Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

bisher nur bei Gelegenheit der Dragonaden vorgekommen ist. Freilich wer
wollte einen Stein gegen die östreichischen Staatsmänner aufheben, da in der¬
selben Zeit von Seiten der preußischen Regierung der verfassungsmäßige
Widerstand des kurhessischcn Volks als eine Revolution in Schlafrock und
Pantoffeln bezeichnet wurde.

Allein den größten Fehler hat Oestreich durch Unterzeichnung des Lon¬
doner Protokolls begangen. Zwar hatte es damals alle Ursache, gegen Ru߬
land dankbar zu sein, allein soweit ist die Dankbarkeit doch noch in keinem
Staate gegangen. Oestreich konnte ganz von den Ereignissen des Jahres 18i8
absehen, an denen sich betheiligt zu haben ihm vielleicht eine unbequeme Er¬
innerung war; es konnte ganz einfach, auf die Bundesbeschlüsse des Jahres -I8i>6
zurückkommen. Wie schön wäre alsdann seine Stellung in Deutschland ge¬
wesen, wenn es nach der Beilegung seines Nebenbuhlers die Wahrung der
deutschen Ehre, die diesem zugekommen wäre, selbst in die Hand genommen
und so kräftig durchgeführt hätte, wie es seine eignen Interessen bisher verfochten.
Statt dessen unterzeichnete es einen Vertrag, der keineswegs auf Rechtsgründe,
sondern auf Gründe der sogenannten europäischen Convenienz basirt war und
der die Zukunft Deutschlands aufs verhängnißvollste aufs Spiel stellte. Daß
Preußen seine Rolle bis zum Ende spielte und auch diesem Vertrag nach¬
träglich seine Zustimmung gab, kann Oestreich nicht rechtfertigen.

Dies sind die Punkte, aus welche die letzte preußische Note anspielt.
Oestreich hat mit vollem Recht daraus erwidert, man könne daraus nur sehen,
wie verhängnisvoll eine jede Uneinigkeit zwischen den deutschen Großmächten
sei. Viel wichtiger ist eS ' aber, daß die östreichischen Staatsmänner diese
Einigkeit nicht blos ganz abstract auffassen, daß sie vielmehr auch den Inhalt
in Erwägung ziehen und die Eventualität überlegen, im Verein mit Preußen
auch diese Interessen Deutschlands, für die zu wirken jetzt wieder eine Gelegen¬
heit ist, bei den übrigen europäischen Mächten zu befürworten. In' der Bro¬
schüre, die wir vor vierzehn Tagen besprachen, und die nach glaubwürdigen
Nachrichten, wer auch der Verfasser sein mag, von der östreichischen Negierung
gebilligt wird, ist dies deutlich zwischen den Zeilen zu lesen.

So wäre denn jetzt, für die beiden deutschen Großmächte der glückliche
Fall eingetreten, alles gut zu machen, was früher an Deutschland gesündigt
ist. Das Londoner Protokoll ist noch nicht in Ausführung gekommen; die
Rechte der Dynastie, welche die Gesammtmonarchie erben soll, sind bisher nur
auf das Belieben der Großmächte und auf die sogenannte europäische Con¬
venienz basirt, und es hat sich deutlich herausgestellt, daß diese Convenienz
weiter nichts ist, als das Interesse Rußlands. Durch das Fortbestehen der
dänischen Gesammtmonarchie wird die lEntwicklung Deutschlands, sür welche
einzutreten Oestreich und Preußen gleichmäßig berufen sind, unmöglich gemacht,


bisher nur bei Gelegenheit der Dragonaden vorgekommen ist. Freilich wer
wollte einen Stein gegen die östreichischen Staatsmänner aufheben, da in der¬
selben Zeit von Seiten der preußischen Regierung der verfassungsmäßige
Widerstand des kurhessischcn Volks als eine Revolution in Schlafrock und
Pantoffeln bezeichnet wurde.

Allein den größten Fehler hat Oestreich durch Unterzeichnung des Lon¬
doner Protokolls begangen. Zwar hatte es damals alle Ursache, gegen Ru߬
land dankbar zu sein, allein soweit ist die Dankbarkeit doch noch in keinem
Staate gegangen. Oestreich konnte ganz von den Ereignissen des Jahres 18i8
absehen, an denen sich betheiligt zu haben ihm vielleicht eine unbequeme Er¬
innerung war; es konnte ganz einfach, auf die Bundesbeschlüsse des Jahres -I8i>6
zurückkommen. Wie schön wäre alsdann seine Stellung in Deutschland ge¬
wesen, wenn es nach der Beilegung seines Nebenbuhlers die Wahrung der
deutschen Ehre, die diesem zugekommen wäre, selbst in die Hand genommen
und so kräftig durchgeführt hätte, wie es seine eignen Interessen bisher verfochten.
Statt dessen unterzeichnete es einen Vertrag, der keineswegs auf Rechtsgründe,
sondern auf Gründe der sogenannten europäischen Convenienz basirt war und
der die Zukunft Deutschlands aufs verhängnißvollste aufs Spiel stellte. Daß
Preußen seine Rolle bis zum Ende spielte und auch diesem Vertrag nach¬
träglich seine Zustimmung gab, kann Oestreich nicht rechtfertigen.

Dies sind die Punkte, aus welche die letzte preußische Note anspielt.
Oestreich hat mit vollem Recht daraus erwidert, man könne daraus nur sehen,
wie verhängnisvoll eine jede Uneinigkeit zwischen den deutschen Großmächten
sei. Viel wichtiger ist eS ' aber, daß die östreichischen Staatsmänner diese
Einigkeit nicht blos ganz abstract auffassen, daß sie vielmehr auch den Inhalt
in Erwägung ziehen und die Eventualität überlegen, im Verein mit Preußen
auch diese Interessen Deutschlands, für die zu wirken jetzt wieder eine Gelegen¬
heit ist, bei den übrigen europäischen Mächten zu befürworten. In' der Bro¬
schüre, die wir vor vierzehn Tagen besprachen, und die nach glaubwürdigen
Nachrichten, wer auch der Verfasser sein mag, von der östreichischen Negierung
gebilligt wird, ist dies deutlich zwischen den Zeilen zu lesen.

So wäre denn jetzt, für die beiden deutschen Großmächte der glückliche
Fall eingetreten, alles gut zu machen, was früher an Deutschland gesündigt
ist. Das Londoner Protokoll ist noch nicht in Ausführung gekommen; die
Rechte der Dynastie, welche die Gesammtmonarchie erben soll, sind bisher nur
auf das Belieben der Großmächte und auf die sogenannte europäische Con¬
venienz basirt, und es hat sich deutlich herausgestellt, daß diese Convenienz
weiter nichts ist, als das Interesse Rußlands. Durch das Fortbestehen der
dänischen Gesammtmonarchie wird die lEntwicklung Deutschlands, sür welche
einzutreten Oestreich und Preußen gleichmäßig berufen sind, unmöglich gemacht,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0294" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98608"/>
          <p xml:id="ID_941" prev="#ID_940"> bisher nur bei Gelegenheit der Dragonaden vorgekommen ist. Freilich wer<lb/>
wollte einen Stein gegen die östreichischen Staatsmänner aufheben, da in der¬<lb/>
selben Zeit von Seiten der preußischen Regierung der verfassungsmäßige<lb/>
Widerstand des kurhessischcn Volks als eine Revolution in Schlafrock und<lb/>
Pantoffeln bezeichnet wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_942"> Allein den größten Fehler hat Oestreich durch Unterzeichnung des Lon¬<lb/>
doner Protokolls begangen. Zwar hatte es damals alle Ursache, gegen Ru߬<lb/>
land dankbar zu sein, allein soweit ist die Dankbarkeit doch noch in keinem<lb/>
Staate gegangen. Oestreich konnte ganz von den Ereignissen des Jahres 18i8<lb/>
absehen, an denen sich betheiligt zu haben ihm vielleicht eine unbequeme Er¬<lb/>
innerung war; es konnte ganz einfach, auf die Bundesbeschlüsse des Jahres -I8i&gt;6<lb/>
zurückkommen. Wie schön wäre alsdann seine Stellung in Deutschland ge¬<lb/>
wesen, wenn es nach der Beilegung seines Nebenbuhlers die Wahrung der<lb/>
deutschen Ehre, die diesem zugekommen wäre, selbst in die Hand genommen<lb/>
und so kräftig durchgeführt hätte, wie es seine eignen Interessen bisher verfochten.<lb/>
Statt dessen unterzeichnete es einen Vertrag, der keineswegs auf Rechtsgründe,<lb/>
sondern auf Gründe der sogenannten europäischen Convenienz basirt war und<lb/>
der die Zukunft Deutschlands aufs verhängnißvollste aufs Spiel stellte. Daß<lb/>
Preußen seine Rolle bis zum Ende spielte und auch diesem Vertrag nach¬<lb/>
träglich seine Zustimmung gab, kann Oestreich nicht rechtfertigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_943"> Dies sind die Punkte, aus welche die letzte preußische Note anspielt.<lb/>
Oestreich hat mit vollem Recht daraus erwidert, man könne daraus nur sehen,<lb/>
wie verhängnisvoll eine jede Uneinigkeit zwischen den deutschen Großmächten<lb/>
sei. Viel wichtiger ist eS ' aber, daß die östreichischen Staatsmänner diese<lb/>
Einigkeit nicht blos ganz abstract auffassen, daß sie vielmehr auch den Inhalt<lb/>
in Erwägung ziehen und die Eventualität überlegen, im Verein mit Preußen<lb/>
auch diese Interessen Deutschlands, für die zu wirken jetzt wieder eine Gelegen¬<lb/>
heit ist, bei den übrigen europäischen Mächten zu befürworten. In' der Bro¬<lb/>
schüre, die wir vor vierzehn Tagen besprachen, und die nach glaubwürdigen<lb/>
Nachrichten, wer auch der Verfasser sein mag, von der östreichischen Negierung<lb/>
gebilligt wird, ist dies deutlich zwischen den Zeilen zu lesen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_944" next="#ID_945"> So wäre denn jetzt, für die beiden deutschen Großmächte der glückliche<lb/>
Fall eingetreten, alles gut zu machen, was früher an Deutschland gesündigt<lb/>
ist. Das Londoner Protokoll ist noch nicht in Ausführung gekommen; die<lb/>
Rechte der Dynastie, welche die Gesammtmonarchie erben soll, sind bisher nur<lb/>
auf das Belieben der Großmächte und auf die sogenannte europäische Con¬<lb/>
venienz basirt, und es hat sich deutlich herausgestellt, daß diese Convenienz<lb/>
weiter nichts ist, als das Interesse Rußlands. Durch das Fortbestehen der<lb/>
dänischen Gesammtmonarchie wird die lEntwicklung Deutschlands, sür welche<lb/>
einzutreten Oestreich und Preußen gleichmäßig berufen sind, unmöglich gemacht,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0294] bisher nur bei Gelegenheit der Dragonaden vorgekommen ist. Freilich wer wollte einen Stein gegen die östreichischen Staatsmänner aufheben, da in der¬ selben Zeit von Seiten der preußischen Regierung der verfassungsmäßige Widerstand des kurhessischcn Volks als eine Revolution in Schlafrock und Pantoffeln bezeichnet wurde. Allein den größten Fehler hat Oestreich durch Unterzeichnung des Lon¬ doner Protokolls begangen. Zwar hatte es damals alle Ursache, gegen Ru߬ land dankbar zu sein, allein soweit ist die Dankbarkeit doch noch in keinem Staate gegangen. Oestreich konnte ganz von den Ereignissen des Jahres 18i8 absehen, an denen sich betheiligt zu haben ihm vielleicht eine unbequeme Er¬ innerung war; es konnte ganz einfach, auf die Bundesbeschlüsse des Jahres -I8i>6 zurückkommen. Wie schön wäre alsdann seine Stellung in Deutschland ge¬ wesen, wenn es nach der Beilegung seines Nebenbuhlers die Wahrung der deutschen Ehre, die diesem zugekommen wäre, selbst in die Hand genommen und so kräftig durchgeführt hätte, wie es seine eignen Interessen bisher verfochten. Statt dessen unterzeichnete es einen Vertrag, der keineswegs auf Rechtsgründe, sondern auf Gründe der sogenannten europäischen Convenienz basirt war und der die Zukunft Deutschlands aufs verhängnißvollste aufs Spiel stellte. Daß Preußen seine Rolle bis zum Ende spielte und auch diesem Vertrag nach¬ träglich seine Zustimmung gab, kann Oestreich nicht rechtfertigen. Dies sind die Punkte, aus welche die letzte preußische Note anspielt. Oestreich hat mit vollem Recht daraus erwidert, man könne daraus nur sehen, wie verhängnisvoll eine jede Uneinigkeit zwischen den deutschen Großmächten sei. Viel wichtiger ist eS ' aber, daß die östreichischen Staatsmänner diese Einigkeit nicht blos ganz abstract auffassen, daß sie vielmehr auch den Inhalt in Erwägung ziehen und die Eventualität überlegen, im Verein mit Preußen auch diese Interessen Deutschlands, für die zu wirken jetzt wieder eine Gelegen¬ heit ist, bei den übrigen europäischen Mächten zu befürworten. In' der Bro¬ schüre, die wir vor vierzehn Tagen besprachen, und die nach glaubwürdigen Nachrichten, wer auch der Verfasser sein mag, von der östreichischen Negierung gebilligt wird, ist dies deutlich zwischen den Zeilen zu lesen. So wäre denn jetzt, für die beiden deutschen Großmächte der glückliche Fall eingetreten, alles gut zu machen, was früher an Deutschland gesündigt ist. Das Londoner Protokoll ist noch nicht in Ausführung gekommen; die Rechte der Dynastie, welche die Gesammtmonarchie erben soll, sind bisher nur auf das Belieben der Großmächte und auf die sogenannte europäische Con¬ venienz basirt, und es hat sich deutlich herausgestellt, daß diese Convenienz weiter nichts ist, als das Interesse Rußlands. Durch das Fortbestehen der dänischen Gesammtmonarchie wird die lEntwicklung Deutschlands, sür welche einzutreten Oestreich und Preußen gleichmäßig berufen sind, unmöglich gemacht,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/294
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/294>, abgerufen am 22.07.2024.