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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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kirchlichen in Verbindung setzen und jenen Zustand herbeiführen, in dem jeder
aufgeklärte Denker im Interesse seiner eignen Kirche auch das Gedeihen der
andern wünscht; ein Zustand, den im gegenwärtigen Augenblick, wo die Gegen¬
sätze noch durch keinen allgemein anerkannten Vertrag ausgeglichen sind, der
Consistorialrath Stahl zu früh empfiehlt.---

----Nachdem wir das Vorstehende niedergeschrieben, kommt uns eine
Schrift zu Händen, die das angeregte Thema mit speciellerem Eingehen auf
die Sache behandelt: Was hat Oestreich infolge der Jahre 18i8 und
1849 durch seine Regierung errungen? Ein Beitrag zur Politik und
Staatskunde von Dr. I. Dede, kaiserlich russischem Hofrath und Docenten
an der Universität Dorpat. Leipzig, C. Geibel. Die Schrift ist sehr beach¬
tungswerth, da der Versasser ohne Zweifel aus officiellen Quellen geschöpft hat.
Die Verdienste des gegenwärtigen Ministeriums um die Hebung des Staats
sind in der That sehr bedeutend, und wenn man die Kürze der Zeit und iM
Drang der Umstände in Rechnung zieht, erstaunenswert!). Die Grundentlastung
und Selbstständigkeit des Bauernstandes ist mit einer Entschiedenheit und Folge¬
richtigkeit durchgeführt, in welcher die Grundsätze des Rechts und der nationalen
Wohlfahrt gleichmäßig beachtet worden sind. In allen Zweigen der Staats¬
verwaltung sind wesentliche Verbesserungen eingeführt, und an die Stelle der
früheren gemüthlichen Unbefangenheit, durch welche die geschriebenen Bestim¬
mungen von dem wirklichen Zustand der Dinge wesentlich abwichen, sind recht¬
lich normirte Ordnungen getreten. In der Finanzverwaltung ist durch zweck¬
mäßigere Vertheilung der Steuern ein Fortschritt wenigstens angebahnt; für
die volkswirthschaftlichen Interessen ist durch Erleichterung des Verkehrs, durch
Vermehrung der Verkehrsmittel und durch Verträge mit den benachbarten
Staaten soviel als thunlich gesorgt. Die Wehrkraft, die stets die beste Seite
des östreichischen Staatslebens war, ist in guter Ordnung erhalten, und die
Fortschritte der Kriegswissenschaft sind auf sie in Anwendung gebracht. Das alles
sind sehr wesentliche und eingreifende Verbesserungen, für welche die östreichische
Negierung volle Anerkennung verdient; aber als die Hauptsache stellt der Ver¬
fasser gleich uns die Einheit des politischen Grundgedankens dar. "Die östrei¬
chische Regierung hat in ihrer legislatorischen Thätigkeit diejenigen Maßregeln
theils angebahnt, theils durchgeführt, welche es bezwecken, die Einheit des Reichs
zu verwirklichen und durch die Gemeinsamkeit der Interessen zu vermitteln. Auf
diese Weise wird zugleich der Begriff einer politischen, östreichischen Na¬
tionalität wieder ausgebildet, welche in eigenthümlicher Sprache und Sitte
keine abschließenden Schranken erblickt, und aus dem erhebenden Bewußtsein,
einem großen, durch die politische und sociale Vereinigung gekräftigten, starken
und dauerhaften Staatsorganismus anzugehören, hervorgeht. Denn die an¬
genommene Form der vereinten Kraft wird bei zunehmender sittlicher und in-


kirchlichen in Verbindung setzen und jenen Zustand herbeiführen, in dem jeder
aufgeklärte Denker im Interesse seiner eignen Kirche auch das Gedeihen der
andern wünscht; ein Zustand, den im gegenwärtigen Augenblick, wo die Gegen¬
sätze noch durch keinen allgemein anerkannten Vertrag ausgeglichen sind, der
Consistorialrath Stahl zu früh empfiehlt.---

----Nachdem wir das Vorstehende niedergeschrieben, kommt uns eine
Schrift zu Händen, die das angeregte Thema mit speciellerem Eingehen auf
die Sache behandelt: Was hat Oestreich infolge der Jahre 18i8 und
1849 durch seine Regierung errungen? Ein Beitrag zur Politik und
Staatskunde von Dr. I. Dede, kaiserlich russischem Hofrath und Docenten
an der Universität Dorpat. Leipzig, C. Geibel. Die Schrift ist sehr beach¬
tungswerth, da der Versasser ohne Zweifel aus officiellen Quellen geschöpft hat.
Die Verdienste des gegenwärtigen Ministeriums um die Hebung des Staats
sind in der That sehr bedeutend, und wenn man die Kürze der Zeit und iM
Drang der Umstände in Rechnung zieht, erstaunenswert!). Die Grundentlastung
und Selbstständigkeit des Bauernstandes ist mit einer Entschiedenheit und Folge¬
richtigkeit durchgeführt, in welcher die Grundsätze des Rechts und der nationalen
Wohlfahrt gleichmäßig beachtet worden sind. In allen Zweigen der Staats¬
verwaltung sind wesentliche Verbesserungen eingeführt, und an die Stelle der
früheren gemüthlichen Unbefangenheit, durch welche die geschriebenen Bestim¬
mungen von dem wirklichen Zustand der Dinge wesentlich abwichen, sind recht¬
lich normirte Ordnungen getreten. In der Finanzverwaltung ist durch zweck¬
mäßigere Vertheilung der Steuern ein Fortschritt wenigstens angebahnt; für
die volkswirthschaftlichen Interessen ist durch Erleichterung des Verkehrs, durch
Vermehrung der Verkehrsmittel und durch Verträge mit den benachbarten
Staaten soviel als thunlich gesorgt. Die Wehrkraft, die stets die beste Seite
des östreichischen Staatslebens war, ist in guter Ordnung erhalten, und die
Fortschritte der Kriegswissenschaft sind auf sie in Anwendung gebracht. Das alles
sind sehr wesentliche und eingreifende Verbesserungen, für welche die östreichische
Negierung volle Anerkennung verdient; aber als die Hauptsache stellt der Ver¬
fasser gleich uns die Einheit des politischen Grundgedankens dar. „Die östrei¬
chische Regierung hat in ihrer legislatorischen Thätigkeit diejenigen Maßregeln
theils angebahnt, theils durchgeführt, welche es bezwecken, die Einheit des Reichs
zu verwirklichen und durch die Gemeinsamkeit der Interessen zu vermitteln. Auf
diese Weise wird zugleich der Begriff einer politischen, östreichischen Na¬
tionalität wieder ausgebildet, welche in eigenthümlicher Sprache und Sitte
keine abschließenden Schranken erblickt, und aus dem erhebenden Bewußtsein,
einem großen, durch die politische und sociale Vereinigung gekräftigten, starken
und dauerhaften Staatsorganismus anzugehören, hervorgeht. Denn die an¬
genommene Form der vereinten Kraft wird bei zunehmender sittlicher und in-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/455>, abgerufen am 22.07.2024.