Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

den Regierungskreisen, weil man bei einer Verfassung sofort an Jacobiner
denkt; unter den Liberalen einerseits, weil die Charte vom 4. März mit sehr
schlimmen Erinnerungen zusammenhängt, andrerseits, weil die schwarzroth-
goldenen Ideen des Jahres -1848 mit der verfassungsmäßigen Constituirung
Gesammtöstreichs unvereinbar waren.

Allein seit der Zeit haben sich die Umstände so verändert, daß man nach
beiden Seiten hin diese Vorurtheile wol aufgeben sollte.

Die erste conftituirende Versammlung Oestreichs, die gewaltsam ausgelöst
werden mußte, war, wie alle Versammlungen jener Zeit, im wesentlichen nichts
Anderes, als eine Constituirung der Opposition oder vielmehr der verschiedenen
Oppositionen, denn die Wünsche und Forderungen derselben waren zum großen
Theil widersprechend; sie beruhte auf einem falschen Prineip, auf dem allge¬
meinen Wahlrecht und schloß die höchsten Staatskräste des Kaiserstaats aus.
Sie war von den Ideen der Volkssouveränetät inficirt, das heißt, sie strebte
nicht blos nach dem ihr gebührenden Antheil an der Gesetzgebung, sondern
auch nach einem Antheil an der Regierung. Sie wirkte endlich nicht für die
Einheit Oestreichs, sondern für die Trennung, denn die wichtigsten Kronlän¬
der waren in ihr nicht vertreten. Daß eine Verfassung, die sich auf solche
Voraussetzungen bezog, fallen gelassen wurde, hat niemanden beeinträchtigt,
und niemand hat sich darum gegrämt. >

Von dem allen ist gegenwärtig nicht mehr die Rede. An eine auf Volks¬
souveränetät basirte conftituirende Versammlung, die den Staat gewissermaßen
erst neu einrichten sollte, denkt niemand mehr, der Staat ist eingerichtet und
kann die ständischen Institutionen aus sich heraus organisch entwickeln. Die
breiteste Grundlage der Demokratie ist völlig in Verruf gekommen, und es
fällt niemand mehr ein, das Volk in den Massen zu sehen. Die Regie¬
rung ist von keiner Seite her gedrängt, sie kann also ihr Werk mit Ruhe
und Ueberlegung in Angriff nehmen und ihm eine solche Form geben, die alle
schädlichen Einflüsse ausschließt, und was das Wichtigste ist, Oestreich besitzt
die Elemente einer ständischen Verfassung, die andere Staaten erst mühsam suchen
müssen, in hinreichendem Maße.

Oestreich besitzt zunächst eine Aristokratie, die mächtiger ist, als die irgend¬
eines andern Landes, selbst England nicht ausgenommen. Während andere
Staaten, z. B. Preußen, eine erste Kammer nur durch die allerkünstlichsten
Berechnungen zusammenfinden können, darf Oestreich nur einfach nehmen, was
es hat, um ein Oberhaus zu besitzen, welches die wirkliche Kraft des Staats
repräsentirt. Nimmt man zur Aristokratie noch die kirchlichen Würdenträger und
die Notabilitäten des Landes, die zunächst freilich vorzugsweise nur im Militär¬
stande zu suchen sein werden, so erhält man eine Kammer, die Macht und
Intelligenz, Unabhängigkeit und Loyalität in sich vereinigt. Mehr Schwie-


ö6 *

den Regierungskreisen, weil man bei einer Verfassung sofort an Jacobiner
denkt; unter den Liberalen einerseits, weil die Charte vom 4. März mit sehr
schlimmen Erinnerungen zusammenhängt, andrerseits, weil die schwarzroth-
goldenen Ideen des Jahres -1848 mit der verfassungsmäßigen Constituirung
Gesammtöstreichs unvereinbar waren.

Allein seit der Zeit haben sich die Umstände so verändert, daß man nach
beiden Seiten hin diese Vorurtheile wol aufgeben sollte.

Die erste conftituirende Versammlung Oestreichs, die gewaltsam ausgelöst
werden mußte, war, wie alle Versammlungen jener Zeit, im wesentlichen nichts
Anderes, als eine Constituirung der Opposition oder vielmehr der verschiedenen
Oppositionen, denn die Wünsche und Forderungen derselben waren zum großen
Theil widersprechend; sie beruhte auf einem falschen Prineip, auf dem allge¬
meinen Wahlrecht und schloß die höchsten Staatskräste des Kaiserstaats aus.
Sie war von den Ideen der Volkssouveränetät inficirt, das heißt, sie strebte
nicht blos nach dem ihr gebührenden Antheil an der Gesetzgebung, sondern
auch nach einem Antheil an der Regierung. Sie wirkte endlich nicht für die
Einheit Oestreichs, sondern für die Trennung, denn die wichtigsten Kronlän¬
der waren in ihr nicht vertreten. Daß eine Verfassung, die sich auf solche
Voraussetzungen bezog, fallen gelassen wurde, hat niemanden beeinträchtigt,
und niemand hat sich darum gegrämt. >

Von dem allen ist gegenwärtig nicht mehr die Rede. An eine auf Volks¬
souveränetät basirte conftituirende Versammlung, die den Staat gewissermaßen
erst neu einrichten sollte, denkt niemand mehr, der Staat ist eingerichtet und
kann die ständischen Institutionen aus sich heraus organisch entwickeln. Die
breiteste Grundlage der Demokratie ist völlig in Verruf gekommen, und es
fällt niemand mehr ein, das Volk in den Massen zu sehen. Die Regie¬
rung ist von keiner Seite her gedrängt, sie kann also ihr Werk mit Ruhe
und Ueberlegung in Angriff nehmen und ihm eine solche Form geben, die alle
schädlichen Einflüsse ausschließt, und was das Wichtigste ist, Oestreich besitzt
die Elemente einer ständischen Verfassung, die andere Staaten erst mühsam suchen
müssen, in hinreichendem Maße.

Oestreich besitzt zunächst eine Aristokratie, die mächtiger ist, als die irgend¬
eines andern Landes, selbst England nicht ausgenommen. Während andere
Staaten, z. B. Preußen, eine erste Kammer nur durch die allerkünstlichsten
Berechnungen zusammenfinden können, darf Oestreich nur einfach nehmen, was
es hat, um ein Oberhaus zu besitzen, welches die wirkliche Kraft des Staats
repräsentirt. Nimmt man zur Aristokratie noch die kirchlichen Würdenträger und
die Notabilitäten des Landes, die zunächst freilich vorzugsweise nur im Militär¬
stande zu suchen sein werden, so erhält man eine Kammer, die Macht und
Intelligenz, Unabhängigkeit und Loyalität in sich vereinigt. Mehr Schwie-


ö6 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0451" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98765"/>
          <p xml:id="ID_1426" prev="#ID_1425"> den Regierungskreisen, weil man bei einer Verfassung sofort an Jacobiner<lb/>
denkt; unter den Liberalen einerseits, weil die Charte vom 4. März mit sehr<lb/>
schlimmen Erinnerungen zusammenhängt, andrerseits, weil die schwarzroth-<lb/>
goldenen Ideen des Jahres -1848 mit der verfassungsmäßigen Constituirung<lb/>
Gesammtöstreichs unvereinbar waren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1427"> Allein seit der Zeit haben sich die Umstände so verändert, daß man nach<lb/>
beiden Seiten hin diese Vorurtheile wol aufgeben sollte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1428"> Die erste conftituirende Versammlung Oestreichs, die gewaltsam ausgelöst<lb/>
werden mußte, war, wie alle Versammlungen jener Zeit, im wesentlichen nichts<lb/>
Anderes, als eine Constituirung der Opposition oder vielmehr der verschiedenen<lb/>
Oppositionen, denn die Wünsche und Forderungen derselben waren zum großen<lb/>
Theil widersprechend; sie beruhte auf einem falschen Prineip, auf dem allge¬<lb/>
meinen Wahlrecht und schloß die höchsten Staatskräste des Kaiserstaats aus.<lb/>
Sie war von den Ideen der Volkssouveränetät inficirt, das heißt, sie strebte<lb/>
nicht blos nach dem ihr gebührenden Antheil an der Gesetzgebung, sondern<lb/>
auch nach einem Antheil an der Regierung. Sie wirkte endlich nicht für die<lb/>
Einheit Oestreichs, sondern für die Trennung, denn die wichtigsten Kronlän¬<lb/>
der waren in ihr nicht vertreten. Daß eine Verfassung, die sich auf solche<lb/>
Voraussetzungen bezog, fallen gelassen wurde, hat niemanden beeinträchtigt,<lb/>
und niemand hat sich darum gegrämt. &gt;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1429"> Von dem allen ist gegenwärtig nicht mehr die Rede. An eine auf Volks¬<lb/>
souveränetät basirte conftituirende Versammlung, die den Staat gewissermaßen<lb/>
erst neu einrichten sollte, denkt niemand mehr, der Staat ist eingerichtet und<lb/>
kann die ständischen Institutionen aus sich heraus organisch entwickeln. Die<lb/>
breiteste Grundlage der Demokratie ist völlig in Verruf gekommen, und es<lb/>
fällt niemand mehr ein, das Volk in den Massen zu sehen. Die Regie¬<lb/>
rung ist von keiner Seite her gedrängt, sie kann also ihr Werk mit Ruhe<lb/>
und Ueberlegung in Angriff nehmen und ihm eine solche Form geben, die alle<lb/>
schädlichen Einflüsse ausschließt, und was das Wichtigste ist, Oestreich besitzt<lb/>
die Elemente einer ständischen Verfassung, die andere Staaten erst mühsam suchen<lb/>
müssen, in hinreichendem Maße.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1430" next="#ID_1431"> Oestreich besitzt zunächst eine Aristokratie, die mächtiger ist, als die irgend¬<lb/>
eines andern Landes, selbst England nicht ausgenommen. Während andere<lb/>
Staaten, z. B. Preußen, eine erste Kammer nur durch die allerkünstlichsten<lb/>
Berechnungen zusammenfinden können, darf Oestreich nur einfach nehmen, was<lb/>
es hat, um ein Oberhaus zu besitzen, welches die wirkliche Kraft des Staats<lb/>
repräsentirt. Nimmt man zur Aristokratie noch die kirchlichen Würdenträger und<lb/>
die Notabilitäten des Landes, die zunächst freilich vorzugsweise nur im Militär¬<lb/>
stande zu suchen sein werden, so erhält man eine Kammer, die Macht und<lb/>
Intelligenz, Unabhängigkeit und Loyalität in sich vereinigt.  Mehr Schwie-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> ö6 *</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0451] den Regierungskreisen, weil man bei einer Verfassung sofort an Jacobiner denkt; unter den Liberalen einerseits, weil die Charte vom 4. März mit sehr schlimmen Erinnerungen zusammenhängt, andrerseits, weil die schwarzroth- goldenen Ideen des Jahres -1848 mit der verfassungsmäßigen Constituirung Gesammtöstreichs unvereinbar waren. Allein seit der Zeit haben sich die Umstände so verändert, daß man nach beiden Seiten hin diese Vorurtheile wol aufgeben sollte. Die erste conftituirende Versammlung Oestreichs, die gewaltsam ausgelöst werden mußte, war, wie alle Versammlungen jener Zeit, im wesentlichen nichts Anderes, als eine Constituirung der Opposition oder vielmehr der verschiedenen Oppositionen, denn die Wünsche und Forderungen derselben waren zum großen Theil widersprechend; sie beruhte auf einem falschen Prineip, auf dem allge¬ meinen Wahlrecht und schloß die höchsten Staatskräste des Kaiserstaats aus. Sie war von den Ideen der Volkssouveränetät inficirt, das heißt, sie strebte nicht blos nach dem ihr gebührenden Antheil an der Gesetzgebung, sondern auch nach einem Antheil an der Regierung. Sie wirkte endlich nicht für die Einheit Oestreichs, sondern für die Trennung, denn die wichtigsten Kronlän¬ der waren in ihr nicht vertreten. Daß eine Verfassung, die sich auf solche Voraussetzungen bezog, fallen gelassen wurde, hat niemanden beeinträchtigt, und niemand hat sich darum gegrämt. > Von dem allen ist gegenwärtig nicht mehr die Rede. An eine auf Volks¬ souveränetät basirte conftituirende Versammlung, die den Staat gewissermaßen erst neu einrichten sollte, denkt niemand mehr, der Staat ist eingerichtet und kann die ständischen Institutionen aus sich heraus organisch entwickeln. Die breiteste Grundlage der Demokratie ist völlig in Verruf gekommen, und es fällt niemand mehr ein, das Volk in den Massen zu sehen. Die Regie¬ rung ist von keiner Seite her gedrängt, sie kann also ihr Werk mit Ruhe und Ueberlegung in Angriff nehmen und ihm eine solche Form geben, die alle schädlichen Einflüsse ausschließt, und was das Wichtigste ist, Oestreich besitzt die Elemente einer ständischen Verfassung, die andere Staaten erst mühsam suchen müssen, in hinreichendem Maße. Oestreich besitzt zunächst eine Aristokratie, die mächtiger ist, als die irgend¬ eines andern Landes, selbst England nicht ausgenommen. Während andere Staaten, z. B. Preußen, eine erste Kammer nur durch die allerkünstlichsten Berechnungen zusammenfinden können, darf Oestreich nur einfach nehmen, was es hat, um ein Oberhaus zu besitzen, welches die wirkliche Kraft des Staats repräsentirt. Nimmt man zur Aristokratie noch die kirchlichen Würdenträger und die Notabilitäten des Landes, die zunächst freilich vorzugsweise nur im Militär¬ stande zu suchen sein werden, so erhält man eine Kammer, die Macht und Intelligenz, Unabhängigkeit und Loyalität in sich vereinigt. Mehr Schwie- ö6 *

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/451
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/451>, abgerufen am 22.07.2024.