Europas ihm
gegenüber und für das Recht stehen. Solange Preußen nicht der Allianz zwischen
Oestreich und den Westmächtcn beigetreten ist, kann man nicht sagen, daß das
Concert enropvcn vollbracht sei, und wird man stets zu besorgen haben, daß es Ru߬
land nicht ernstlich mit seiner Nachgiebigkeit meint. Es liegt also in Preußens
Händen jetzt insofern eine große Entscheidung als sein Beitritt zu der Allianz mit
den Seemächten die Gewähr geben würde, daß der russische Hof wirklich Frieden
schließen will, und das muß vor allem feststehen, bevor der Friede Zustandekom¬
men kann.

Nachtrag der Redaction. -- Es ist das unzweifelhaft ein großer Erfolg,
den die Haltung des civilisirten Europa über den Uebermuth Rußlands davonge¬
tragen hat. Stellt man dies letzte Factum mit den ersten Noten Nesselrvdcs zu¬
sammen, so ist die moralische Niederlage Rußlands ungeheuer. -- Aber genügt


verspricht sich von dieser Cabinetsmodification, wie ich schon in meinem Wochen¬
bericht äußerte, keine politischen Veränderungen, aber das Ministerium ist da¬
durch seiner Zwitterhaftigkeit ledig geworden, und zu einer festeren Gestaltung
gelangt.




Aus Wien,

—Endlich hat Rußland sich dazu bequemt,
den bekannten vier Präliminargrundlagen beizutreten. Es ist dies am 28. No¬
vember durch Note des Fürsten Gortschakoff, außerordentlichen Gesandten am Wiener
Hofe, an den Minister des kaiserlichen Hauses und des Aeußeren geschehen. Wie
ich höre, erklärt darin der Fürst Namens feines Monarchen rein und einfach, daß
dieser die vier Vorschläge des Wiener Hofes als Ausgangspunkt der Friedensunter-
handlung annehme. Jeder beschränkende oder erläuternde Beisatz fehlt, so daß die
Annahme wirklich so unbedingt und rückhaltslos erscheint, als sie von Oestreich in
seiner Note vom 10. August verlangt worden war. Die Annahme erfolgte gleich¬
sam in der elften Stunde, zwei Tage nach Unterzeichnung des Zusatzartikels zum
Tractate vom 20. April und vier Tage vor jener des Allianztractates zwischen Oest¬
reich und den Westmächten. Es ist klar, daß es nicht einerlei ist, daß Nußland
statt Ende August erst Ende November den Weg, der zur Aussöhnung führen kann,
betritt. Wir vermögen erst dann wirkliche Fncdenshoffnungen zu hegen, wenn ein
Element hinzutritt, das jetzt noch fehlt. Dieses Element heißt Anschließung Preu¬
ßens, dem der Platz dazu offengehalten worden, an die Allianz vom 2. December.
Nur wenn Oestreich und die Wcstmächte sicher ans Preußen als aus einen Freund
und Bundesgenossen rechnen können, wird Rußland die Nothwendigkeit ernstlich er¬
kennen, der Welt den Frieden zu gewähren, den sie bedarf, und werden jene drei
Großmächte mit Vertrauen an das Friedenswerk gehen. Oestreich hat natürlich die
Erklärung des Fürsten Gortschakoff zur Kenntniß seiner Verbündeten gebracht, und
die westlichen Großmächte werden nicht umhin können, das zu thun. was in dem
Allianztractat für den jetzt eingetretenen Fall vorgesehen ist, nämlich sich in
Friedensverhandlungen einzulassen. Um aber die Ueberzeugung zu gewinnen, daß
die Annahme der vier Punkte als Ausgangspunkt der Verhandlungen von Seite
Rußlands keine Finte, kein Versuch blos zur Gewinnung von Zeit und der Meinung
der Welt sei, muß diese Macht ganz isolirt sein, müssen alle Mächte Europas ihm
gegenüber und für das Recht stehen. Solange Preußen nicht der Allianz zwischen
Oestreich und den Westmächtcn beigetreten ist, kann man nicht sagen, daß das
Concert enropvcn vollbracht sei, und wird man stets zu besorgen haben, daß es Ru߬
land nicht ernstlich mit seiner Nachgiebigkeit meint. Es liegt also in Preußens
Händen jetzt insofern eine große Entscheidung als sein Beitritt zu der Allianz mit
den Seemächten die Gewähr geben würde, daß der russische Hof wirklich Frieden
schließen will, und das muß vor allem feststehen, bevor der Friede Zustandekom¬
men kann.

Nachtrag der Redaction. — Es ist das unzweifelhaft ein großer Erfolg,
den die Haltung des civilisirten Europa über den Uebermuth Rußlands davonge¬
tragen hat. Stellt man dies letzte Factum mit den ersten Noten Nesselrvdcs zu¬
sammen, so ist die moralische Niederlage Rußlands ungeheuer. — Aber genügt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/471>, abgerufen am 22.07.2024.