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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Betracht ziehen. Es gibt einen sehr großen Theil des Publicums, der in der
Literatur alle Arbeit und Anstrengung verabscheut, dem wissenschaftlicher Ernst
und wissenschaftliche Strenge unerträglich sind. Auf dieses Publicum wird in
neuerer Zeit durch Bücher, die unter einer gleißenden Hülle einen, giftigen
Inhalt verbergen, sehr schädlich eingewirkt, und wir haben daher zu unter¬
suchen, ob dieses Werk auch zu dieser Classe gehört.

Mit großer Befriedigung sprechen wir aus, daß das Gegentheil der Fall
ist. Abgesehen davon, daß ein empfindsam verschwommener Stil indirect einen
schädlichen Einfluß auf die Leser ausübt, und daß Unbestimmtheit der Begriffe
die Lust am Denken verkümmert, ist der Inhalt nur zu loben. Der Verfasser
hat ein warmes und empfängliches Gefühl für das Schöne und ein durchaus
redliches Wollen. Seine Abneigung gegen das Schlechte wird zwar nicht zur
Leidenschaft, aber sie ist vorhanden, und stark genug, um ihn vor jenen
sophistischen Trugschlüssen zu bewahren, mit denen heutzutage das Gute
und Böse durcheinandergeworfen wird. Dabei hat er eine ziemlich reiche Be¬
lesenheit und weiß dieselbe zum Besten seines Publicums zu verwerthen. Er
führt eine Masse schöner Stellen an, die der flüchtige Leser leicht übersieht,
und macht auf ihre Vorzüge aufmerksam, nicht immer geschickt, aber doch immer
mit dem besten Willen. Er hat ein lebhaftes Pietätsgefühl, und weiß dem¬
selben zuweilen innige Worte zu leihen.

Betrachten wir das Buch also als ein erbauliches (erbaulich im weitem
Sinne), dazu bestimmt, dem Publicum, welches das Schöne nicht unmittelbar
zu genießen versteht, dasselbe durch rhetorische Vermittlung einzuschmeicheln,
so hat es seine volle Berechtigung; denn bei dieser rein subjectiven Bestimmung
hört auch die objective wissenschaftliche Kritik auf: ein Publicum, welches eine
derartige Lectüre liebt, ist thatsächlich vorhanden, und für dieses Publicum ist
die vorliegende Unterhaltung viel nützlicher und heilsamer, als vieles andere,
was in derselben Art geschrieben ist.

Die eigentliche Deduction ist natürlich das Schwächste am Werk. Die
"literarhistorischen Erläuterungen" sind besser. So würde namentlich die Ver-
gleichung des indischen, persischen, griechischen und germanischen Volksepos recht
interessant sein, da es bei solchen Vergleichungen weniger auf Schärfe und
Strenge ankommt, als auf einen gewissen Znstinct, wenn sich der Verfasser
nicht zuweilen auf Betrachtungen eingelassen hätte, die außerhalb seines Kreises
liegen; einmal sogar auf etymologische Erörterungen. Dergleichen ist immer
eine nutzlose Spielerei, wenn es nicht aus der innersten und umfassendsten
Kenntniß der Sprache heraus geschieht. Auch die Abhandlung über Schiller
ist infofern zu loben, als sie mit großer Wärme die Vorzüge dieses Dichters
hervorhebt, was heutzutage sehr nöthig ist, da bereits eine Generation bei uns
eristirt, die Schillern nur auf der Schulbank gelesen hat, also in einer Zeit,


Betracht ziehen. Es gibt einen sehr großen Theil des Publicums, der in der
Literatur alle Arbeit und Anstrengung verabscheut, dem wissenschaftlicher Ernst
und wissenschaftliche Strenge unerträglich sind. Auf dieses Publicum wird in
neuerer Zeit durch Bücher, die unter einer gleißenden Hülle einen, giftigen
Inhalt verbergen, sehr schädlich eingewirkt, und wir haben daher zu unter¬
suchen, ob dieses Werk auch zu dieser Classe gehört.

Mit großer Befriedigung sprechen wir aus, daß das Gegentheil der Fall
ist. Abgesehen davon, daß ein empfindsam verschwommener Stil indirect einen
schädlichen Einfluß auf die Leser ausübt, und daß Unbestimmtheit der Begriffe
die Lust am Denken verkümmert, ist der Inhalt nur zu loben. Der Verfasser
hat ein warmes und empfängliches Gefühl für das Schöne und ein durchaus
redliches Wollen. Seine Abneigung gegen das Schlechte wird zwar nicht zur
Leidenschaft, aber sie ist vorhanden, und stark genug, um ihn vor jenen
sophistischen Trugschlüssen zu bewahren, mit denen heutzutage das Gute
und Böse durcheinandergeworfen wird. Dabei hat er eine ziemlich reiche Be¬
lesenheit und weiß dieselbe zum Besten seines Publicums zu verwerthen. Er
führt eine Masse schöner Stellen an, die der flüchtige Leser leicht übersieht,
und macht auf ihre Vorzüge aufmerksam, nicht immer geschickt, aber doch immer
mit dem besten Willen. Er hat ein lebhaftes Pietätsgefühl, und weiß dem¬
selben zuweilen innige Worte zu leihen.

Betrachten wir das Buch also als ein erbauliches (erbaulich im weitem
Sinne), dazu bestimmt, dem Publicum, welches das Schöne nicht unmittelbar
zu genießen versteht, dasselbe durch rhetorische Vermittlung einzuschmeicheln,
so hat es seine volle Berechtigung; denn bei dieser rein subjectiven Bestimmung
hört auch die objective wissenschaftliche Kritik auf: ein Publicum, welches eine
derartige Lectüre liebt, ist thatsächlich vorhanden, und für dieses Publicum ist
die vorliegende Unterhaltung viel nützlicher und heilsamer, als vieles andere,
was in derselben Art geschrieben ist.

Die eigentliche Deduction ist natürlich das Schwächste am Werk. Die
„literarhistorischen Erläuterungen" sind besser. So würde namentlich die Ver-
gleichung des indischen, persischen, griechischen und germanischen Volksepos recht
interessant sein, da es bei solchen Vergleichungen weniger auf Schärfe und
Strenge ankommt, als auf einen gewissen Znstinct, wenn sich der Verfasser
nicht zuweilen auf Betrachtungen eingelassen hätte, die außerhalb seines Kreises
liegen; einmal sogar auf etymologische Erörterungen. Dergleichen ist immer
eine nutzlose Spielerei, wenn es nicht aus der innersten und umfassendsten
Kenntniß der Sprache heraus geschieht. Auch die Abhandlung über Schiller
ist infofern zu loben, als sie mit großer Wärme die Vorzüge dieses Dichters
hervorhebt, was heutzutage sehr nöthig ist, da bereits eine Generation bei uns
eristirt, die Schillern nur auf der Schulbank gelesen hat, also in einer Zeit,


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[0306] Betracht ziehen. Es gibt einen sehr großen Theil des Publicums, der in der Literatur alle Arbeit und Anstrengung verabscheut, dem wissenschaftlicher Ernst und wissenschaftliche Strenge unerträglich sind. Auf dieses Publicum wird in neuerer Zeit durch Bücher, die unter einer gleißenden Hülle einen, giftigen Inhalt verbergen, sehr schädlich eingewirkt, und wir haben daher zu unter¬ suchen, ob dieses Werk auch zu dieser Classe gehört. Mit großer Befriedigung sprechen wir aus, daß das Gegentheil der Fall ist. Abgesehen davon, daß ein empfindsam verschwommener Stil indirect einen schädlichen Einfluß auf die Leser ausübt, und daß Unbestimmtheit der Begriffe die Lust am Denken verkümmert, ist der Inhalt nur zu loben. Der Verfasser hat ein warmes und empfängliches Gefühl für das Schöne und ein durchaus redliches Wollen. Seine Abneigung gegen das Schlechte wird zwar nicht zur Leidenschaft, aber sie ist vorhanden, und stark genug, um ihn vor jenen sophistischen Trugschlüssen zu bewahren, mit denen heutzutage das Gute und Böse durcheinandergeworfen wird. Dabei hat er eine ziemlich reiche Be¬ lesenheit und weiß dieselbe zum Besten seines Publicums zu verwerthen. Er führt eine Masse schöner Stellen an, die der flüchtige Leser leicht übersieht, und macht auf ihre Vorzüge aufmerksam, nicht immer geschickt, aber doch immer mit dem besten Willen. Er hat ein lebhaftes Pietätsgefühl, und weiß dem¬ selben zuweilen innige Worte zu leihen. Betrachten wir das Buch also als ein erbauliches (erbaulich im weitem Sinne), dazu bestimmt, dem Publicum, welches das Schöne nicht unmittelbar zu genießen versteht, dasselbe durch rhetorische Vermittlung einzuschmeicheln, so hat es seine volle Berechtigung; denn bei dieser rein subjectiven Bestimmung hört auch die objective wissenschaftliche Kritik auf: ein Publicum, welches eine derartige Lectüre liebt, ist thatsächlich vorhanden, und für dieses Publicum ist die vorliegende Unterhaltung viel nützlicher und heilsamer, als vieles andere, was in derselben Art geschrieben ist. Die eigentliche Deduction ist natürlich das Schwächste am Werk. Die „literarhistorischen Erläuterungen" sind besser. So würde namentlich die Ver- gleichung des indischen, persischen, griechischen und germanischen Volksepos recht interessant sein, da es bei solchen Vergleichungen weniger auf Schärfe und Strenge ankommt, als auf einen gewissen Znstinct, wenn sich der Verfasser nicht zuweilen auf Betrachtungen eingelassen hätte, die außerhalb seines Kreises liegen; einmal sogar auf etymologische Erörterungen. Dergleichen ist immer eine nutzlose Spielerei, wenn es nicht aus der innersten und umfassendsten Kenntniß der Sprache heraus geschieht. Auch die Abhandlung über Schiller ist infofern zu loben, als sie mit großer Wärme die Vorzüge dieses Dichters hervorhebt, was heutzutage sehr nöthig ist, da bereits eine Generation bei uns eristirt, die Schillern nur auf der Schulbank gelesen hat, also in einer Zeit,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/306>, abgerufen am 22.07.2024.