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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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die beiden Herzogthümer werden in dem Zustand beständiger Unzufriedenheit
gehalten, und, was charakteristisch ist, das dänische Volk leidet dabei die meiste
Einbuße, denn es verliert dadurch seine Verfassung; und dieser ganze uner¬
trägliche Zustand der Dinge beruht auf weiter nichts, als auf einem Feder¬
strich. Die Sache steht also so:

Oestreich und Preußen müssen zu der Einsicht gekommen sein, daß eine
vollkommene Einigkeit zwischen ihnen für ihr beiderseitiges Bestehen und für
das Wohl Deutschlands eine unerläßliche Nothwendigkeit ist.

Sollte sich Preußen isoliren, während der allgemeine Weltkrieg entbrennt,
so wird es entweder, wenn man seine Neutralität gelten läßt, seine Stellung
als Großmacht verlieren, oder, wenn es wirklich zu Nußland hält, aller Wahr¬
scheinlichkeit nach zertrümmert werden.

Aber Oestreich hat ein ebenso großes Interesse daran, Preußen für sich
zu gewinnen. Wir wollen von den Chancen des unmittelbaren Erfolgs ganz
absehen und nur eins feststellen. Sollte Preußen in Bund mit Nußland
treten, so nimmt der Krieg einen ganz andern Charakter an. Man wird
Polen insurgirm, und man wird sich wieder der Nheingrenze erinnern. Ob
Oestreich dieser revolutionären Wendung ruhig entgegensehen darf, wird es
selbst am besten wissen. Ferner wird es zu der Einsicht gekommen sein, daß
die Rivalität Preußens dadurch am einfachsten beschwichtigt wird, daß
dieser Staat eine eigne Sphäre seiner Wirksamkeit gewinnt. Preußen wird
allgemein als eine Großmacht angesehen, aber es würde schwer zu entscheiden
sein, wo es irgend in der Lage wäre, diese Function auszuüben. Da es doch
irgendwo seine Stellung geltendmachen will, so sucht es in Deutschland Er¬
weiterungen; wenn ihm aber Oestreich mit seinem ganzen Einfluß in seinem
natürlichen Bestreben zu Hilfe kommt, sich zur Seemacht in der Nordsee und
Ostsee zu erheben, so werden diese beiden Arme Deutschlands das gemeinsame
Vaterland kräftig im Süden und Norden vertheidigen können, ohne sich je in
den Weg zu kommen, vielmehr mit gegenseitiger Förderung ihrer Kräfte; und
es, wird alsdann eine Veränderung in den innern Zuständen Deutschlands
kein so dringendes Bedürfniß sein. Denn die Mittelstaaten können zwar der
Einheit Deutschlands nachtheilig werden, wenn Oestreich und Preußen uneinig
sind, bei dem Einverständnis) derselben dagegen und bei der Beherrschung der
russischen und französischen Grenze, sowie der deutschen Küsten tuend östreichische
und preußische Heere und Flotten wird der Bundestag nichts Anderes sein,
als ein Organ für die wirkliche Macht Deutschlands, und man kann der
weitern Entwicklung ruhig entgegensehen.

Die Westmächte haben gegenwärtig keinen Grund, wie zur Zeit des
Londoner Protokolls, für das russische Interesse zu arbeiten. Sie werden
ferner bei der Einsicht, daß der Krieg, an den sie mit ihrer Ehre gebunden


die beiden Herzogthümer werden in dem Zustand beständiger Unzufriedenheit
gehalten, und, was charakteristisch ist, das dänische Volk leidet dabei die meiste
Einbuße, denn es verliert dadurch seine Verfassung; und dieser ganze uner¬
trägliche Zustand der Dinge beruht auf weiter nichts, als auf einem Feder¬
strich. Die Sache steht also so:

Oestreich und Preußen müssen zu der Einsicht gekommen sein, daß eine
vollkommene Einigkeit zwischen ihnen für ihr beiderseitiges Bestehen und für
das Wohl Deutschlands eine unerläßliche Nothwendigkeit ist.

Sollte sich Preußen isoliren, während der allgemeine Weltkrieg entbrennt,
so wird es entweder, wenn man seine Neutralität gelten läßt, seine Stellung
als Großmacht verlieren, oder, wenn es wirklich zu Nußland hält, aller Wahr¬
scheinlichkeit nach zertrümmert werden.

Aber Oestreich hat ein ebenso großes Interesse daran, Preußen für sich
zu gewinnen. Wir wollen von den Chancen des unmittelbaren Erfolgs ganz
absehen und nur eins feststellen. Sollte Preußen in Bund mit Nußland
treten, so nimmt der Krieg einen ganz andern Charakter an. Man wird
Polen insurgirm, und man wird sich wieder der Nheingrenze erinnern. Ob
Oestreich dieser revolutionären Wendung ruhig entgegensehen darf, wird es
selbst am besten wissen. Ferner wird es zu der Einsicht gekommen sein, daß
die Rivalität Preußens dadurch am einfachsten beschwichtigt wird, daß
dieser Staat eine eigne Sphäre seiner Wirksamkeit gewinnt. Preußen wird
allgemein als eine Großmacht angesehen, aber es würde schwer zu entscheiden
sein, wo es irgend in der Lage wäre, diese Function auszuüben. Da es doch
irgendwo seine Stellung geltendmachen will, so sucht es in Deutschland Er¬
weiterungen; wenn ihm aber Oestreich mit seinem ganzen Einfluß in seinem
natürlichen Bestreben zu Hilfe kommt, sich zur Seemacht in der Nordsee und
Ostsee zu erheben, so werden diese beiden Arme Deutschlands das gemeinsame
Vaterland kräftig im Süden und Norden vertheidigen können, ohne sich je in
den Weg zu kommen, vielmehr mit gegenseitiger Förderung ihrer Kräfte; und
es, wird alsdann eine Veränderung in den innern Zuständen Deutschlands
kein so dringendes Bedürfniß sein. Denn die Mittelstaaten können zwar der
Einheit Deutschlands nachtheilig werden, wenn Oestreich und Preußen uneinig
sind, bei dem Einverständnis) derselben dagegen und bei der Beherrschung der
russischen und französischen Grenze, sowie der deutschen Küsten tuend östreichische
und preußische Heere und Flotten wird der Bundestag nichts Anderes sein,
als ein Organ für die wirkliche Macht Deutschlands, und man kann der
weitern Entwicklung ruhig entgegensehen.

Die Westmächte haben gegenwärtig keinen Grund, wie zur Zeit des
Londoner Protokolls, für das russische Interesse zu arbeiten. Sie werden
ferner bei der Einsicht, daß der Krieg, an den sie mit ihrer Ehre gebunden


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[0295] die beiden Herzogthümer werden in dem Zustand beständiger Unzufriedenheit gehalten, und, was charakteristisch ist, das dänische Volk leidet dabei die meiste Einbuße, denn es verliert dadurch seine Verfassung; und dieser ganze uner¬ trägliche Zustand der Dinge beruht auf weiter nichts, als auf einem Feder¬ strich. Die Sache steht also so: Oestreich und Preußen müssen zu der Einsicht gekommen sein, daß eine vollkommene Einigkeit zwischen ihnen für ihr beiderseitiges Bestehen und für das Wohl Deutschlands eine unerläßliche Nothwendigkeit ist. Sollte sich Preußen isoliren, während der allgemeine Weltkrieg entbrennt, so wird es entweder, wenn man seine Neutralität gelten läßt, seine Stellung als Großmacht verlieren, oder, wenn es wirklich zu Nußland hält, aller Wahr¬ scheinlichkeit nach zertrümmert werden. Aber Oestreich hat ein ebenso großes Interesse daran, Preußen für sich zu gewinnen. Wir wollen von den Chancen des unmittelbaren Erfolgs ganz absehen und nur eins feststellen. Sollte Preußen in Bund mit Nußland treten, so nimmt der Krieg einen ganz andern Charakter an. Man wird Polen insurgirm, und man wird sich wieder der Nheingrenze erinnern. Ob Oestreich dieser revolutionären Wendung ruhig entgegensehen darf, wird es selbst am besten wissen. Ferner wird es zu der Einsicht gekommen sein, daß die Rivalität Preußens dadurch am einfachsten beschwichtigt wird, daß dieser Staat eine eigne Sphäre seiner Wirksamkeit gewinnt. Preußen wird allgemein als eine Großmacht angesehen, aber es würde schwer zu entscheiden sein, wo es irgend in der Lage wäre, diese Function auszuüben. Da es doch irgendwo seine Stellung geltendmachen will, so sucht es in Deutschland Er¬ weiterungen; wenn ihm aber Oestreich mit seinem ganzen Einfluß in seinem natürlichen Bestreben zu Hilfe kommt, sich zur Seemacht in der Nordsee und Ostsee zu erheben, so werden diese beiden Arme Deutschlands das gemeinsame Vaterland kräftig im Süden und Norden vertheidigen können, ohne sich je in den Weg zu kommen, vielmehr mit gegenseitiger Förderung ihrer Kräfte; und es, wird alsdann eine Veränderung in den innern Zuständen Deutschlands kein so dringendes Bedürfniß sein. Denn die Mittelstaaten können zwar der Einheit Deutschlands nachtheilig werden, wenn Oestreich und Preußen uneinig sind, bei dem Einverständnis) derselben dagegen und bei der Beherrschung der russischen und französischen Grenze, sowie der deutschen Küsten tuend östreichische und preußische Heere und Flotten wird der Bundestag nichts Anderes sein, als ein Organ für die wirkliche Macht Deutschlands, und man kann der weitern Entwicklung ruhig entgegensehen. Die Westmächte haben gegenwärtig keinen Grund, wie zur Zeit des Londoner Protokolls, für das russische Interesse zu arbeiten. Sie werden ferner bei der Einsicht, daß der Krieg, an den sie mit ihrer Ehre gebunden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/295>, abgerufen am 24.08.2024.