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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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fürchtet wahrscheinlich, Paris ohne Theater könnte sich einem andern gefährlichen
Zeitvertreibe überlassen und sie hält streng darauf, daß die kleinen Theater und
auch daS Theatre fraiwais, die komische Oper u. s, w, nicht geschlossen werden.
Ich habe jüngst sehr beredte Klagen von einem Theaterdirector über dieses
Verhängniß gehört. "Warum sind wir allein verdammt, der Tyrannei dieses
abscheulichen Monates ausgesetzt zu sein!" rief er unter andern, aus. Der
Feuilletonist eines großen Journals, der auch gegenwärtig war, suchte den
armen Theaterdirector zu trösten: "Auch wir leiden unter diesem kaiserlichen
Monate -- auch die Börse -- der Kleinhandel -- kurz das Paris, das Pariser
braucht. Sie -werden sich aber noch mehr wundern^ wenn ich Ihnen sage, daß
die höhere Gastronomie (nicht Astronomie) diesem Monde ebenso feindselige
Gefühle weiht, wie Sie, mon elwr cHrveteui-. Ich habe mir diese meine für
einen Feuilletonisten ganz erstaunungswürdige Gelehrsamkeit aus dem DiLticmnairc-
äe eiüsiriö et ä'öecniomiö menctAero von Zurufe "ex oMewr als dvuekö" geholt.
Diese Encyklopädie, welche an scharssinnigenDefinitionen und an pittoresken Stile
dem Wörterbuche der Akademie wenig nachgibt, bringt unter dem Artikel Calendier
eine gastronomische Würdigung der zwölf Monate. Der arme Monat August
wird in folgender Weise abgefertigt: "Man wundert sich, daß Augustus, der
für einen Gourmand und für einen Sinnenmenschen gilt, sich dazu hergegeben
habe, diesem schlechten Monate August zur Taufe zu stehen. Was hat die
Saison der Seidenhasen, der jungen Kaninchen, der Rebhühner und der Ferkel
mit dem Beschützer von Horaz und Virgil gemein? Ich weiß es nicht, aber
ich weiß, daß im Monate August alle Töpfe, die auf ihre Ehre halten, um¬
gestürzt sind. Es ist ein allgemeines sauvs ani port und jedermann flüchtet
sich auf sein Schloß. Nun beginnt eine allgemeine Entvölkerung, eine wahre
mgssaLi'L ach iiwveenL. Eine ganze Generation wird getödtet. Die Hoffnung
der Ebenen, der Wälder und unsrer Tische wird vernichtet. Haltet ein,
Barbaren! Dieses junge Kaninchen, das heute noch so fade ist, wird in
einem Monate ein wohlschmeckender Bissen geworden sein. Dieser junge Hase,
den Du heute ohne Vergnügen verspeisest, hätte für Dich sein großmüthiges
Fleisch gestärkt. Sie hören mich nicht', mit Ludwig XV. rufen sie aus
-- das wird immer noch solange dauern als ich!... Aber Deine
Söhne, sollen sie ohne Wildpret leben? Selbst das Ferkel, dieses graziöse und
furchtsame Thier, wird nicht verschont! Grausamer! Was wirst Du seiner inter¬
essanten Mutter antworten, wenn Dich ihr Geschrei anklagt? Verblendeter,
der Du bist, spricht denn nicht dein eignes Interesse für die Unschuld? Dieses
Ferkel, das Du in sein glänzendes Goldbrocat gehüllt auftischst, es würde Dir
zwei Schinken, ein Schweinsmaul, Schweinsohren, Schweinsfüße, Speck, Blut¬
würste, Leberwürste, eine Zunge u. s. ". geboten haben. Hast Du denn
niemals über den guten Lafontaine nachgedacht? Kennst Du denn die Henne


fürchtet wahrscheinlich, Paris ohne Theater könnte sich einem andern gefährlichen
Zeitvertreibe überlassen und sie hält streng darauf, daß die kleinen Theater und
auch daS Theatre fraiwais, die komische Oper u. s, w, nicht geschlossen werden.
Ich habe jüngst sehr beredte Klagen von einem Theaterdirector über dieses
Verhängniß gehört. „Warum sind wir allein verdammt, der Tyrannei dieses
abscheulichen Monates ausgesetzt zu sein!" rief er unter andern, aus. Der
Feuilletonist eines großen Journals, der auch gegenwärtig war, suchte den
armen Theaterdirector zu trösten: „Auch wir leiden unter diesem kaiserlichen
Monate — auch die Börse — der Kleinhandel — kurz das Paris, das Pariser
braucht. Sie -werden sich aber noch mehr wundern^ wenn ich Ihnen sage, daß
die höhere Gastronomie (nicht Astronomie) diesem Monde ebenso feindselige
Gefühle weiht, wie Sie, mon elwr cHrveteui-. Ich habe mir diese meine für
einen Feuilletonisten ganz erstaunungswürdige Gelehrsamkeit aus dem DiLticmnairc-
äe eiüsiriö et ä'öecniomiö menctAero von Zurufe „ex oMewr als dvuekö" geholt.
Diese Encyklopädie, welche an scharssinnigenDefinitionen und an pittoresken Stile
dem Wörterbuche der Akademie wenig nachgibt, bringt unter dem Artikel Calendier
eine gastronomische Würdigung der zwölf Monate. Der arme Monat August
wird in folgender Weise abgefertigt: „Man wundert sich, daß Augustus, der
für einen Gourmand und für einen Sinnenmenschen gilt, sich dazu hergegeben
habe, diesem schlechten Monate August zur Taufe zu stehen. Was hat die
Saison der Seidenhasen, der jungen Kaninchen, der Rebhühner und der Ferkel
mit dem Beschützer von Horaz und Virgil gemein? Ich weiß es nicht, aber
ich weiß, daß im Monate August alle Töpfe, die auf ihre Ehre halten, um¬
gestürzt sind. Es ist ein allgemeines sauvs ani port und jedermann flüchtet
sich auf sein Schloß. Nun beginnt eine allgemeine Entvölkerung, eine wahre
mgssaLi'L ach iiwveenL. Eine ganze Generation wird getödtet. Die Hoffnung
der Ebenen, der Wälder und unsrer Tische wird vernichtet. Haltet ein,
Barbaren! Dieses junge Kaninchen, das heute noch so fade ist, wird in
einem Monate ein wohlschmeckender Bissen geworden sein. Dieser junge Hase,
den Du heute ohne Vergnügen verspeisest, hätte für Dich sein großmüthiges
Fleisch gestärkt. Sie hören mich nicht', mit Ludwig XV. rufen sie aus
— das wird immer noch solange dauern als ich!... Aber Deine
Söhne, sollen sie ohne Wildpret leben? Selbst das Ferkel, dieses graziöse und
furchtsame Thier, wird nicht verschont! Grausamer! Was wirst Du seiner inter¬
essanten Mutter antworten, wenn Dich ihr Geschrei anklagt? Verblendeter,
der Du bist, spricht denn nicht dein eignes Interesse für die Unschuld? Dieses
Ferkel, das Du in sein glänzendes Goldbrocat gehüllt auftischst, es würde Dir
zwei Schinken, ein Schweinsmaul, Schweinsohren, Schweinsfüße, Speck, Blut¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/46>, abgerufen am 03.07.2024.