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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Nur sind wir doch der Ansicht, daß der Herausgeber im Wegschneiden
der Episoden zu grausam gewesen ist. Eine Probe sind schon die beiden zunächst
folgenden Episoden, die er selbst mittheilt: "Fischaas Geburt" und "Umba".
Beide gehören wesentlich in den Zusammenhang des Epos, und namentlich
das Wegfallen der letztern lahmt eins der Hauptmotive der Handlung. So
vermissen wir auch bei dem Schlußgesang eine innere Verbindung mit dem
Vorhergehenden. Von den beiden feindlichen Familien aus dem Hause der
Kuruinge ist der bessere Theil unterlegen; die Feinde haben überall durch
böse Künste gesiegt, bis nun zuletzt ein Held auftritt, der sich bis dahin noch
gar nicht bemerklich gemacht hatte, und sie sämmtlich umbringt. In unsren
Nibelungen wird zwar das Auftreten des Dietrich von Bern auch ziemlich
verspätet, aber doch nicht solange, daß wir uns nicht von ihm und seiner
Stellung eine lebendige Vorstellung bilden könnten. Aswatthaman dagegen
ist für uus eine ganz farblose Gestalt, und dadurch wird das Interesse, das
wir an der letzten Entscheidung nehmen, etwas abgestumpft.

Unter den übrigen Episoden aus dem Mahabharata tritt die schon aus
frühern Bearbeitungen bekannte, außerordentlich liebliche Geschichte vom König
Nal hervor. Der Verfasser hat sie dem Indischen getreuer nachzubilden gesucht,
als bisher der Fall war. Die andern Episoden haben einen wesentlich ver¬
schiedenen Charakter. Sie treten aus dem rein Heroischen heraus und deuten
schon hin und wieder auf dogmatische, vielleicht naturphilosophische Speku¬
lationen. Die Erfindungen gehen ins Ungeheure und Abenteuerliche, und der
epische Charakter geht in dem mythologischen unter. In einrr dieser Episoden,
"Usinar", findet der Verfasser, und nicht mit Unrecht, eine höchst merkwürdige
Anticipation des christlichen Geistes.

Aus dem Ramajan ist das zweite Buch bearbeitet, und dieses schöne
Gedicht, dessen sittliche Erhabenheit wir ebenso bewundern müssen, wie die
lebendige Farbe, schließt sich würdig an die Kuruinge an.

Es bleibt uns noch übrig, unsre Ansicht über die äußern Formen aus¬
zusprechen, die der Bearbeiter angewendet hat. Daß er das Versmaß der
indischen Epen nicht in seiner Reinheit wiederzugeben versucht hat, finden wir
ganz in der Ordnung. Ein Rhythmus hat nur dann einen Sinn, wenn er
mit dem natürlichen Fluß der Sprache in Uebereinstimmung steht; das indische
Versmaß dagegen, welches aus zwei achtsilbigen Halbzeilen besteht, von denen
jedes Mal dje vier ersten Silben gleichgiltig sind, während die vier letzten
Silben in der ersten Halbzeile das Schema ^__^ , in der zweiten das
Schema ^ _ ^ . annehmen, widerspricht allen unsren Begriffen von Rhythmus,
es läßt unser Ohr unberührt und setzt dem natürlichen Fluß unsrer Rede un-
übersteigliche Schranken. Der Verfasser hat zuerst versucht, dieses Versmaß
durch reine Doppeljamben zu ersetzen, so in der Episode des Ramajana; er


Nur sind wir doch der Ansicht, daß der Herausgeber im Wegschneiden
der Episoden zu grausam gewesen ist. Eine Probe sind schon die beiden zunächst
folgenden Episoden, die er selbst mittheilt: „Fischaas Geburt" und „Umba".
Beide gehören wesentlich in den Zusammenhang des Epos, und namentlich
das Wegfallen der letztern lahmt eins der Hauptmotive der Handlung. So
vermissen wir auch bei dem Schlußgesang eine innere Verbindung mit dem
Vorhergehenden. Von den beiden feindlichen Familien aus dem Hause der
Kuruinge ist der bessere Theil unterlegen; die Feinde haben überall durch
böse Künste gesiegt, bis nun zuletzt ein Held auftritt, der sich bis dahin noch
gar nicht bemerklich gemacht hatte, und sie sämmtlich umbringt. In unsren
Nibelungen wird zwar das Auftreten des Dietrich von Bern auch ziemlich
verspätet, aber doch nicht solange, daß wir uns nicht von ihm und seiner
Stellung eine lebendige Vorstellung bilden könnten. Aswatthaman dagegen
ist für uus eine ganz farblose Gestalt, und dadurch wird das Interesse, das
wir an der letzten Entscheidung nehmen, etwas abgestumpft.

Unter den übrigen Episoden aus dem Mahabharata tritt die schon aus
frühern Bearbeitungen bekannte, außerordentlich liebliche Geschichte vom König
Nal hervor. Der Verfasser hat sie dem Indischen getreuer nachzubilden gesucht,
als bisher der Fall war. Die andern Episoden haben einen wesentlich ver¬
schiedenen Charakter. Sie treten aus dem rein Heroischen heraus und deuten
schon hin und wieder auf dogmatische, vielleicht naturphilosophische Speku¬
lationen. Die Erfindungen gehen ins Ungeheure und Abenteuerliche, und der
epische Charakter geht in dem mythologischen unter. In einrr dieser Episoden,
„Usinar", findet der Verfasser, und nicht mit Unrecht, eine höchst merkwürdige
Anticipation des christlichen Geistes.

Aus dem Ramajan ist das zweite Buch bearbeitet, und dieses schöne
Gedicht, dessen sittliche Erhabenheit wir ebenso bewundern müssen, wie die
lebendige Farbe, schließt sich würdig an die Kuruinge an.

Es bleibt uns noch übrig, unsre Ansicht über die äußern Formen aus¬
zusprechen, die der Bearbeiter angewendet hat. Daß er das Versmaß der
indischen Epen nicht in seiner Reinheit wiederzugeben versucht hat, finden wir
ganz in der Ordnung. Ein Rhythmus hat nur dann einen Sinn, wenn er
mit dem natürlichen Fluß der Sprache in Uebereinstimmung steht; das indische
Versmaß dagegen, welches aus zwei achtsilbigen Halbzeilen besteht, von denen
jedes Mal dje vier ersten Silben gleichgiltig sind, während die vier letzten
Silben in der ersten Halbzeile das Schema ^__^ , in der zweiten das
Schema ^ _ ^ . annehmen, widerspricht allen unsren Begriffen von Rhythmus,
es läßt unser Ohr unberührt und setzt dem natürlichen Fluß unsrer Rede un-
übersteigliche Schranken. Der Verfasser hat zuerst versucht, dieses Versmaß
durch reine Doppeljamben zu ersetzen, so in der Episode des Ramajana; er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/303>, abgerufen am 22.07.2024.