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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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zug hier Geltung zu verschaffen und ich bin überzeugt, daß in dieser Hinsicht
der letztere Stadttheil mit Wien und Berlin wetteifern kann. Wie sich von
selbst versteht, ist es der französische Geschmack, welcher hier dominirt. Das
bekunden schon die Schnitthandlungen in der grande Rue de Pera, die sich
auf ihren Aushängeschildern als "aus Paris" zu empfehlen suchen. Das
Geschäft geht gut, denn kaum wird in einer andren Stadt von den mittleren
Classen ein größerer Lurus entfaltet. Seinen eigentlichen Ausdruck findet aber
der letztere erst in den Boutiken und Läden der hiesigen Juweliere. Man kann
davon zwei Classen unterscheiden: die türkischen und fränkischen. Erstere haben
ihren Sitz im Bazar von Stambul und nehmen ausschließlich eine ganze Ab¬
theilung desselben Mu. Die andren wohnen zumeist in Pera und auch in
Galata. Sie sind wol der Mehrzahl nach Jsraeliten, wie denn überhaupt das
hiesige kaufmännische Geschäft hauptsächlich sich in jüdischen Händen befindet.
Wie aber die Unterscheidung zwischen Morgenländischen und Abendländischem
hier überall hindurchbricht, sondern sich auch die hiesigen Juden in fränkische
,und orientalische. Man kann nicht mit Bestimmtheit sagen , welche Classe die
besseren und ausgedehnteren Geschäfte macht; vielleicht sind es die letzteren.
Sie haben außerdem die Majorität. Aber auch das' zahlreiche israelitische
Proletariat gehört ihnen an. Dasselbe concentrirte sich seither in zwei Haupt¬
punkten: in der Vorstadt Haskoj und in einer andern, Namens Ortakoj, welche
letztere (am 18. October) abbrannte und nun die Stätte eines noch weit grö¬
ßeren Elends geworden ist. Dort herrschten bereits vor der Feuersbrunst wahre
Ghettozustände. Es war nicht selten, daß drei Familien ein einziges, nicht gar
zu großes Zimmer zur Wohnung hatten und gezwungen waren, daselbst an
ein und demselben Feuer zu kochen. Jetzt lagern die meisten unter Zelten und
Breterbuden, während die Cholera entsetzliche Verheerungen unter ihnen an¬
richtet. Borgestern Nacht starben stebenundzwanzig Menschen in Ortakoj an
der Epidemie, die sonst hier nicht herrscht.

In Pera und Galata hat, wie bekannt, der hiesige Großhandel seinen
Sitz; aber auch die kleineren Gewerbe halten hier ihre Boutiken und Werk¬
stätten. Durchschnittlich wohnen in beiden Stadttheilen nur wohlhabende und
reiche Leute. Die Wohnungen bestehen zum Theil aus Steinhäusern, sind im
fränkischen Geschmack, mit türkischer Beimischung, eingerichtet und bieten von
Jahr zu Jahr mehr Comfort dar. Dieses erhellt schon aus dem Aufkommen
großer Möbelhandlungen in den jüngsten Zeiten, während vordem nur grie¬
chische und einige deutsche Tischler für den Bedarf sorgten. Nur feinste Lurus-
möbeln scheinen noch nicht ausreichenden Absatz zu finden. ^ .

Was einigermaßen befremden muß, ist der Mangel einer permanenten
Truppe von Bühnenkünstlern. Die hiesige Oper stellte ihre Vorstellungen im
Winter von 18S2/33 ein, und Sänger wie Sängerinnen, Direktor und Capelle


zug hier Geltung zu verschaffen und ich bin überzeugt, daß in dieser Hinsicht
der letztere Stadttheil mit Wien und Berlin wetteifern kann. Wie sich von
selbst versteht, ist es der französische Geschmack, welcher hier dominirt. Das
bekunden schon die Schnitthandlungen in der grande Rue de Pera, die sich
auf ihren Aushängeschildern als „aus Paris" zu empfehlen suchen. Das
Geschäft geht gut, denn kaum wird in einer andren Stadt von den mittleren
Classen ein größerer Lurus entfaltet. Seinen eigentlichen Ausdruck findet aber
der letztere erst in den Boutiken und Läden der hiesigen Juweliere. Man kann
davon zwei Classen unterscheiden: die türkischen und fränkischen. Erstere haben
ihren Sitz im Bazar von Stambul und nehmen ausschließlich eine ganze Ab¬
theilung desselben Mu. Die andren wohnen zumeist in Pera und auch in
Galata. Sie sind wol der Mehrzahl nach Jsraeliten, wie denn überhaupt das
hiesige kaufmännische Geschäft hauptsächlich sich in jüdischen Händen befindet.
Wie aber die Unterscheidung zwischen Morgenländischen und Abendländischem
hier überall hindurchbricht, sondern sich auch die hiesigen Juden in fränkische
,und orientalische. Man kann nicht mit Bestimmtheit sagen , welche Classe die
besseren und ausgedehnteren Geschäfte macht; vielleicht sind es die letzteren.
Sie haben außerdem die Majorität. Aber auch das' zahlreiche israelitische
Proletariat gehört ihnen an. Dasselbe concentrirte sich seither in zwei Haupt¬
punkten: in der Vorstadt Haskoj und in einer andern, Namens Ortakoj, welche
letztere (am 18. October) abbrannte und nun die Stätte eines noch weit grö¬
ßeren Elends geworden ist. Dort herrschten bereits vor der Feuersbrunst wahre
Ghettozustände. Es war nicht selten, daß drei Familien ein einziges, nicht gar
zu großes Zimmer zur Wohnung hatten und gezwungen waren, daselbst an
ein und demselben Feuer zu kochen. Jetzt lagern die meisten unter Zelten und
Breterbuden, während die Cholera entsetzliche Verheerungen unter ihnen an¬
richtet. Borgestern Nacht starben stebenundzwanzig Menschen in Ortakoj an
der Epidemie, die sonst hier nicht herrscht.

In Pera und Galata hat, wie bekannt, der hiesige Großhandel seinen
Sitz; aber auch die kleineren Gewerbe halten hier ihre Boutiken und Werk¬
stätten. Durchschnittlich wohnen in beiden Stadttheilen nur wohlhabende und
reiche Leute. Die Wohnungen bestehen zum Theil aus Steinhäusern, sind im
fränkischen Geschmack, mit türkischer Beimischung, eingerichtet und bieten von
Jahr zu Jahr mehr Comfort dar. Dieses erhellt schon aus dem Aufkommen
großer Möbelhandlungen in den jüngsten Zeiten, während vordem nur grie¬
chische und einige deutsche Tischler für den Bedarf sorgten. Nur feinste Lurus-
möbeln scheinen noch nicht ausreichenden Absatz zu finden. ^ .

Was einigermaßen befremden muß, ist der Mangel einer permanenten
Truppe von Bühnenkünstlern. Die hiesige Oper stellte ihre Vorstellungen im
Winter von 18S2/33 ein, und Sänger wie Sängerinnen, Direktor und Capelle


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[0384] zug hier Geltung zu verschaffen und ich bin überzeugt, daß in dieser Hinsicht der letztere Stadttheil mit Wien und Berlin wetteifern kann. Wie sich von selbst versteht, ist es der französische Geschmack, welcher hier dominirt. Das bekunden schon die Schnitthandlungen in der grande Rue de Pera, die sich auf ihren Aushängeschildern als „aus Paris" zu empfehlen suchen. Das Geschäft geht gut, denn kaum wird in einer andren Stadt von den mittleren Classen ein größerer Lurus entfaltet. Seinen eigentlichen Ausdruck findet aber der letztere erst in den Boutiken und Läden der hiesigen Juweliere. Man kann davon zwei Classen unterscheiden: die türkischen und fränkischen. Erstere haben ihren Sitz im Bazar von Stambul und nehmen ausschließlich eine ganze Ab¬ theilung desselben Mu. Die andren wohnen zumeist in Pera und auch in Galata. Sie sind wol der Mehrzahl nach Jsraeliten, wie denn überhaupt das hiesige kaufmännische Geschäft hauptsächlich sich in jüdischen Händen befindet. Wie aber die Unterscheidung zwischen Morgenländischen und Abendländischem hier überall hindurchbricht, sondern sich auch die hiesigen Juden in fränkische ,und orientalische. Man kann nicht mit Bestimmtheit sagen , welche Classe die besseren und ausgedehnteren Geschäfte macht; vielleicht sind es die letzteren. Sie haben außerdem die Majorität. Aber auch das' zahlreiche israelitische Proletariat gehört ihnen an. Dasselbe concentrirte sich seither in zwei Haupt¬ punkten: in der Vorstadt Haskoj und in einer andern, Namens Ortakoj, welche letztere (am 18. October) abbrannte und nun die Stätte eines noch weit grö¬ ßeren Elends geworden ist. Dort herrschten bereits vor der Feuersbrunst wahre Ghettozustände. Es war nicht selten, daß drei Familien ein einziges, nicht gar zu großes Zimmer zur Wohnung hatten und gezwungen waren, daselbst an ein und demselben Feuer zu kochen. Jetzt lagern die meisten unter Zelten und Breterbuden, während die Cholera entsetzliche Verheerungen unter ihnen an¬ richtet. Borgestern Nacht starben stebenundzwanzig Menschen in Ortakoj an der Epidemie, die sonst hier nicht herrscht. In Pera und Galata hat, wie bekannt, der hiesige Großhandel seinen Sitz; aber auch die kleineren Gewerbe halten hier ihre Boutiken und Werk¬ stätten. Durchschnittlich wohnen in beiden Stadttheilen nur wohlhabende und reiche Leute. Die Wohnungen bestehen zum Theil aus Steinhäusern, sind im fränkischen Geschmack, mit türkischer Beimischung, eingerichtet und bieten von Jahr zu Jahr mehr Comfort dar. Dieses erhellt schon aus dem Aufkommen großer Möbelhandlungen in den jüngsten Zeiten, während vordem nur grie¬ chische und einige deutsche Tischler für den Bedarf sorgten. Nur feinste Lurus- möbeln scheinen noch nicht ausreichenden Absatz zu finden. ^ . Was einigermaßen befremden muß, ist der Mangel einer permanenten Truppe von Bühnenkünstlern. Die hiesige Oper stellte ihre Vorstellungen im Winter von 18S2/33 ein, und Sänger wie Sängerinnen, Direktor und Capelle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/384>, abgerufen am 22.07.2024.