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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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ausmachen und läßt außerdem einen weiten Platz, den Hof, frei, auf welchem
der Thurm steht, und wo mindestens S000 Mann Raum zum Manövriren fin¬
den würden. Am Ganginkulle vorüber, schreitet man dem Haupteingange zu,
und, nachdem man unten einem Kapudschi (Thorhüter) seine Ueberschuhe über¬
geben, und dieser dieselben mit anderen hundert Paar Schuhen von ähnlicher
Art in Reih und Glied gestellt hat, gelangt man auf einen geräumigen Vorsaal,
dessen Fußboden mit einfachen Wandsbecker belegt ist. Eine große Anzahl auf
Audienz oder in sonstigen Angelegenheiten Wartender findet sich hier versammelt;
die meisten sind Türken, aber man findet auch Engländer, Franzosen und eine
Menge militärischer Abenteurer, Italiener, Ungarn und Polen, welche hier ihre
Anstellung im türkischen Heere auszuwirken suchen. Das Ganze hat den An¬
strich des Langweiligen, wie alle Vorzimmer. Ich bedaure jeden, der lange
warten muß, aber auf diesem Flur zu harren ist doppelt unangenehm, da sich
nicht ausreichende Plätze zum Niedersetzen finden. Doch da kommt ein türkischer
Offizier aus der sich öffnenden Thür rechts, und sagt uns, daß der Seriaöker
uns zu empfangen wünscht. Durch ein schmales Gemach schreitend, treten wir in
einen geräumigen länglichen Saal. Die Einrichtung ist halb türkisch, halb mo¬
dern europäisch. Am Boden die unvermeidliche Strohmatte, aber von ausgezeich¬
neter Qualität, die Wände sind weiß und mit breiten, broncerahmigen Spie¬
geln verziert, ein Kamin mit Marmorgesims befindet sich im Hintergrunde, zu
dem das Licht aus sechs oder sieben breiten Fenstern fällt; ich suchte in dem
weiten Raume einen Augenblick den Seriasker umsonst, und erblickte ihn end¬
lich in der Nähe eines der Fenster sitzend, und damit beschäftigt, Briefe zu
unterschreiben oder vielmehr zu untersiegeln, indeß ein Diener vor ihm kniete
und ihm ein losgegangenes Schuhband wieder festzuknüpfen schien. Es war
Risa Pascha (in französischer Schreibweise Niza), den ich vor mir hatte. Seine
Figur ist klein und erreicht kaum die mittlere Grüße; aber das Gesicht ver¬
kündet einen Mann von Geist und Energie; mindestens vermuthet man einen
klaren Verstand hinter diesen unvergleichlich hellen, beinahe glühenden Augen
und der breiten Stirn. Um die letztere her, unter dem Fez hervorquellend,
liegen schwarze Locken. Der Bart ist von derselben Farbe und üppig; der
Teint etwas stark gebräunt; von Alter schätze ich den Kriegsminister für einen
mittleren oder angehenden Vierziger. Seine Carriere war schnell und brillant,
denn er bekleidete dies hohe Amt bereits vor zehn Jahren auf längere Zeit,
und gelangte damals unmittelbar vom vortragenden Rath des Kaisers da"u.

Wenn der Seriasker redet, so geschieht es in einem gemessenen Tone. In
seiner ganzen Erscheinung liegt eine unbegrenzte Würde und Anmuth. Da ich
länger verweilte, hatte ich Muße, ihn in seinen Gewohnheiten zu beobachten.
Nachdem er die Unterschriften beseitigt hatte, wurde ihm ein Tschibuck gereicht,
und nach zehn Minuten mit einem andern vertauscht. So sah ich ihn vier


ausmachen und läßt außerdem einen weiten Platz, den Hof, frei, auf welchem
der Thurm steht, und wo mindestens S000 Mann Raum zum Manövriren fin¬
den würden. Am Ganginkulle vorüber, schreitet man dem Haupteingange zu,
und, nachdem man unten einem Kapudschi (Thorhüter) seine Ueberschuhe über¬
geben, und dieser dieselben mit anderen hundert Paar Schuhen von ähnlicher
Art in Reih und Glied gestellt hat, gelangt man auf einen geräumigen Vorsaal,
dessen Fußboden mit einfachen Wandsbecker belegt ist. Eine große Anzahl auf
Audienz oder in sonstigen Angelegenheiten Wartender findet sich hier versammelt;
die meisten sind Türken, aber man findet auch Engländer, Franzosen und eine
Menge militärischer Abenteurer, Italiener, Ungarn und Polen, welche hier ihre
Anstellung im türkischen Heere auszuwirken suchen. Das Ganze hat den An¬
strich des Langweiligen, wie alle Vorzimmer. Ich bedaure jeden, der lange
warten muß, aber auf diesem Flur zu harren ist doppelt unangenehm, da sich
nicht ausreichende Plätze zum Niedersetzen finden. Doch da kommt ein türkischer
Offizier aus der sich öffnenden Thür rechts, und sagt uns, daß der Seriaöker
uns zu empfangen wünscht. Durch ein schmales Gemach schreitend, treten wir in
einen geräumigen länglichen Saal. Die Einrichtung ist halb türkisch, halb mo¬
dern europäisch. Am Boden die unvermeidliche Strohmatte, aber von ausgezeich¬
neter Qualität, die Wände sind weiß und mit breiten, broncerahmigen Spie¬
geln verziert, ein Kamin mit Marmorgesims befindet sich im Hintergrunde, zu
dem das Licht aus sechs oder sieben breiten Fenstern fällt; ich suchte in dem
weiten Raume einen Augenblick den Seriasker umsonst, und erblickte ihn end¬
lich in der Nähe eines der Fenster sitzend, und damit beschäftigt, Briefe zu
unterschreiben oder vielmehr zu untersiegeln, indeß ein Diener vor ihm kniete
und ihm ein losgegangenes Schuhband wieder festzuknüpfen schien. Es war
Risa Pascha (in französischer Schreibweise Niza), den ich vor mir hatte. Seine
Figur ist klein und erreicht kaum die mittlere Grüße; aber das Gesicht ver¬
kündet einen Mann von Geist und Energie; mindestens vermuthet man einen
klaren Verstand hinter diesen unvergleichlich hellen, beinahe glühenden Augen
und der breiten Stirn. Um die letztere her, unter dem Fez hervorquellend,
liegen schwarze Locken. Der Bart ist von derselben Farbe und üppig; der
Teint etwas stark gebräunt; von Alter schätze ich den Kriegsminister für einen
mittleren oder angehenden Vierziger. Seine Carriere war schnell und brillant,
denn er bekleidete dies hohe Amt bereits vor zehn Jahren auf längere Zeit,
und gelangte damals unmittelbar vom vortragenden Rath des Kaisers da»u.

Wenn der Seriasker redet, so geschieht es in einem gemessenen Tone. In
seiner ganzen Erscheinung liegt eine unbegrenzte Würde und Anmuth. Da ich
länger verweilte, hatte ich Muße, ihn in seinen Gewohnheiten zu beobachten.
Nachdem er die Unterschriften beseitigt hatte, wurde ihm ein Tschibuck gereicht,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/390>, abgerufen am 24.08.2024.