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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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neuen Bundesstaate der Union eine machtlosere Stellung, als es in Gesammt-
deutschland gehabt.

Wenn sich daher die parlamentarische Partei an diese Unionsbestrebungen
anschloß, so konnte sie das nur in der Voraussetzung thun, die Hitze des
Streits werde Preußen aus seiner antiparlamentarischen Haltung heraustreiben
und es dazu veranlassen, über den Buchstaben der Verfassung hinauszugehen;
abgesehen davon, daß in der Union doch noch der letzte Rest der Frankfurter
Entwürfe enthalten war. Die Partei mußte sehr bald erkennen, daß sie sich
in diesen Voraussetzungen getäuscht habe, schon im Januar 1830, noch mehr
während deö Erfurter Reichstags. Wenn sie dennoch, an der Union fest¬
hielt, so geschah das nur, wie man auch im Felde bei einer Fahne bleibt trotz
der bestimmten Voraussicht der Niederlage.

Wir wollen die Lage, in welche sich Preußen damals versetzt, nicht
weiter erörtern. Der Tod des Schimmels von Bronzcll ist vielfach genug in
komischen Heldengedichten besungen worden, bis endlich die wissenschaftliche
Kritik zu dem Resultat kam, daß er noch lebe. Statt dessen wollen wir die
Art und Weise ins Auge fassen, wie Oestreich seinen Sieg benutzte.

Gegen die Wiederherstellung des Bundestages wird man nicht viele Ein¬
wendungen machen können; es war im Grunde das einzige, was übrigblieb.
Außerdem war auch die öffentliche Meinung ganz im Unrecht, wenn sie sich
gegen die Existenz des Bundestages auflehnte, da es doch nur aus die Macht¬
befugnisse desselben und die Art und Weise seiner Abstimmung ankam. Allein
in drei Punkten, die Oestreich Preußen aufzwang, hatte es sich schwer an
Deutschland versündigt: in der Bundes erecution gegen die Herzogtümer, in
der Aufhebung^ der kurhessischen Verfassung und in, der Unterzeichnung deö
Londoner Protokolls.

Was das erste betrifft, so findet in formeller Beziehung Oestreichs Ver¬
fahren freilich viele Entschuldigungsgründe. Preußen hatte in dem Friede"
mit Dänemark die Sache der Herzogthümer aufgegeben, und so konnte man
den Zustand in denselben nnr als eine Jnsurrection qualificiren. So schlimm
also auch die Bundeserecution für Deutschlands Ehre war, so konnte man sich
ihr nach diesen Antecedentien auf die Länge nicht entziehen, wenn man
nicht eine ausländische Intervention nach einem, deutschen Bundeslande herbei¬
führen wollte. Allein Oestreich darf dabei nicht vergessen, daß auch der Friedens¬
schluß Preußens mit Dänemark vorzugsweise eine Folge der östreichischen
Haltung war.

Viel schlimmer stand die Sache in Hessen. Um den Minister, welcher im
Interesse Oestreichs in der Unionssache gehandelt hatte, zu schützen, wurde der
Rechtszustand des Landes durch ein Mittel aufgehoben,' das in Deutschland
bisher unbekannt gewesen war, das unsres, Wissens in der Geschichte überhaupt


neuen Bundesstaate der Union eine machtlosere Stellung, als es in Gesammt-
deutschland gehabt.

Wenn sich daher die parlamentarische Partei an diese Unionsbestrebungen
anschloß, so konnte sie das nur in der Voraussetzung thun, die Hitze des
Streits werde Preußen aus seiner antiparlamentarischen Haltung heraustreiben
und es dazu veranlassen, über den Buchstaben der Verfassung hinauszugehen;
abgesehen davon, daß in der Union doch noch der letzte Rest der Frankfurter
Entwürfe enthalten war. Die Partei mußte sehr bald erkennen, daß sie sich
in diesen Voraussetzungen getäuscht habe, schon im Januar 1830, noch mehr
während deö Erfurter Reichstags. Wenn sie dennoch, an der Union fest¬
hielt, so geschah das nur, wie man auch im Felde bei einer Fahne bleibt trotz
der bestimmten Voraussicht der Niederlage.

Wir wollen die Lage, in welche sich Preußen damals versetzt, nicht
weiter erörtern. Der Tod des Schimmels von Bronzcll ist vielfach genug in
komischen Heldengedichten besungen worden, bis endlich die wissenschaftliche
Kritik zu dem Resultat kam, daß er noch lebe. Statt dessen wollen wir die
Art und Weise ins Auge fassen, wie Oestreich seinen Sieg benutzte.

Gegen die Wiederherstellung des Bundestages wird man nicht viele Ein¬
wendungen machen können; es war im Grunde das einzige, was übrigblieb.
Außerdem war auch die öffentliche Meinung ganz im Unrecht, wenn sie sich
gegen die Existenz des Bundestages auflehnte, da es doch nur aus die Macht¬
befugnisse desselben und die Art und Weise seiner Abstimmung ankam. Allein
in drei Punkten, die Oestreich Preußen aufzwang, hatte es sich schwer an
Deutschland versündigt: in der Bundes erecution gegen die Herzogtümer, in
der Aufhebung^ der kurhessischen Verfassung und in, der Unterzeichnung deö
Londoner Protokolls.

Was das erste betrifft, so findet in formeller Beziehung Oestreichs Ver¬
fahren freilich viele Entschuldigungsgründe. Preußen hatte in dem Friede»
mit Dänemark die Sache der Herzogthümer aufgegeben, und so konnte man
den Zustand in denselben nnr als eine Jnsurrection qualificiren. So schlimm
also auch die Bundeserecution für Deutschlands Ehre war, so konnte man sich
ihr nach diesen Antecedentien auf die Länge nicht entziehen, wenn man
nicht eine ausländische Intervention nach einem, deutschen Bundeslande herbei¬
führen wollte. Allein Oestreich darf dabei nicht vergessen, daß auch der Friedens¬
schluß Preußens mit Dänemark vorzugsweise eine Folge der östreichischen
Haltung war.

Viel schlimmer stand die Sache in Hessen. Um den Minister, welcher im
Interesse Oestreichs in der Unionssache gehandelt hatte, zu schützen, wurde der
Rechtszustand des Landes durch ein Mittel aufgehoben,' das in Deutschland
bisher unbekannt gewesen war, das unsres, Wissens in der Geschichte überhaupt


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[0293] neuen Bundesstaate der Union eine machtlosere Stellung, als es in Gesammt- deutschland gehabt. Wenn sich daher die parlamentarische Partei an diese Unionsbestrebungen anschloß, so konnte sie das nur in der Voraussetzung thun, die Hitze des Streits werde Preußen aus seiner antiparlamentarischen Haltung heraustreiben und es dazu veranlassen, über den Buchstaben der Verfassung hinauszugehen; abgesehen davon, daß in der Union doch noch der letzte Rest der Frankfurter Entwürfe enthalten war. Die Partei mußte sehr bald erkennen, daß sie sich in diesen Voraussetzungen getäuscht habe, schon im Januar 1830, noch mehr während deö Erfurter Reichstags. Wenn sie dennoch, an der Union fest¬ hielt, so geschah das nur, wie man auch im Felde bei einer Fahne bleibt trotz der bestimmten Voraussicht der Niederlage. Wir wollen die Lage, in welche sich Preußen damals versetzt, nicht weiter erörtern. Der Tod des Schimmels von Bronzcll ist vielfach genug in komischen Heldengedichten besungen worden, bis endlich die wissenschaftliche Kritik zu dem Resultat kam, daß er noch lebe. Statt dessen wollen wir die Art und Weise ins Auge fassen, wie Oestreich seinen Sieg benutzte. Gegen die Wiederherstellung des Bundestages wird man nicht viele Ein¬ wendungen machen können; es war im Grunde das einzige, was übrigblieb. Außerdem war auch die öffentliche Meinung ganz im Unrecht, wenn sie sich gegen die Existenz des Bundestages auflehnte, da es doch nur aus die Macht¬ befugnisse desselben und die Art und Weise seiner Abstimmung ankam. Allein in drei Punkten, die Oestreich Preußen aufzwang, hatte es sich schwer an Deutschland versündigt: in der Bundes erecution gegen die Herzogtümer, in der Aufhebung^ der kurhessischen Verfassung und in, der Unterzeichnung deö Londoner Protokolls. Was das erste betrifft, so findet in formeller Beziehung Oestreichs Ver¬ fahren freilich viele Entschuldigungsgründe. Preußen hatte in dem Friede» mit Dänemark die Sache der Herzogthümer aufgegeben, und so konnte man den Zustand in denselben nnr als eine Jnsurrection qualificiren. So schlimm also auch die Bundeserecution für Deutschlands Ehre war, so konnte man sich ihr nach diesen Antecedentien auf die Länge nicht entziehen, wenn man nicht eine ausländische Intervention nach einem, deutschen Bundeslande herbei¬ führen wollte. Allein Oestreich darf dabei nicht vergessen, daß auch der Friedens¬ schluß Preußens mit Dänemark vorzugsweise eine Folge der östreichischen Haltung war. Viel schlimmer stand die Sache in Hessen. Um den Minister, welcher im Interesse Oestreichs in der Unionssache gehandelt hatte, zu schützen, wurde der Rechtszustand des Landes durch ein Mittel aufgehoben,' das in Deutschland bisher unbekannt gewesen war, das unsres, Wissens in der Geschichte überhaupt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/293>, abgerufen am 22.07.2024.