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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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sich zusammensetzt, wohnt Geist und Willenskraft inne. Hat man die Forma¬
tion gesprengt, so ist man Herr der Herde, gleich dem Wolf, der die Hürde
durchbrochen.

Damit ist zugleich die ganze Schroffheit des Gegensatzes gezeichnet, der
zwischen dem russischen und türkischen Soldaten obwaltet. Der letztere ist jenem
an und für sich unendlich überlegen, und Sie dürfen sich darauf verlassen, daß,
indem ich dies ausspreche, ich mich durch keine Rücksicht der Parteinahme be¬
stechen lasse. Wer möchte ableugnen, daß der Osman fähig ist, sich in jede
taktische Form zu finden. Auch der gemeine Mann hat dafür ganz außeror¬
dentlich viel Fassungsvermögen. Wenn er deßungeachtet noch nicht mit den
Soldaten der besseren europäischen Armeen taktisch auf ein und derselben Stufe
steht, so liegt dies an der zur Zeit noch sehr mangelhaften Anleitung. Man
hat nämlich die preußischen Jnstructeure in ihrer Wirksamkeit nur auf die Ar¬
tillerie und auf Festungsbauten beschränkt, und glaubte Infanterie und Ca-
valerie lediglich mittelst türkischer, im Auslande erzogener Offiziere organisiren
zu können, eine Erwartung, in der man sich getäuscht gesehen hat, waS nichts¬
destoweniger zu keiner Aenderung der Methode führte. Der Nutzen, welchen
das Rcnegatenthum der türkischen Armee gewährt, ist, im Vergleich mit dem
Jnstructeurwesen nur als gering zu achten. Der erste Renegat, Omer Pascha,
hat selbst erwiesenermaßen nur wenig organisatorisch gewirkt; indeß gehört eine
Besprechung dieser Verhältnisse nicht zu der mir hier vorschwebenden Aufgabe.

Wie gern auch der gemeine Mann hier zu Lande sich in die taktische
Form cinschmiegt, und wie gefügig und anstellig er auch immerhin ist, mit
anderen ein Ganzes auszumachen, handelt er dennoch am liebsten selbstständig
und ist in dieser Hinsicht mehr Individuum als Maschine, was beim Russen
grade umgekehrt ist. Eben hierauf beruht aber die Befähigung des Osmanen
für das Einzelgefecht und für die Vertheidigung von Fortisicalionen. Man
wird heute uoch Anstand nehmen müssen, eine türkische Armee im offenen
Felde einer russischen gegenüberzustellen; aber man wird nicht zaudern dürfen,
dieselbe Armee, ja die Hälfte, den vierten Theil sogar, in eine verschanzte Po¬
sition zu führen, damit sie dort dem Feinde standhalte. Damit ist ein Thema
berührt, dessen gewissenhafte Behandlung eine analytische, zerlegende Erörterung
verlangt; ich spare mir dieselbe für eine andre Gelegenheit auf, indem sie mich
hier, ohne Frage, zu weit führen und vom Hauptgegenstand ablenken würde.

Die vier auf der Krim engagirten Heere dürfen sich sämmtlich nicht rüh¬
men, eine ausgezeichnete Cavalerie zu besitzen. Deutschlands Armeen sind ih¬
nen darin unbestritten überlegen, und unter ihnen gebührt wiederum der östrei¬
chischen der Vorrang. Außerdem ist 'auf dem betreffenden Kriegstheater der
Raum zu Neiterthaten beschränkt, weil das Terrain der freien Bewegung wenig
günstig ist, und es bei den Actionen sich meistens um den Besitz von Schanzen


sich zusammensetzt, wohnt Geist und Willenskraft inne. Hat man die Forma¬
tion gesprengt, so ist man Herr der Herde, gleich dem Wolf, der die Hürde
durchbrochen.

Damit ist zugleich die ganze Schroffheit des Gegensatzes gezeichnet, der
zwischen dem russischen und türkischen Soldaten obwaltet. Der letztere ist jenem
an und für sich unendlich überlegen, und Sie dürfen sich darauf verlassen, daß,
indem ich dies ausspreche, ich mich durch keine Rücksicht der Parteinahme be¬
stechen lasse. Wer möchte ableugnen, daß der Osman fähig ist, sich in jede
taktische Form zu finden. Auch der gemeine Mann hat dafür ganz außeror¬
dentlich viel Fassungsvermögen. Wenn er deßungeachtet noch nicht mit den
Soldaten der besseren europäischen Armeen taktisch auf ein und derselben Stufe
steht, so liegt dies an der zur Zeit noch sehr mangelhaften Anleitung. Man
hat nämlich die preußischen Jnstructeure in ihrer Wirksamkeit nur auf die Ar¬
tillerie und auf Festungsbauten beschränkt, und glaubte Infanterie und Ca-
valerie lediglich mittelst türkischer, im Auslande erzogener Offiziere organisiren
zu können, eine Erwartung, in der man sich getäuscht gesehen hat, waS nichts¬
destoweniger zu keiner Aenderung der Methode führte. Der Nutzen, welchen
das Rcnegatenthum der türkischen Armee gewährt, ist, im Vergleich mit dem
Jnstructeurwesen nur als gering zu achten. Der erste Renegat, Omer Pascha,
hat selbst erwiesenermaßen nur wenig organisatorisch gewirkt; indeß gehört eine
Besprechung dieser Verhältnisse nicht zu der mir hier vorschwebenden Aufgabe.

Wie gern auch der gemeine Mann hier zu Lande sich in die taktische
Form cinschmiegt, und wie gefügig und anstellig er auch immerhin ist, mit
anderen ein Ganzes auszumachen, handelt er dennoch am liebsten selbstständig
und ist in dieser Hinsicht mehr Individuum als Maschine, was beim Russen
grade umgekehrt ist. Eben hierauf beruht aber die Befähigung des Osmanen
für das Einzelgefecht und für die Vertheidigung von Fortisicalionen. Man
wird heute uoch Anstand nehmen müssen, eine türkische Armee im offenen
Felde einer russischen gegenüberzustellen; aber man wird nicht zaudern dürfen,
dieselbe Armee, ja die Hälfte, den vierten Theil sogar, in eine verschanzte Po¬
sition zu führen, damit sie dort dem Feinde standhalte. Damit ist ein Thema
berührt, dessen gewissenhafte Behandlung eine analytische, zerlegende Erörterung
verlangt; ich spare mir dieselbe für eine andre Gelegenheit auf, indem sie mich
hier, ohne Frage, zu weit führen und vom Hauptgegenstand ablenken würde.

Die vier auf der Krim engagirten Heere dürfen sich sämmtlich nicht rüh¬
men, eine ausgezeichnete Cavalerie zu besitzen. Deutschlands Armeen sind ih¬
nen darin unbestritten überlegen, und unter ihnen gebührt wiederum der östrei¬
chischen der Vorrang. Außerdem ist 'auf dem betreffenden Kriegstheater der
Raum zu Neiterthaten beschränkt, weil das Terrain der freien Bewegung wenig
günstig ist, und es bei den Actionen sich meistens um den Besitz von Schanzen


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[0373] sich zusammensetzt, wohnt Geist und Willenskraft inne. Hat man die Forma¬ tion gesprengt, so ist man Herr der Herde, gleich dem Wolf, der die Hürde durchbrochen. Damit ist zugleich die ganze Schroffheit des Gegensatzes gezeichnet, der zwischen dem russischen und türkischen Soldaten obwaltet. Der letztere ist jenem an und für sich unendlich überlegen, und Sie dürfen sich darauf verlassen, daß, indem ich dies ausspreche, ich mich durch keine Rücksicht der Parteinahme be¬ stechen lasse. Wer möchte ableugnen, daß der Osman fähig ist, sich in jede taktische Form zu finden. Auch der gemeine Mann hat dafür ganz außeror¬ dentlich viel Fassungsvermögen. Wenn er deßungeachtet noch nicht mit den Soldaten der besseren europäischen Armeen taktisch auf ein und derselben Stufe steht, so liegt dies an der zur Zeit noch sehr mangelhaften Anleitung. Man hat nämlich die preußischen Jnstructeure in ihrer Wirksamkeit nur auf die Ar¬ tillerie und auf Festungsbauten beschränkt, und glaubte Infanterie und Ca- valerie lediglich mittelst türkischer, im Auslande erzogener Offiziere organisiren zu können, eine Erwartung, in der man sich getäuscht gesehen hat, waS nichts¬ destoweniger zu keiner Aenderung der Methode führte. Der Nutzen, welchen das Rcnegatenthum der türkischen Armee gewährt, ist, im Vergleich mit dem Jnstructeurwesen nur als gering zu achten. Der erste Renegat, Omer Pascha, hat selbst erwiesenermaßen nur wenig organisatorisch gewirkt; indeß gehört eine Besprechung dieser Verhältnisse nicht zu der mir hier vorschwebenden Aufgabe. Wie gern auch der gemeine Mann hier zu Lande sich in die taktische Form cinschmiegt, und wie gefügig und anstellig er auch immerhin ist, mit anderen ein Ganzes auszumachen, handelt er dennoch am liebsten selbstständig und ist in dieser Hinsicht mehr Individuum als Maschine, was beim Russen grade umgekehrt ist. Eben hierauf beruht aber die Befähigung des Osmanen für das Einzelgefecht und für die Vertheidigung von Fortisicalionen. Man wird heute uoch Anstand nehmen müssen, eine türkische Armee im offenen Felde einer russischen gegenüberzustellen; aber man wird nicht zaudern dürfen, dieselbe Armee, ja die Hälfte, den vierten Theil sogar, in eine verschanzte Po¬ sition zu führen, damit sie dort dem Feinde standhalte. Damit ist ein Thema berührt, dessen gewissenhafte Behandlung eine analytische, zerlegende Erörterung verlangt; ich spare mir dieselbe für eine andre Gelegenheit auf, indem sie mich hier, ohne Frage, zu weit führen und vom Hauptgegenstand ablenken würde. Die vier auf der Krim engagirten Heere dürfen sich sämmtlich nicht rüh¬ men, eine ausgezeichnete Cavalerie zu besitzen. Deutschlands Armeen sind ih¬ nen darin unbestritten überlegen, und unter ihnen gebührt wiederum der östrei¬ chischen der Vorrang. Außerdem ist 'auf dem betreffenden Kriegstheater der Raum zu Neiterthaten beschränkt, weil das Terrain der freien Bewegung wenig günstig ist, und es bei den Actionen sich meistens um den Besitz von Schanzen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/373>, abgerufen am 02.10.2024.