Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

tellectueller Cultur und bei der sich stets mehr verbreitenden Entwicklung der
physischen und technischen, wie bei der Vervielfältigung der verschiedenen Zweige
des Verkehrs die natürliche ethnographische Verschiedenheit zu einer politischen
Einheit verbinden, -- Oestreichs Ausgabe hinsichtlich der die Centralisation
durchführenden Maßregeln mag immerhin schwierig sein, ein Großes ist
es schon, sie als hervorragendes Staatsprincip aufgestellt zu haben, und in
Hinblick auf die politische Bedeutung desselben bei der Durchführung zu be¬
harren."

Bei dieser Uebereinstimmung in dem leitenden Grundgedanken muß es auf¬
fallen, daß der Verfasser zu einem dem unsrigen ganz entgegengesetzten Resultat
kommt. Er hält eine constitutionelle Verfassung Oestreichs für schädlich, ja sür
unmöglich, und glaubt die Einheit des Staatsprincips durch die Kräftigung der
monarchischen Gewalt genügend durchgeführt. Als einzigen Grund jener Un¬
möglichkeit hebt er die Verschiedenheit der Volksstämme hervor, wobei er bei¬
läufig nicht sehr glücklich ist. Er classificirt die Einwohner Oestreichs nach den
vier Hauptstämmen in 16 Millionen Slawen, 8 Millionen Deutsche, 8 Millionen
Romanen und 6 Millionen "Individuen ursprünglich astatischer Stämme"; unter
die' letztgenannten Individuen rechnet er unter andern die Ungarn und--die
Juden!! Unter den Romanen begreift er die Walachen und die Italiener! -- Eine
solche Gliederung nach sprachlichen Verwandtschaften ist verkehrt und schädlich,
weil sie ein ganz falsches Bild von der politischen Lage des Reichs gibt. Nach
dieser Gruppirung müßte man glauben, Oestreich wäre ein slawischer Staat,
in welchem die Deutschen eine untergeordnete Rolle spielten, ungefähr wie die
Italiener. Daß aber diese Auffassung eine vollkommen falsche ist, daß keine
einzige dieser Völkerschaften, am wenigsten diese massenhaften Collectivbegriffe,
irgendeine politische Berechtigung haben kann, und daß Oestreich daher als
ein deutscher Staat angesehen werden muß, der die Ausgabe hat, sich die fremd¬
artigen Elemente allmälig zu assimiliren, darüber wird das gegenwärtige Mini¬
sterium am wenigsten in Zweifel sein. In der vormärzlichen Zeit, wo man
von oben her die nationalen und politischen Sonderungen begünstigte, konnte
man sich in solchen Illusionen wiegen; jetzt aber, wo das Panier der Gesammt-
monarchie aufgestellt/ist, wären sie verhängnißvoll.

Allerdings wird die constitutionelle Verfassung, wie die Idee des Einheits¬
staates überhaupt, durch die Verschiedenheit der Elemente, aus denen Oestreich
zrrsammengesetzt ist, erschwert: aber um so dringender ist es geboten,
das nothwendige Werk schnell in Angriff zu nehmen und den
günstigen Moment entschlossen zu ergreifen. Es kann aber kein gün¬
stigerer Moment gedacht werden, als der gegenwärtige. Die Allianz mit den
Westmächten ist geschlossen, das deutsche Volk sieht dem Vorgehen Oestreichs
mit Theilnahme zu, und das östreichische Volk ist durch die Größe des Augen-


tellectueller Cultur und bei der sich stets mehr verbreitenden Entwicklung der
physischen und technischen, wie bei der Vervielfältigung der verschiedenen Zweige
des Verkehrs die natürliche ethnographische Verschiedenheit zu einer politischen
Einheit verbinden, — Oestreichs Ausgabe hinsichtlich der die Centralisation
durchführenden Maßregeln mag immerhin schwierig sein, ein Großes ist
es schon, sie als hervorragendes Staatsprincip aufgestellt zu haben, und in
Hinblick auf die politische Bedeutung desselben bei der Durchführung zu be¬
harren."

Bei dieser Uebereinstimmung in dem leitenden Grundgedanken muß es auf¬
fallen, daß der Verfasser zu einem dem unsrigen ganz entgegengesetzten Resultat
kommt. Er hält eine constitutionelle Verfassung Oestreichs für schädlich, ja sür
unmöglich, und glaubt die Einheit des Staatsprincips durch die Kräftigung der
monarchischen Gewalt genügend durchgeführt. Als einzigen Grund jener Un¬
möglichkeit hebt er die Verschiedenheit der Volksstämme hervor, wobei er bei¬
läufig nicht sehr glücklich ist. Er classificirt die Einwohner Oestreichs nach den
vier Hauptstämmen in 16 Millionen Slawen, 8 Millionen Deutsche, 8 Millionen
Romanen und 6 Millionen „Individuen ursprünglich astatischer Stämme"; unter
die' letztgenannten Individuen rechnet er unter andern die Ungarn und--die
Juden!! Unter den Romanen begreift er die Walachen und die Italiener! — Eine
solche Gliederung nach sprachlichen Verwandtschaften ist verkehrt und schädlich,
weil sie ein ganz falsches Bild von der politischen Lage des Reichs gibt. Nach
dieser Gruppirung müßte man glauben, Oestreich wäre ein slawischer Staat,
in welchem die Deutschen eine untergeordnete Rolle spielten, ungefähr wie die
Italiener. Daß aber diese Auffassung eine vollkommen falsche ist, daß keine
einzige dieser Völkerschaften, am wenigsten diese massenhaften Collectivbegriffe,
irgendeine politische Berechtigung haben kann, und daß Oestreich daher als
ein deutscher Staat angesehen werden muß, der die Ausgabe hat, sich die fremd¬
artigen Elemente allmälig zu assimiliren, darüber wird das gegenwärtige Mini¬
sterium am wenigsten in Zweifel sein. In der vormärzlichen Zeit, wo man
von oben her die nationalen und politischen Sonderungen begünstigte, konnte
man sich in solchen Illusionen wiegen; jetzt aber, wo das Panier der Gesammt-
monarchie aufgestellt/ist, wären sie verhängnißvoll.

Allerdings wird die constitutionelle Verfassung, wie die Idee des Einheits¬
staates überhaupt, durch die Verschiedenheit der Elemente, aus denen Oestreich
zrrsammengesetzt ist, erschwert: aber um so dringender ist es geboten,
das nothwendige Werk schnell in Angriff zu nehmen und den
günstigen Moment entschlossen zu ergreifen. Es kann aber kein gün¬
stigerer Moment gedacht werden, als der gegenwärtige. Die Allianz mit den
Westmächten ist geschlossen, das deutsche Volk sieht dem Vorgehen Oestreichs
mit Theilnahme zu, und das östreichische Volk ist durch die Größe des Augen-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0456" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98770"/>
          <p xml:id="ID_1441" prev="#ID_1440"> tellectueller Cultur und bei der sich stets mehr verbreitenden Entwicklung der<lb/>
physischen und technischen, wie bei der Vervielfältigung der verschiedenen Zweige<lb/>
des Verkehrs die natürliche ethnographische Verschiedenheit zu einer politischen<lb/>
Einheit verbinden, &#x2014; Oestreichs Ausgabe hinsichtlich der die Centralisation<lb/>
durchführenden Maßregeln mag immerhin schwierig sein, ein Großes ist<lb/>
es schon, sie als hervorragendes Staatsprincip aufgestellt zu haben, und in<lb/>
Hinblick auf die politische Bedeutung desselben bei der Durchführung zu be¬<lb/>
harren."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1442"> Bei dieser Uebereinstimmung in dem leitenden Grundgedanken muß es auf¬<lb/>
fallen, daß der Verfasser zu einem dem unsrigen ganz entgegengesetzten Resultat<lb/>
kommt. Er hält eine constitutionelle Verfassung Oestreichs für schädlich, ja sür<lb/>
unmöglich, und glaubt die Einheit des Staatsprincips durch die Kräftigung der<lb/>
monarchischen Gewalt genügend durchgeführt. Als einzigen Grund jener Un¬<lb/>
möglichkeit hebt er die Verschiedenheit der Volksstämme hervor, wobei er bei¬<lb/>
läufig nicht sehr glücklich ist. Er classificirt die Einwohner Oestreichs nach den<lb/>
vier Hauptstämmen in 16 Millionen Slawen, 8 Millionen Deutsche, 8 Millionen<lb/>
Romanen und 6 Millionen &#x201E;Individuen ursprünglich astatischer Stämme"; unter<lb/>
die' letztgenannten Individuen rechnet er unter andern die Ungarn und--die<lb/>
Juden!! Unter den Romanen begreift er die Walachen und die Italiener! &#x2014; Eine<lb/>
solche Gliederung nach sprachlichen Verwandtschaften ist verkehrt und schädlich,<lb/>
weil sie ein ganz falsches Bild von der politischen Lage des Reichs gibt. Nach<lb/>
dieser Gruppirung müßte man glauben, Oestreich wäre ein slawischer Staat,<lb/>
in welchem die Deutschen eine untergeordnete Rolle spielten, ungefähr wie die<lb/>
Italiener. Daß aber diese Auffassung eine vollkommen falsche ist, daß keine<lb/>
einzige dieser Völkerschaften, am wenigsten diese massenhaften Collectivbegriffe,<lb/>
irgendeine politische Berechtigung haben kann, und daß Oestreich daher als<lb/>
ein deutscher Staat angesehen werden muß, der die Ausgabe hat, sich die fremd¬<lb/>
artigen Elemente allmälig zu assimiliren, darüber wird das gegenwärtige Mini¬<lb/>
sterium am wenigsten in Zweifel sein. In der vormärzlichen Zeit, wo man<lb/>
von oben her die nationalen und politischen Sonderungen begünstigte, konnte<lb/>
man sich in solchen Illusionen wiegen; jetzt aber, wo das Panier der Gesammt-<lb/>
monarchie aufgestellt/ist, wären sie verhängnißvoll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1443" next="#ID_1444"> Allerdings wird die constitutionelle Verfassung, wie die Idee des Einheits¬<lb/>
staates überhaupt, durch die Verschiedenheit der Elemente, aus denen Oestreich<lb/>
zrrsammengesetzt ist, erschwert: aber um so dringender ist es geboten,<lb/>
das nothwendige Werk schnell in Angriff zu nehmen und den<lb/>
günstigen Moment entschlossen zu ergreifen. Es kann aber kein gün¬<lb/>
stigerer Moment gedacht werden, als der gegenwärtige. Die Allianz mit den<lb/>
Westmächten ist geschlossen, das deutsche Volk sieht dem Vorgehen Oestreichs<lb/>
mit Theilnahme zu, und das östreichische Volk ist durch die Größe des Augen-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0456] tellectueller Cultur und bei der sich stets mehr verbreitenden Entwicklung der physischen und technischen, wie bei der Vervielfältigung der verschiedenen Zweige des Verkehrs die natürliche ethnographische Verschiedenheit zu einer politischen Einheit verbinden, — Oestreichs Ausgabe hinsichtlich der die Centralisation durchführenden Maßregeln mag immerhin schwierig sein, ein Großes ist es schon, sie als hervorragendes Staatsprincip aufgestellt zu haben, und in Hinblick auf die politische Bedeutung desselben bei der Durchführung zu be¬ harren." Bei dieser Uebereinstimmung in dem leitenden Grundgedanken muß es auf¬ fallen, daß der Verfasser zu einem dem unsrigen ganz entgegengesetzten Resultat kommt. Er hält eine constitutionelle Verfassung Oestreichs für schädlich, ja sür unmöglich, und glaubt die Einheit des Staatsprincips durch die Kräftigung der monarchischen Gewalt genügend durchgeführt. Als einzigen Grund jener Un¬ möglichkeit hebt er die Verschiedenheit der Volksstämme hervor, wobei er bei¬ läufig nicht sehr glücklich ist. Er classificirt die Einwohner Oestreichs nach den vier Hauptstämmen in 16 Millionen Slawen, 8 Millionen Deutsche, 8 Millionen Romanen und 6 Millionen „Individuen ursprünglich astatischer Stämme"; unter die' letztgenannten Individuen rechnet er unter andern die Ungarn und--die Juden!! Unter den Romanen begreift er die Walachen und die Italiener! — Eine solche Gliederung nach sprachlichen Verwandtschaften ist verkehrt und schädlich, weil sie ein ganz falsches Bild von der politischen Lage des Reichs gibt. Nach dieser Gruppirung müßte man glauben, Oestreich wäre ein slawischer Staat, in welchem die Deutschen eine untergeordnete Rolle spielten, ungefähr wie die Italiener. Daß aber diese Auffassung eine vollkommen falsche ist, daß keine einzige dieser Völkerschaften, am wenigsten diese massenhaften Collectivbegriffe, irgendeine politische Berechtigung haben kann, und daß Oestreich daher als ein deutscher Staat angesehen werden muß, der die Ausgabe hat, sich die fremd¬ artigen Elemente allmälig zu assimiliren, darüber wird das gegenwärtige Mini¬ sterium am wenigsten in Zweifel sein. In der vormärzlichen Zeit, wo man von oben her die nationalen und politischen Sonderungen begünstigte, konnte man sich in solchen Illusionen wiegen; jetzt aber, wo das Panier der Gesammt- monarchie aufgestellt/ist, wären sie verhängnißvoll. Allerdings wird die constitutionelle Verfassung, wie die Idee des Einheits¬ staates überhaupt, durch die Verschiedenheit der Elemente, aus denen Oestreich zrrsammengesetzt ist, erschwert: aber um so dringender ist es geboten, das nothwendige Werk schnell in Angriff zu nehmen und den günstigen Moment entschlossen zu ergreifen. Es kann aber kein gün¬ stigerer Moment gedacht werden, als der gegenwärtige. Die Allianz mit den Westmächten ist geschlossen, das deutsche Volk sieht dem Vorgehen Oestreichs mit Theilnahme zu, und das östreichische Volk ist durch die Größe des Augen-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/456
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/456>, abgerufen am 30.09.2024.