Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

theilung ist gleichwol die allgemein verbreitete, und alle drei Nationalitäten
gehen dabei in der Anerkennungslosigkeit und Ungerechtigkeit gleich weit. Man
glaube auch nicht, daß ihren Anforderungen innerhalb deö osmanischen Rei¬
ches jemals Genüge geleistet werden Sonne, mindestens wird dies mit Be¬
ziehung auf die Griechen und Slawen nicht geschehen. Die ersteren werden
unzufrieden bleiben, auch wenn man ihnen eine volle Gleichberechtigung neben
den Muselmännern einräumt, denn ihr Bestreben ist nicht auf diese gerichtet,
sondern auf Herrschaft. Sie sind ein Element, welches das Osmanenthum -
nie im Stande sein wird, politisch mit sich zu verschmelzen, und so stark er¬
scheint mir der Gegensatz zwischen diesen von allem Anfang an einander feind¬
lich gegenüberstehenden Racen, daß selbst der Untergang des Islam, den mög¬
licherweise das nächste Jahrhundert bringen wird, unzureichend sein dürfte,
um zu einer osmanisch-griechischen Volkslegirung zu führen.

Der Gegensatz zwischen Türken und Bulgaren ist andrer Art, aber im Grunde
genommen trennt sie eine gleich weite und tiefe Kluft. Jener erkennt in dem
Volke, nordwärts zwischen Donau und Balkan, im Grunde genommen nur die
Stammesgenossen seines Nationalfeindes, des Russen, und dieser wiederum ist,
wenn auch nur dunkel und ohne weitere Nachgedanken, sich des Beistandes be¬
wußt, den der Beherrscher des großen Zarenreiches, der mächtige Zar ihm der¬
einst angedeihen lassen wird, "wenn er es für gut erachten sollte, seine Hand
ernstlich gen Stambul auszustrecken." Politische Agenten einerseits, Priester
andrerseits, sorgen für die Erhaltung und Fortpflanzung derartiger Gesinnun¬
gen. Wenn es die Entscheidung der Frage gälte, aus welcher Nationalität
Rußland die nutzbringendsten und rückhaltlosesten Werkzeuge sich wählen konnte,
welche überhaupt am bereitwilligsten ist, sich seinem Interesse hinzugeben, würde
ich mich ohne weiteres für die Bulgaren entscheiden -- dieser Stamm denkt
nicht sowol wie die Griechen und ungleich weniger als die Serben an eine der-
einstige Nationalunabhängigkeit, sondern träumt sich vielmehr als dereinst in
die Gesammtheit des großen nordischen Slawenreiches einbegriffen, als ein
Bruchstück der russischen Nationalität. Obwol bescheidener in seinen Wünschen,
ist, wie diese nun einmal zu den Verhältnissen liegen, der Bulgar deßungeachtet,
wenn er sich auf Verschwörung einläßt, ein weit gefährlicherer'Demagoge wie
der Grieche, und das weiß man hier in Konstantinopel wohl zu würdigen.
Sollte die Pforte jemals darein willigen müssen, daß Oestreich festen Fuß
an den Donaumündungen faßt, und wenn auch noch nicht gewiß, ist solcher
Fall heute ziemlich wahrscheinlich, so wird sie, abgesehen von der Rückwerfung
Rußlands, die ein derartiges Arrangement mit sich bringen würde, auch den
andren Vortheil daraus ziehen, daß sie im Norden des Balkans dispositions¬
fähiger würde. Der Bulgar fände bei seinen Hoffnungen nicht mehr den
Rückhalt von ehedem; ohne Ehrgeiz wie er ist, würde er ein williger Unterthan


theilung ist gleichwol die allgemein verbreitete, und alle drei Nationalitäten
gehen dabei in der Anerkennungslosigkeit und Ungerechtigkeit gleich weit. Man
glaube auch nicht, daß ihren Anforderungen innerhalb deö osmanischen Rei¬
ches jemals Genüge geleistet werden Sonne, mindestens wird dies mit Be¬
ziehung auf die Griechen und Slawen nicht geschehen. Die ersteren werden
unzufrieden bleiben, auch wenn man ihnen eine volle Gleichberechtigung neben
den Muselmännern einräumt, denn ihr Bestreben ist nicht auf diese gerichtet,
sondern auf Herrschaft. Sie sind ein Element, welches das Osmanenthum -
nie im Stande sein wird, politisch mit sich zu verschmelzen, und so stark er¬
scheint mir der Gegensatz zwischen diesen von allem Anfang an einander feind¬
lich gegenüberstehenden Racen, daß selbst der Untergang des Islam, den mög¬
licherweise das nächste Jahrhundert bringen wird, unzureichend sein dürfte,
um zu einer osmanisch-griechischen Volkslegirung zu führen.

Der Gegensatz zwischen Türken und Bulgaren ist andrer Art, aber im Grunde
genommen trennt sie eine gleich weite und tiefe Kluft. Jener erkennt in dem
Volke, nordwärts zwischen Donau und Balkan, im Grunde genommen nur die
Stammesgenossen seines Nationalfeindes, des Russen, und dieser wiederum ist,
wenn auch nur dunkel und ohne weitere Nachgedanken, sich des Beistandes be¬
wußt, den der Beherrscher des großen Zarenreiches, der mächtige Zar ihm der¬
einst angedeihen lassen wird, „wenn er es für gut erachten sollte, seine Hand
ernstlich gen Stambul auszustrecken." Politische Agenten einerseits, Priester
andrerseits, sorgen für die Erhaltung und Fortpflanzung derartiger Gesinnun¬
gen. Wenn es die Entscheidung der Frage gälte, aus welcher Nationalität
Rußland die nutzbringendsten und rückhaltlosesten Werkzeuge sich wählen konnte,
welche überhaupt am bereitwilligsten ist, sich seinem Interesse hinzugeben, würde
ich mich ohne weiteres für die Bulgaren entscheiden — dieser Stamm denkt
nicht sowol wie die Griechen und ungleich weniger als die Serben an eine der-
einstige Nationalunabhängigkeit, sondern träumt sich vielmehr als dereinst in
die Gesammtheit des großen nordischen Slawenreiches einbegriffen, als ein
Bruchstück der russischen Nationalität. Obwol bescheidener in seinen Wünschen,
ist, wie diese nun einmal zu den Verhältnissen liegen, der Bulgar deßungeachtet,
wenn er sich auf Verschwörung einläßt, ein weit gefährlicherer'Demagoge wie
der Grieche, und das weiß man hier in Konstantinopel wohl zu würdigen.
Sollte die Pforte jemals darein willigen müssen, daß Oestreich festen Fuß
an den Donaumündungen faßt, und wenn auch noch nicht gewiß, ist solcher
Fall heute ziemlich wahrscheinlich, so wird sie, abgesehen von der Rückwerfung
Rußlands, die ein derartiges Arrangement mit sich bringen würde, auch den
andren Vortheil daraus ziehen, daß sie im Norden des Balkans dispositions¬
fähiger würde. Der Bulgar fände bei seinen Hoffnungen nicht mehr den
Rückhalt von ehedem; ohne Ehrgeiz wie er ist, würde er ein williger Unterthan


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0320" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98634"/>
          <p xml:id="ID_1031" prev="#ID_1030"> theilung ist gleichwol die allgemein verbreitete, und alle drei Nationalitäten<lb/>
gehen dabei in der Anerkennungslosigkeit und Ungerechtigkeit gleich weit. Man<lb/>
glaube auch nicht, daß ihren Anforderungen innerhalb deö osmanischen Rei¬<lb/>
ches jemals Genüge geleistet werden Sonne, mindestens wird dies mit Be¬<lb/>
ziehung auf die Griechen und Slawen nicht geschehen. Die ersteren werden<lb/>
unzufrieden bleiben, auch wenn man ihnen eine volle Gleichberechtigung neben<lb/>
den Muselmännern einräumt, denn ihr Bestreben ist nicht auf diese gerichtet,<lb/>
sondern auf Herrschaft. Sie sind ein Element, welches das Osmanenthum -<lb/>
nie im Stande sein wird, politisch mit sich zu verschmelzen, und so stark er¬<lb/>
scheint mir der Gegensatz zwischen diesen von allem Anfang an einander feind¬<lb/>
lich gegenüberstehenden Racen, daß selbst der Untergang des Islam, den mög¬<lb/>
licherweise das nächste Jahrhundert bringen wird, unzureichend sein dürfte,<lb/>
um zu einer osmanisch-griechischen Volkslegirung zu führen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1032" next="#ID_1033"> Der Gegensatz zwischen Türken und Bulgaren ist andrer Art, aber im Grunde<lb/>
genommen trennt sie eine gleich weite und tiefe Kluft. Jener erkennt in dem<lb/>
Volke, nordwärts zwischen Donau und Balkan, im Grunde genommen nur die<lb/>
Stammesgenossen seines Nationalfeindes, des Russen, und dieser wiederum ist,<lb/>
wenn auch nur dunkel und ohne weitere Nachgedanken, sich des Beistandes be¬<lb/>
wußt, den der Beherrscher des großen Zarenreiches, der mächtige Zar ihm der¬<lb/>
einst angedeihen lassen wird, &#x201E;wenn er es für gut erachten sollte, seine Hand<lb/>
ernstlich gen Stambul auszustrecken." Politische Agenten einerseits, Priester<lb/>
andrerseits, sorgen für die Erhaltung und Fortpflanzung derartiger Gesinnun¬<lb/>
gen. Wenn es die Entscheidung der Frage gälte, aus welcher Nationalität<lb/>
Rußland die nutzbringendsten und rückhaltlosesten Werkzeuge sich wählen konnte,<lb/>
welche überhaupt am bereitwilligsten ist, sich seinem Interesse hinzugeben, würde<lb/>
ich mich ohne weiteres für die Bulgaren entscheiden &#x2014; dieser Stamm denkt<lb/>
nicht sowol wie die Griechen und ungleich weniger als die Serben an eine der-<lb/>
einstige Nationalunabhängigkeit, sondern träumt sich vielmehr als dereinst in<lb/>
die Gesammtheit des großen nordischen Slawenreiches einbegriffen, als ein<lb/>
Bruchstück der russischen Nationalität. Obwol bescheidener in seinen Wünschen,<lb/>
ist, wie diese nun einmal zu den Verhältnissen liegen, der Bulgar deßungeachtet,<lb/>
wenn er sich auf Verschwörung einläßt, ein weit gefährlicherer'Demagoge wie<lb/>
der Grieche, und das weiß man hier in Konstantinopel wohl zu würdigen.<lb/>
Sollte die Pforte jemals darein willigen müssen, daß Oestreich festen Fuß<lb/>
an den Donaumündungen faßt, und wenn auch noch nicht gewiß, ist solcher<lb/>
Fall heute ziemlich wahrscheinlich, so wird sie, abgesehen von der Rückwerfung<lb/>
Rußlands, die ein derartiges Arrangement mit sich bringen würde, auch den<lb/>
andren Vortheil daraus ziehen, daß sie im Norden des Balkans dispositions¬<lb/>
fähiger würde. Der Bulgar fände bei seinen Hoffnungen nicht mehr den<lb/>
Rückhalt von ehedem; ohne Ehrgeiz wie er ist, würde er ein williger Unterthan</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0320] theilung ist gleichwol die allgemein verbreitete, und alle drei Nationalitäten gehen dabei in der Anerkennungslosigkeit und Ungerechtigkeit gleich weit. Man glaube auch nicht, daß ihren Anforderungen innerhalb deö osmanischen Rei¬ ches jemals Genüge geleistet werden Sonne, mindestens wird dies mit Be¬ ziehung auf die Griechen und Slawen nicht geschehen. Die ersteren werden unzufrieden bleiben, auch wenn man ihnen eine volle Gleichberechtigung neben den Muselmännern einräumt, denn ihr Bestreben ist nicht auf diese gerichtet, sondern auf Herrschaft. Sie sind ein Element, welches das Osmanenthum - nie im Stande sein wird, politisch mit sich zu verschmelzen, und so stark er¬ scheint mir der Gegensatz zwischen diesen von allem Anfang an einander feind¬ lich gegenüberstehenden Racen, daß selbst der Untergang des Islam, den mög¬ licherweise das nächste Jahrhundert bringen wird, unzureichend sein dürfte, um zu einer osmanisch-griechischen Volkslegirung zu führen. Der Gegensatz zwischen Türken und Bulgaren ist andrer Art, aber im Grunde genommen trennt sie eine gleich weite und tiefe Kluft. Jener erkennt in dem Volke, nordwärts zwischen Donau und Balkan, im Grunde genommen nur die Stammesgenossen seines Nationalfeindes, des Russen, und dieser wiederum ist, wenn auch nur dunkel und ohne weitere Nachgedanken, sich des Beistandes be¬ wußt, den der Beherrscher des großen Zarenreiches, der mächtige Zar ihm der¬ einst angedeihen lassen wird, „wenn er es für gut erachten sollte, seine Hand ernstlich gen Stambul auszustrecken." Politische Agenten einerseits, Priester andrerseits, sorgen für die Erhaltung und Fortpflanzung derartiger Gesinnun¬ gen. Wenn es die Entscheidung der Frage gälte, aus welcher Nationalität Rußland die nutzbringendsten und rückhaltlosesten Werkzeuge sich wählen konnte, welche überhaupt am bereitwilligsten ist, sich seinem Interesse hinzugeben, würde ich mich ohne weiteres für die Bulgaren entscheiden — dieser Stamm denkt nicht sowol wie die Griechen und ungleich weniger als die Serben an eine der- einstige Nationalunabhängigkeit, sondern träumt sich vielmehr als dereinst in die Gesammtheit des großen nordischen Slawenreiches einbegriffen, als ein Bruchstück der russischen Nationalität. Obwol bescheidener in seinen Wünschen, ist, wie diese nun einmal zu den Verhältnissen liegen, der Bulgar deßungeachtet, wenn er sich auf Verschwörung einläßt, ein weit gefährlicherer'Demagoge wie der Grieche, und das weiß man hier in Konstantinopel wohl zu würdigen. Sollte die Pforte jemals darein willigen müssen, daß Oestreich festen Fuß an den Donaumündungen faßt, und wenn auch noch nicht gewiß, ist solcher Fall heute ziemlich wahrscheinlich, so wird sie, abgesehen von der Rückwerfung Rußlands, die ein derartiges Arrangement mit sich bringen würde, auch den andren Vortheil daraus ziehen, daß sie im Norden des Balkans dispositions¬ fähiger würde. Der Bulgar fände bei seinen Hoffnungen nicht mehr den Rückhalt von ehedem; ohne Ehrgeiz wie er ist, würde er ein williger Unterthan

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/320
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/320>, abgerufen am 25.08.2024.