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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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rigkeiten würde die zweite Kammer machen, da wenigstens in einem Theil des
Landes, in Ungarn, die bisher constituirten Gemeinde- und Kreisverbände
aufgehoben sind. Wenn man aber nur nicht von dem falschen Princip aus¬
geht, daß jedes einzelne Individuum des Staats an den Wahlen betheiligt
sein müsse, so werden sich noch natürliche Gliederungen genug vorfinden, aus
denen eine Repräsentation nicht künstlich, sondern natürlich hervorgehen kann.
Eine Landesvertretung Oestreichs muß sich aus dieselbe Weise entwickeln, wie es
in England geschehen ist. Sie muß nichts Anderes vertreten wollen, als was
zu vertreten ist, d. h. was eine Organisation hat, mit dem Vorbehalt, daß
auf eine jede Erweiterung des Gemeindelebens in Stadt und Land auch eine
Modification der Vertretung erfolgt.

Der Hauptgewinn einer solchen Vertretung wird zunächst nicht der sein,
daß bessere Gesetze gemacht, daß Uebelstände aus der Verwaltung entfernt wer¬
den u. s. w., obgleich sich auch hier ein segensreicher Einfluß gewiß fühlbar
machen wird, namentlich wenn die Negierung in Erwägung zieht, daß ihre
Staatszwecke auch noch andren Feinden begegnen, als den Jacobinern, und
daß sie gegen die ersteren keine kräftigere Stütze finden kann> als eine gesund
organisirte Landesvertretung. Aber man muß in dieser Beziehung von den
Anfängen einer parlamentarischen Verfassung nicht zu viel erwarten. Es wer¬
den sich die zahlreichsten Mißgriffe herausstellen, und die bisherige anorganische
Zusammenfügung der verschiedenen Elemente Oestreichs wird sich geltendmachen.
-- Allein die Hauptaufgabe der neuen Landesvertretung soll sein, in Oestreich
ein wirkliches Nationalgifühl hervorzurufen, was auf militärische Weise allein
nie vollständig geschehen wird. Die gebildeten Classen des Volks sollen sich
mit ihren Hoffnungen, Wünschen und Anforderungen nicht mehr, wie früher,
an eine geheimnißvolle, unbekannte Macht richten, die von oben oder von unten
alles Bestehende über den Haufen wirst, nicht mehr an die chimärische Befreiung
von Sondernationalitäten und Nationalitätchen, die zu ihrer staatlichen Existenz
kein historisches und kein natürliches Recht haben, sondern an ein wirklich na¬
tionales Institut, das zuerst bei den Wahlen alle Interessen beschäftigt und
dann bei der Oeffentlichkeit seiner Verhandlungen jedem einzelnen das Gefühl
gibt, als wirke er selbst dabei. Nebenbei wird der Vortheil nicht gering an¬
zuschlagen sein, daß dieses Institut nothwendig ein deutsches sein wird. Wer
nicht Deutsch versteht, dem wird der Eintritt in dasselbe verschlossen bleiben. --
Man verbindet mit dem Begriff der Germanisirung in der Regel viel zu weit¬
gehende Vorstellungen. Die wirkliche Landessprache der einzelnen Völkerschaften
durch die deutsche zu ersetzen, ist ein thörichtes Vorhaben, welches niemals durch¬
zuführen ist und nur eine Reaction hervorruft; aber das Deutsche zur Bildungs¬
sprache zu machen, wie es bis jetzt leider die sanzösische war, ist nicht nur
möglich, sondern es ist nothwendig. Aus diese Weise wird sich die deutsche


rigkeiten würde die zweite Kammer machen, da wenigstens in einem Theil des
Landes, in Ungarn, die bisher constituirten Gemeinde- und Kreisverbände
aufgehoben sind. Wenn man aber nur nicht von dem falschen Princip aus¬
geht, daß jedes einzelne Individuum des Staats an den Wahlen betheiligt
sein müsse, so werden sich noch natürliche Gliederungen genug vorfinden, aus
denen eine Repräsentation nicht künstlich, sondern natürlich hervorgehen kann.
Eine Landesvertretung Oestreichs muß sich aus dieselbe Weise entwickeln, wie es
in England geschehen ist. Sie muß nichts Anderes vertreten wollen, als was
zu vertreten ist, d. h. was eine Organisation hat, mit dem Vorbehalt, daß
auf eine jede Erweiterung des Gemeindelebens in Stadt und Land auch eine
Modification der Vertretung erfolgt.

Der Hauptgewinn einer solchen Vertretung wird zunächst nicht der sein,
daß bessere Gesetze gemacht, daß Uebelstände aus der Verwaltung entfernt wer¬
den u. s. w., obgleich sich auch hier ein segensreicher Einfluß gewiß fühlbar
machen wird, namentlich wenn die Negierung in Erwägung zieht, daß ihre
Staatszwecke auch noch andren Feinden begegnen, als den Jacobinern, und
daß sie gegen die ersteren keine kräftigere Stütze finden kann> als eine gesund
organisirte Landesvertretung. Aber man muß in dieser Beziehung von den
Anfängen einer parlamentarischen Verfassung nicht zu viel erwarten. Es wer¬
den sich die zahlreichsten Mißgriffe herausstellen, und die bisherige anorganische
Zusammenfügung der verschiedenen Elemente Oestreichs wird sich geltendmachen.
— Allein die Hauptaufgabe der neuen Landesvertretung soll sein, in Oestreich
ein wirkliches Nationalgifühl hervorzurufen, was auf militärische Weise allein
nie vollständig geschehen wird. Die gebildeten Classen des Volks sollen sich
mit ihren Hoffnungen, Wünschen und Anforderungen nicht mehr, wie früher,
an eine geheimnißvolle, unbekannte Macht richten, die von oben oder von unten
alles Bestehende über den Haufen wirst, nicht mehr an die chimärische Befreiung
von Sondernationalitäten und Nationalitätchen, die zu ihrer staatlichen Existenz
kein historisches und kein natürliches Recht haben, sondern an ein wirklich na¬
tionales Institut, das zuerst bei den Wahlen alle Interessen beschäftigt und
dann bei der Oeffentlichkeit seiner Verhandlungen jedem einzelnen das Gefühl
gibt, als wirke er selbst dabei. Nebenbei wird der Vortheil nicht gering an¬
zuschlagen sein, daß dieses Institut nothwendig ein deutsches sein wird. Wer
nicht Deutsch versteht, dem wird der Eintritt in dasselbe verschlossen bleiben. —
Man verbindet mit dem Begriff der Germanisirung in der Regel viel zu weit¬
gehende Vorstellungen. Die wirkliche Landessprache der einzelnen Völkerschaften
durch die deutsche zu ersetzen, ist ein thörichtes Vorhaben, welches niemals durch¬
zuführen ist und nur eine Reaction hervorruft; aber das Deutsche zur Bildungs¬
sprache zu machen, wie es bis jetzt leider die sanzösische war, ist nicht nur
möglich, sondern es ist nothwendig. Aus diese Weise wird sich die deutsche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/452>, abgerufen am 22.07.2024.