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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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nöthigte, welches der Ausbildung der soldatischen Kerntugenden nothwendig Ab-
' bruns thun mußte. Unter dem Einfluß von oben her ist der russische Infan¬
terist daher mehr und mehr zur Paradepuppe als zum für das Feld geschulten
Kriegsmann geworden. Das russische Fußvolk trägt, namentlich was die
Garde- und Linienregimentcr angeht, das Gewehr wie kein andrer senkrecht
und gleich einer aufgesteckten Kerze im Arm, und die Richtung beim Desilircn
(Parademarsch) ist unübertroffen -- aber dabei geht ihm die Fähigkeit ab, die
allereinfachsten Ausmarsche ohne Hilfe der kleinen Lehrsähnchen und die Di-
stancen markirenden Offiziere zu machen. Ihre Evolutionen haben daher etwas
Langsames und Schwerfälliges und sie verkündigen sich dem Feind im voraus,
ehe ihre Ausführung noch begonnen hat, durch die angewendeten Erleichterungs¬
mittel.

Man wird für eine Infanterie stets sicher das Maß ihres Werthes finden,
wenn man zu ermitteln weiß, was sie den beiden anderen Waffen gegenüber
zu leisten vermag. Das russische Fußvolk ist wegen seiner Solidität im Stande,
den Anprall der Cavalerie auszuhalten, aber Artillerie hat es zu fürchten, weil
ihm, etwa in ähnlicher Weise wie den Engländern, das Geschick mangelt, en
"Zod!M<Za sich der Batterie zu nähern und dennoch der Muth sür ein geschlos¬
senes Darauflosgchen, wie es von den Briten beliebt wird, nicht der Mehr¬
zahl der Russen eigen ist. Ihre Bravour bewährt sich in der Passivität und
diese ist es durchschnittlich, welche sie den Wirkungen des vernichtenden Feuers
mit einer Art von heroischen Stumpfsinn entgegensetzen.

Schwarze, eherne Massen, scharfkantig wie aus Granit gehauen standen
in der Almaschlacht die russischen Colonnen da. Sie rührten sich zumeist nicht,
und harrten festen Fußes auf den nahenden Feind. Aber im Shrapnellfeuer
der englischen Batterien lichteten sich die dunklen Schlachtsäulen schnell auf, sie
hatten Fassung genug, um den Platz nicht zu verlassen, aber fast mangelte ih¬
nen die kühle Umsicht, ihre Reihen wieder zu schließen, in welche endlich die
Schotten mit gefälltem Bajonett einbrachen -- das Bild ist verbraucht und seine
Anwendbarkeit mag Zweifel erregen, aber es wird von Augenzeugen gebraucht
-- wie der Wolf unter die Lämmer.

Damit stimmt das, was mir oft von den Türken in Betreff des Wider¬
standes, welchen sie im Handgemenge mit den Russen gefunden hätten, gesagt
worden ist, sowie die Erzählungen des Oberst Graah (des Vertheidigers von
Silistria) mir ebenfalls ein Beleg dafür waren. Die Russen, wird von den
osmanischen Offizieren behauptet, trugen nur etwa solange das krystallinische
Gefüge, welches sie zu taktischen Formen einigt, solange der Gliederbau des
Aufmarsches nicht gebrochen ist. Es i"it nicht die Individuen, die wir vor
uns haben, sondern Massen. Nur dem Ganzen, nicht dem Einzelnen, nur dem
Bataillonskörper als solchen, nicht den 800 bis -1000 Mann, aus denen er


nöthigte, welches der Ausbildung der soldatischen Kerntugenden nothwendig Ab-
' bruns thun mußte. Unter dem Einfluß von oben her ist der russische Infan¬
terist daher mehr und mehr zur Paradepuppe als zum für das Feld geschulten
Kriegsmann geworden. Das russische Fußvolk trägt, namentlich was die
Garde- und Linienregimentcr angeht, das Gewehr wie kein andrer senkrecht
und gleich einer aufgesteckten Kerze im Arm, und die Richtung beim Desilircn
(Parademarsch) ist unübertroffen — aber dabei geht ihm die Fähigkeit ab, die
allereinfachsten Ausmarsche ohne Hilfe der kleinen Lehrsähnchen und die Di-
stancen markirenden Offiziere zu machen. Ihre Evolutionen haben daher etwas
Langsames und Schwerfälliges und sie verkündigen sich dem Feind im voraus,
ehe ihre Ausführung noch begonnen hat, durch die angewendeten Erleichterungs¬
mittel.

Man wird für eine Infanterie stets sicher das Maß ihres Werthes finden,
wenn man zu ermitteln weiß, was sie den beiden anderen Waffen gegenüber
zu leisten vermag. Das russische Fußvolk ist wegen seiner Solidität im Stande,
den Anprall der Cavalerie auszuhalten, aber Artillerie hat es zu fürchten, weil
ihm, etwa in ähnlicher Weise wie den Engländern, das Geschick mangelt, en
«Zod!M<Za sich der Batterie zu nähern und dennoch der Muth sür ein geschlos¬
senes Darauflosgchen, wie es von den Briten beliebt wird, nicht der Mehr¬
zahl der Russen eigen ist. Ihre Bravour bewährt sich in der Passivität und
diese ist es durchschnittlich, welche sie den Wirkungen des vernichtenden Feuers
mit einer Art von heroischen Stumpfsinn entgegensetzen.

Schwarze, eherne Massen, scharfkantig wie aus Granit gehauen standen
in der Almaschlacht die russischen Colonnen da. Sie rührten sich zumeist nicht,
und harrten festen Fußes auf den nahenden Feind. Aber im Shrapnellfeuer
der englischen Batterien lichteten sich die dunklen Schlachtsäulen schnell auf, sie
hatten Fassung genug, um den Platz nicht zu verlassen, aber fast mangelte ih¬
nen die kühle Umsicht, ihre Reihen wieder zu schließen, in welche endlich die
Schotten mit gefälltem Bajonett einbrachen — das Bild ist verbraucht und seine
Anwendbarkeit mag Zweifel erregen, aber es wird von Augenzeugen gebraucht
— wie der Wolf unter die Lämmer.

Damit stimmt das, was mir oft von den Türken in Betreff des Wider¬
standes, welchen sie im Handgemenge mit den Russen gefunden hätten, gesagt
worden ist, sowie die Erzählungen des Oberst Graah (des Vertheidigers von
Silistria) mir ebenfalls ein Beleg dafür waren. Die Russen, wird von den
osmanischen Offizieren behauptet, trugen nur etwa solange das krystallinische
Gefüge, welches sie zu taktischen Formen einigt, solange der Gliederbau des
Aufmarsches nicht gebrochen ist. Es i"it nicht die Individuen, die wir vor
uns haben, sondern Massen. Nur dem Ganzen, nicht dem Einzelnen, nur dem
Bataillonskörper als solchen, nicht den 800 bis -1000 Mann, aus denen er


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[0372] nöthigte, welches der Ausbildung der soldatischen Kerntugenden nothwendig Ab- ' bruns thun mußte. Unter dem Einfluß von oben her ist der russische Infan¬ terist daher mehr und mehr zur Paradepuppe als zum für das Feld geschulten Kriegsmann geworden. Das russische Fußvolk trägt, namentlich was die Garde- und Linienregimentcr angeht, das Gewehr wie kein andrer senkrecht und gleich einer aufgesteckten Kerze im Arm, und die Richtung beim Desilircn (Parademarsch) ist unübertroffen — aber dabei geht ihm die Fähigkeit ab, die allereinfachsten Ausmarsche ohne Hilfe der kleinen Lehrsähnchen und die Di- stancen markirenden Offiziere zu machen. Ihre Evolutionen haben daher etwas Langsames und Schwerfälliges und sie verkündigen sich dem Feind im voraus, ehe ihre Ausführung noch begonnen hat, durch die angewendeten Erleichterungs¬ mittel. Man wird für eine Infanterie stets sicher das Maß ihres Werthes finden, wenn man zu ermitteln weiß, was sie den beiden anderen Waffen gegenüber zu leisten vermag. Das russische Fußvolk ist wegen seiner Solidität im Stande, den Anprall der Cavalerie auszuhalten, aber Artillerie hat es zu fürchten, weil ihm, etwa in ähnlicher Weise wie den Engländern, das Geschick mangelt, en «Zod!M<Za sich der Batterie zu nähern und dennoch der Muth sür ein geschlos¬ senes Darauflosgchen, wie es von den Briten beliebt wird, nicht der Mehr¬ zahl der Russen eigen ist. Ihre Bravour bewährt sich in der Passivität und diese ist es durchschnittlich, welche sie den Wirkungen des vernichtenden Feuers mit einer Art von heroischen Stumpfsinn entgegensetzen. Schwarze, eherne Massen, scharfkantig wie aus Granit gehauen standen in der Almaschlacht die russischen Colonnen da. Sie rührten sich zumeist nicht, und harrten festen Fußes auf den nahenden Feind. Aber im Shrapnellfeuer der englischen Batterien lichteten sich die dunklen Schlachtsäulen schnell auf, sie hatten Fassung genug, um den Platz nicht zu verlassen, aber fast mangelte ih¬ nen die kühle Umsicht, ihre Reihen wieder zu schließen, in welche endlich die Schotten mit gefälltem Bajonett einbrachen — das Bild ist verbraucht und seine Anwendbarkeit mag Zweifel erregen, aber es wird von Augenzeugen gebraucht — wie der Wolf unter die Lämmer. Damit stimmt das, was mir oft von den Türken in Betreff des Wider¬ standes, welchen sie im Handgemenge mit den Russen gefunden hätten, gesagt worden ist, sowie die Erzählungen des Oberst Graah (des Vertheidigers von Silistria) mir ebenfalls ein Beleg dafür waren. Die Russen, wird von den osmanischen Offizieren behauptet, trugen nur etwa solange das krystallinische Gefüge, welches sie zu taktischen Formen einigt, solange der Gliederbau des Aufmarsches nicht gebrochen ist. Es i"it nicht die Individuen, die wir vor uns haben, sondern Massen. Nur dem Ganzen, nicht dem Einzelnen, nur dem Bataillonskörper als solchen, nicht den 800 bis -1000 Mann, aus denen er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/372>, abgerufen am 25.08.2024.