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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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merkantilischen Entwicklungen sagt, zeigt in der Regel ein reifes Urtheil und
ist soweit ausgeführt, um den gebildeten Leser vollständig zu orientiren, obgleich
die politische Geschichte sich bedeutend in den Vordergrund drängt. Weniger
bedeutend sind seine Fragmente aus der Literaturgeschichte. In solchen Dingen
kommt es auf Spontaneität an, auf kühne, durchschlagende und überraschende
Perspektiven. Diese finden sich bei Lord Mensor fast gar nicht, während sie
bei Macaulay in so reicher Fülle hervorsprudeln. Dagegen ist das Urtheil
des ersteren in manchen Fällen ruhiger und besonnener. Namentlich hat uns
die große Pietät für Walter Scott erfreut, die fast überall hervortritt, wo er
in seiner Geschichte auf einen von diesem Dichter behandelten Zeitabschnitt
kommt, was ziemlich häufig geschieht. Auch dürften die vermischten Schriften
Walter Scotts für sein literarisches Urtheil in vielen Fällen maßgebend ge¬
wesen sein. -- Die Porträts von den Figuren, die er zeichnet, sind nicht mit
jenen kühnen Strichen ausgeführt, die uns bei Macaulay oft so wunderbar
überraschen, aber sie sind fleißig und gründlich gearbeitet; ebenso seine eigent¬
lichen Schilderungen, von denen einzelne, z. B. die Geschichte der Jnsurrection
von 17i5, außerordentlich gelungen sind; freilich zum Theil, weil ihm auch
hier W. Scott als Vorbild vorschwebte.

DaS deutsche Publicum wird das Werk als "die correcte und erschöpfende
Darstellung eines Zeitalters, das an sich merkwürdig und bedeutend ist und
noch interessanter wird durch die leicht sich darbietenden Analogien in der
Gegenwart, mit Befriedigung aufnehmen und seine politische Einsicht und Er¬
kenntniß dadurch erweitern. Möchte für dieselbe Periode der deutschen Ge¬
schichte, die ungleich wichtiger und folgenreicher ist, für die aber unsre Ge¬
schichtschreiber, bis auf einzelne Monographien, nicht dick geleistet haben, sich
bald eine ebenbürtige Darstellung finden. Denn die allgemeine Geschichte wird
am meisten dadurch gewinnen, wenn jeder Geschichtschreiber zunächst auf die
Begebenheiten seines eignen Volks, die er besser versteht und die ihm auch
gemüthlich näher liegen, sein Augenmerk wendet, und die Darstellung der aus¬
ländischen Geschichte dem Ausländer überläßt. --

Zu diesem Sinn sind die historischen Gesellschaften, die sich in neuerer
Zeit in den verschiedenen Theilen unsres Vaterlandes gebildet haben, von so
außerordentlicher Wichtigkeit. Es liegt ihnen ein Werk ob, das auch der eisernste
Fleiß eines einzelnen Geschichtsforschers nicht bewältigen kann; ein Werk, wel¬
ches für die deutsche Geschichtschreibung noch viel wesentlicher ist, als für die
irgendeines andern Landes, da unsre Geschichte sich in so unzählig viele kleine
Theile zersplittert: nämlich die Feststellung der provinziellen Basis für die Dar¬
stellung unsrer allgemeinen Verhältnisse. Nur aus dieser Durchforschung des
Einzelnen kann das hervorgehen, was allein das Studium der Geschichte
fruchtbar'macht: die Vorstellung von der stillen, unscheinbaren Entwicklung des


merkantilischen Entwicklungen sagt, zeigt in der Regel ein reifes Urtheil und
ist soweit ausgeführt, um den gebildeten Leser vollständig zu orientiren, obgleich
die politische Geschichte sich bedeutend in den Vordergrund drängt. Weniger
bedeutend sind seine Fragmente aus der Literaturgeschichte. In solchen Dingen
kommt es auf Spontaneität an, auf kühne, durchschlagende und überraschende
Perspektiven. Diese finden sich bei Lord Mensor fast gar nicht, während sie
bei Macaulay in so reicher Fülle hervorsprudeln. Dagegen ist das Urtheil
des ersteren in manchen Fällen ruhiger und besonnener. Namentlich hat uns
die große Pietät für Walter Scott erfreut, die fast überall hervortritt, wo er
in seiner Geschichte auf einen von diesem Dichter behandelten Zeitabschnitt
kommt, was ziemlich häufig geschieht. Auch dürften die vermischten Schriften
Walter Scotts für sein literarisches Urtheil in vielen Fällen maßgebend ge¬
wesen sein. — Die Porträts von den Figuren, die er zeichnet, sind nicht mit
jenen kühnen Strichen ausgeführt, die uns bei Macaulay oft so wunderbar
überraschen, aber sie sind fleißig und gründlich gearbeitet; ebenso seine eigent¬
lichen Schilderungen, von denen einzelne, z. B. die Geschichte der Jnsurrection
von 17i5, außerordentlich gelungen sind; freilich zum Theil, weil ihm auch
hier W. Scott als Vorbild vorschwebte.

DaS deutsche Publicum wird das Werk als "die correcte und erschöpfende
Darstellung eines Zeitalters, das an sich merkwürdig und bedeutend ist und
noch interessanter wird durch die leicht sich darbietenden Analogien in der
Gegenwart, mit Befriedigung aufnehmen und seine politische Einsicht und Er¬
kenntniß dadurch erweitern. Möchte für dieselbe Periode der deutschen Ge¬
schichte, die ungleich wichtiger und folgenreicher ist, für die aber unsre Ge¬
schichtschreiber, bis auf einzelne Monographien, nicht dick geleistet haben, sich
bald eine ebenbürtige Darstellung finden. Denn die allgemeine Geschichte wird
am meisten dadurch gewinnen, wenn jeder Geschichtschreiber zunächst auf die
Begebenheiten seines eignen Volks, die er besser versteht und die ihm auch
gemüthlich näher liegen, sein Augenmerk wendet, und die Darstellung der aus¬
ländischen Geschichte dem Ausländer überläßt. —

Zu diesem Sinn sind die historischen Gesellschaften, die sich in neuerer
Zeit in den verschiedenen Theilen unsres Vaterlandes gebildet haben, von so
außerordentlicher Wichtigkeit. Es liegt ihnen ein Werk ob, das auch der eisernste
Fleiß eines einzelnen Geschichtsforschers nicht bewältigen kann; ein Werk, wel¬
ches für die deutsche Geschichtschreibung noch viel wesentlicher ist, als für die
irgendeines andern Landes, da unsre Geschichte sich in so unzählig viele kleine
Theile zersplittert: nämlich die Feststellung der provinziellen Basis für die Dar¬
stellung unsrer allgemeinen Verhältnisse. Nur aus dieser Durchforschung des
Einzelnen kann das hervorgehen, was allein das Studium der Geschichte
fruchtbar'macht: die Vorstellung von der stillen, unscheinbaren Entwicklung des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/333>, abgerufen am 25.08.2024.