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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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fällt, das ist die Heuchelei, welche die meisten an den Tag legen, um mit
ihren politischen Gesinnungen, und ihren nationalen Gefühlen nicht in Con¬
flict zu gerathen. Die Legitimsten, das Journal -des Debats und ein Theil
der demokratischen Presse nehmen sich oft ganz wunderlich aus in ihren patrioti¬
schen Geberdungen. Sie dürfen nicht sagen, was sie möchten und möchten
auch jnicht sagen was sie allein dürfen. -- sagen aber wollen sie doch etwas,
und so mühen sie.sich hinter der politischen Allegorie, hinter den künstlichsten
Anspielungen ab. Das Journal des Debats läßt keine Gelegenheit vorüber, ohne
Sardinien und Spanien Guizots Grundsätze einzuschärfen, als ob die Frank¬
reich so wohl bekommen wären. Die Asscmblve nationale kämpft täglich gegen
die Revolution, in China oder in Spanien. 'Ueber die heimischen Zustände
schweigen sie auch nicht, aber sie verschanzen sich so sehr hinter ihren patrioti¬
schen Betheuetungen, daß kein Mensch recht daran glauben kann.

Das Journal des Debats, das seinen Respect und, sagen wir es heraus,
gewisse Sympathien für Rußland auch jetzt noch nicht ganz verloren hat, wagt
es nicht, auf das Gefährliche der Erpedition gegen die Krim aufmerksam zu
machen, aber es läßt in allgemeinen strategischen Artikeln seine Ansicht errathen.
Jetzt, wo trotz Jomini und trotz Nussenfurcht das Gefährlichste der Operation, die
Ausschiffung, ohne alle Schwierigkeit vor sich gegangen ist, jetzt wird der Mentor
der Presse sich in weiser Schweigsamkeit zurückziehen. Die andern Journale
benehmen sich nicht besser. Ich bin aber überzeugt, daß, wenn die Presse soviel
Muth gezeigt hätte als z. B. die spanische, ihre Lage eine viel bessere wäre.
Ich habe Ihnen freilich erst jüngst auseinandergesetzt, wie dies aus materiellen
Rücksichten jetzt, nicht leicht möglich ist. Die Industrie ist stärker als das
Gewissen. Wenn das so fortgeht, wird die Presse in Frankreich um allen
Credit kommen und wenn sich auch das Land wieder zu größerer Freiheit erhebt, es
wird erst neuer Proben von Seiten der Journalisten bedürfen, ehe das Publicum
wieder Vertrauen fassen dürfte. Seitdem die Artikel alle unterzeichnet werden,
und man die Persönlichkeiten kennt, welche das große Wort führen, hat die Be¬
deutung der Journale sehr gelitten. Wie soll man auch einen Prediger mit An¬
dacht hören, der Graner de Cassaignac heißt, einen Mann, der allen Parteien
gedient und alle Farben gespielt. Die Oppositionsblätter haben doch eine
Entschuldigung in ihrer Stellung, aber auch sie mißbrauchen diese mehr als
nothwendig wäre. Zu etwas werden die gegenwärtigen Verhältnisse jedenfalls
gut gewesen sein -- sie beseitigen für die Zukunft aus natürliche Weise eine
Anzahl von Charakterlosigkeiten, die der Entwicklung des Wünschenswerten
eine große Unbequemlichkeit gewesen wären.

Die gelehrte Welt oder vielmehr die Akademie der Gelehrten ist mit einem
bisher unbekannten Menschenschlage, mit einer neuen Sprosse in der Leiter der
thierischen Existenzen bereichert. Ein französischer Reisender, Dr. Couret, der


fällt, das ist die Heuchelei, welche die meisten an den Tag legen, um mit
ihren politischen Gesinnungen, und ihren nationalen Gefühlen nicht in Con¬
flict zu gerathen. Die Legitimsten, das Journal -des Debats und ein Theil
der demokratischen Presse nehmen sich oft ganz wunderlich aus in ihren patrioti¬
schen Geberdungen. Sie dürfen nicht sagen, was sie möchten und möchten
auch jnicht sagen was sie allein dürfen. — sagen aber wollen sie doch etwas,
und so mühen sie.sich hinter der politischen Allegorie, hinter den künstlichsten
Anspielungen ab. Das Journal des Debats läßt keine Gelegenheit vorüber, ohne
Sardinien und Spanien Guizots Grundsätze einzuschärfen, als ob die Frank¬
reich so wohl bekommen wären. Die Asscmblve nationale kämpft täglich gegen
die Revolution, in China oder in Spanien. 'Ueber die heimischen Zustände
schweigen sie auch nicht, aber sie verschanzen sich so sehr hinter ihren patrioti¬
schen Betheuetungen, daß kein Mensch recht daran glauben kann.

Das Journal des Debats, das seinen Respect und, sagen wir es heraus,
gewisse Sympathien für Rußland auch jetzt noch nicht ganz verloren hat, wagt
es nicht, auf das Gefährliche der Erpedition gegen die Krim aufmerksam zu
machen, aber es läßt in allgemeinen strategischen Artikeln seine Ansicht errathen.
Jetzt, wo trotz Jomini und trotz Nussenfurcht das Gefährlichste der Operation, die
Ausschiffung, ohne alle Schwierigkeit vor sich gegangen ist, jetzt wird der Mentor
der Presse sich in weiser Schweigsamkeit zurückziehen. Die andern Journale
benehmen sich nicht besser. Ich bin aber überzeugt, daß, wenn die Presse soviel
Muth gezeigt hätte als z. B. die spanische, ihre Lage eine viel bessere wäre.
Ich habe Ihnen freilich erst jüngst auseinandergesetzt, wie dies aus materiellen
Rücksichten jetzt, nicht leicht möglich ist. Die Industrie ist stärker als das
Gewissen. Wenn das so fortgeht, wird die Presse in Frankreich um allen
Credit kommen und wenn sich auch das Land wieder zu größerer Freiheit erhebt, es
wird erst neuer Proben von Seiten der Journalisten bedürfen, ehe das Publicum
wieder Vertrauen fassen dürfte. Seitdem die Artikel alle unterzeichnet werden,
und man die Persönlichkeiten kennt, welche das große Wort führen, hat die Be¬
deutung der Journale sehr gelitten. Wie soll man auch einen Prediger mit An¬
dacht hören, der Graner de Cassaignac heißt, einen Mann, der allen Parteien
gedient und alle Farben gespielt. Die Oppositionsblätter haben doch eine
Entschuldigung in ihrer Stellung, aber auch sie mißbrauchen diese mehr als
nothwendig wäre. Zu etwas werden die gegenwärtigen Verhältnisse jedenfalls
gut gewesen sein — sie beseitigen für die Zukunft aus natürliche Weise eine
Anzahl von Charakterlosigkeiten, die der Entwicklung des Wünschenswerten
eine große Unbequemlichkeit gewesen wären.

Die gelehrte Welt oder vielmehr die Akademie der Gelehrten ist mit einem
bisher unbekannten Menschenschlage, mit einer neuen Sprosse in der Leiter der
thierischen Existenzen bereichert. Ein französischer Reisender, Dr. Couret, der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/44>, abgerufen am 22.07.2024.