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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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legenden das Wort, er proclamirt sich laut als Lanzknecht der ultramontanen
Schwarzröcke und wir lesen seine talentvollen Arbeiten mit dem Behagen, mit
dem wir die Virtuosität eines Jongleurs anstaunen. Es ist System in allem
was er thut, er ist eine lebendige Veranschaulichung der Pathologie deö
menschlichen Geistes -- es hat Interesse für uns wie ein Stuhl ans dem vier¬
zehnten Jahrhundert, es ist eine antiquarische Kuriosität. Aber dieser Cassaig-
nae, der hinterdrein nachkommt mit seiner Harlekinspritsche und sich selbst
mit dem flachen Holzschwerte zur Wuth gegen den gesunden Menschenver¬
stand aufreizt, erfüllt unsre Seele mit. Ekel. Die Herren Junker des Mittel¬
alters werden uns als achtungswerthe Erscheinungen geschildert, als heilsame
Nothwendigkeit jener Zeit -- als ehrsame Väter der modernen Civilisation.
Und doch geben sich diese Männer so gern als Vertheidiger der Monarchie
aus, wahrscheinlich weil sie vor jedem Gewalthaber im Staube kriechen. Diese
Vertreter der monarchischen Idee vergessen, daß die Monarchie zur Herrschaft
und zur Achtung erst gelangte, als sie mit dem Volke Gemeinschaft gegen die
Feudalität gemacht hatten. Die factische Neprimirung alles freiheitlichen Ge-
staltens genügt jenen Schreibern nicht. Dieser revolutionäre Anstoß für eine
gegebene Zukunft ist ihnen nicht stark genug, sie müssen durch Verhöhnung
unsrer liebsten Errungenschaft, die wir vor jedem Angriffe sicher glaubten, die
Antipathie gegen den Absolutismus noch vermehren. Sie greifen jetzt die
Aufklärung, die innere Freiheit des Gedankens, unsre menschliche Anschauung
an, sowie sie früher gegen die politischen Ideen gewüthet hatten. Seit ich
Frankreich und seine Zustände näher kenne, habe ich mit wachsender Stärke
die Ueberzeugung gewonnen, daß die Revolutionen in diesem Lande durch die
Regierungen und ihre Freunde mehr noch als durch die Oppositionen hervor¬
gerufen worden sind. Die französischen Minister sollten immer mehr darauf
bedacht sein, die Schriften ihrer Anhänger zu controliren, als die ihrer Geg¬
ner. Die französische Presse gewährt überhaupt einen sehr unerquicklichen Ein¬
druck in diesem Augenblicke. Aufrichtig gestanden, vermissen wir die soge¬
nannten Premier Paris, die unter Preßverhältnissen wie die unsrigen gradezu
unmöglich oder unnöthig geworden sind, nur wenig. Soviel begabte Jour¬
nalisten Frankreich auch zählen mag, die Behandlung der Politik der franzö¬
sischen Leiter der Presse hat mir nie behagt. Dieser Kampf um die Herrschaft
ließ die Wahrheit ebensowenig aufkommen wie jetzt die gezwungene Stille.
Die Parteien waren womöglich noch ccntralistrter als der Staat selbst und
man sah selten in einem Blatte die wirkliche Meinung deö Landes vertreten.
Ich beklage mich auch über die größere Beachtung der fremden Journalistik
nicht, welche zur Füllung der großen Journale von selbst sich empfiehlt.
Die Franzosen mit ihrer bisherigen Verachtung der ausländischen Presse waren
nachgrade ^ lächerlich geworden. Was mir an den Journalen heute so alß-


legenden das Wort, er proclamirt sich laut als Lanzknecht der ultramontanen
Schwarzröcke und wir lesen seine talentvollen Arbeiten mit dem Behagen, mit
dem wir die Virtuosität eines Jongleurs anstaunen. Es ist System in allem
was er thut, er ist eine lebendige Veranschaulichung der Pathologie deö
menschlichen Geistes — es hat Interesse für uns wie ein Stuhl ans dem vier¬
zehnten Jahrhundert, es ist eine antiquarische Kuriosität. Aber dieser Cassaig-
nae, der hinterdrein nachkommt mit seiner Harlekinspritsche und sich selbst
mit dem flachen Holzschwerte zur Wuth gegen den gesunden Menschenver¬
stand aufreizt, erfüllt unsre Seele mit. Ekel. Die Herren Junker des Mittel¬
alters werden uns als achtungswerthe Erscheinungen geschildert, als heilsame
Nothwendigkeit jener Zeit — als ehrsame Väter der modernen Civilisation.
Und doch geben sich diese Männer so gern als Vertheidiger der Monarchie
aus, wahrscheinlich weil sie vor jedem Gewalthaber im Staube kriechen. Diese
Vertreter der monarchischen Idee vergessen, daß die Monarchie zur Herrschaft
und zur Achtung erst gelangte, als sie mit dem Volke Gemeinschaft gegen die
Feudalität gemacht hatten. Die factische Neprimirung alles freiheitlichen Ge-
staltens genügt jenen Schreibern nicht. Dieser revolutionäre Anstoß für eine
gegebene Zukunft ist ihnen nicht stark genug, sie müssen durch Verhöhnung
unsrer liebsten Errungenschaft, die wir vor jedem Angriffe sicher glaubten, die
Antipathie gegen den Absolutismus noch vermehren. Sie greifen jetzt die
Aufklärung, die innere Freiheit des Gedankens, unsre menschliche Anschauung
an, sowie sie früher gegen die politischen Ideen gewüthet hatten. Seit ich
Frankreich und seine Zustände näher kenne, habe ich mit wachsender Stärke
die Ueberzeugung gewonnen, daß die Revolutionen in diesem Lande durch die
Regierungen und ihre Freunde mehr noch als durch die Oppositionen hervor¬
gerufen worden sind. Die französischen Minister sollten immer mehr darauf
bedacht sein, die Schriften ihrer Anhänger zu controliren, als die ihrer Geg¬
ner. Die französische Presse gewährt überhaupt einen sehr unerquicklichen Ein¬
druck in diesem Augenblicke. Aufrichtig gestanden, vermissen wir die soge¬
nannten Premier Paris, die unter Preßverhältnissen wie die unsrigen gradezu
unmöglich oder unnöthig geworden sind, nur wenig. Soviel begabte Jour¬
nalisten Frankreich auch zählen mag, die Behandlung der Politik der franzö¬
sischen Leiter der Presse hat mir nie behagt. Dieser Kampf um die Herrschaft
ließ die Wahrheit ebensowenig aufkommen wie jetzt die gezwungene Stille.
Die Parteien waren womöglich noch ccntralistrter als der Staat selbst und
man sah selten in einem Blatte die wirkliche Meinung deö Landes vertreten.
Ich beklage mich auch über die größere Beachtung der fremden Journalistik
nicht, welche zur Füllung der großen Journale von selbst sich empfiehlt.
Die Franzosen mit ihrer bisherigen Verachtung der ausländischen Presse waren
nachgrade ^ lächerlich geworden. Was mir an den Journalen heute so alß-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/43>, abgerufen am 22.07.2024.