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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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andrerseits die Territorialintcgrität Deutschlands zu Grunde; beides wurde ent¬
kräftigt, wenn man einem Fürsten die Krone übertrug, weil er über Bajonette
verfügte, und wenn man Oestreich ausschloß.

Diese nachträgliche Ueberlegung soll keineswegs die Handlungsweise der
würdigen Männer verurtheilen, die von der unerbittlichen Logik der Ereignisse
bestimmt wurden, wenn auch diese Logik zuletzt zu einer dirrationellen Größe
führte' sie soll uns nur jetzt, wo wir Zeit haben, ruhig zu überlegen, vor
ähnlichen, widerspruchsvollen Entwürfen warnen.

Sehen wir nun zu, wie sich diesen Ereignissen gegenüber' die östreichische
und preußische Negierung verhielten.

Zunächst ist festzustellen, daß von einem aufrichtigen Eingehen in die Ideen
der Paulskirche auf beiden Seiten keine Rede war. Von Oestreich verstand
sich das von selbst, da diese Pläne zu seinem Nachtheil gereichten; aber auch
der preußische Hof zeigte schon damals deutlich genug, daß, wenn die Regierung
jene Entwürfe überhaupt in Betracht zog, das nur in dem Sinne geschah, sie
nach eignem Ermessen zu benutzen, aber nicht, sich ihnen zu unterwerfen.

Unter diesen Umständen wäre von beiden Regierungen > unzweifelhaft der
sicherste und geradeste Weg gewesen, sich untereinander zu einigen und das
Werk der Erneuerung Deutschlands in ihre Hand zu nehmen. Daß dies nicht
' geschah, lag daran, daß beide Staaten die Frankfurter Ereignisse für ihr Zwecke
auszubeuten wünschten. Von Preußen liegt das auf der Hand; daß aber
anch Oestreich darauf speculirte, zeigt die erste Note an Preußen. Denn wenn
auch scheinbar die neue Wendung der Dinge für Preußen günstiger war, so
hatte Oestreich doch immer noch das Reichsregiment'in Händen, es konnte auf
den Beistand aller durch Preußen beeinträchtigten Fürsten rechnen, und selbst
für die Benutzung anderweitiger Elemente gab ihm die vorübergehende Ver¬
bindung der östreichischen und demokratischen Partei eine Handhabe.

An Oestreich war es damals, Preußen offen entgegenzukommen. Man
muß aber gestehen, daß die Vorschläge, die es Preußen machte, ganz dazu
geeignet waren, dieses zu einer Verbindung mit der parlamentarischen Partei
zu drängen.

Oestreich ging keineswegs von dem Grundsatz aus, daß in dem Besitzstand
der deutschen Fürstentümer, wie er im Pariser Frieden geordnet war, keine
Veränderung eintreten dürfe; im Gegentheil halte es die Uebel der Kleinstaa¬
terei wohl erkannt und war nicht abgeneigt, denselben durch Aufstellung neuer
Territorialgrenzen abzuhelfen. Allein es stellte die Meinung auf, daß die bei¬
den Großmächte von diesen Veränderungen keinen Vortheil ziehen, daß viel¬
mehr nur die Mittelstaaten dadurch vergrößert werden sollten. In diesen Vor¬
schlägen verkannten die östreichischen Staatsmänner durchaus die eigenthümliche
Lage Preußens. Oestreich war aus dem Pariser Frieden als ein vollkommen


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andrerseits die Territorialintcgrität Deutschlands zu Grunde; beides wurde ent¬
kräftigt, wenn man einem Fürsten die Krone übertrug, weil er über Bajonette
verfügte, und wenn man Oestreich ausschloß.

Diese nachträgliche Ueberlegung soll keineswegs die Handlungsweise der
würdigen Männer verurtheilen, die von der unerbittlichen Logik der Ereignisse
bestimmt wurden, wenn auch diese Logik zuletzt zu einer dirrationellen Größe
führte' sie soll uns nur jetzt, wo wir Zeit haben, ruhig zu überlegen, vor
ähnlichen, widerspruchsvollen Entwürfen warnen.

Sehen wir nun zu, wie sich diesen Ereignissen gegenüber' die östreichische
und preußische Negierung verhielten.

Zunächst ist festzustellen, daß von einem aufrichtigen Eingehen in die Ideen
der Paulskirche auf beiden Seiten keine Rede war. Von Oestreich verstand
sich das von selbst, da diese Pläne zu seinem Nachtheil gereichten; aber auch
der preußische Hof zeigte schon damals deutlich genug, daß, wenn die Regierung
jene Entwürfe überhaupt in Betracht zog, das nur in dem Sinne geschah, sie
nach eignem Ermessen zu benutzen, aber nicht, sich ihnen zu unterwerfen.

Unter diesen Umständen wäre von beiden Regierungen > unzweifelhaft der
sicherste und geradeste Weg gewesen, sich untereinander zu einigen und das
Werk der Erneuerung Deutschlands in ihre Hand zu nehmen. Daß dies nicht
' geschah, lag daran, daß beide Staaten die Frankfurter Ereignisse für ihr Zwecke
auszubeuten wünschten. Von Preußen liegt das auf der Hand; daß aber
anch Oestreich darauf speculirte, zeigt die erste Note an Preußen. Denn wenn
auch scheinbar die neue Wendung der Dinge für Preußen günstiger war, so
hatte Oestreich doch immer noch das Reichsregiment'in Händen, es konnte auf
den Beistand aller durch Preußen beeinträchtigten Fürsten rechnen, und selbst
für die Benutzung anderweitiger Elemente gab ihm die vorübergehende Ver¬
bindung der östreichischen und demokratischen Partei eine Handhabe.

An Oestreich war es damals, Preußen offen entgegenzukommen. Man
muß aber gestehen, daß die Vorschläge, die es Preußen machte, ganz dazu
geeignet waren, dieses zu einer Verbindung mit der parlamentarischen Partei
zu drängen.

Oestreich ging keineswegs von dem Grundsatz aus, daß in dem Besitzstand
der deutschen Fürstentümer, wie er im Pariser Frieden geordnet war, keine
Veränderung eintreten dürfe; im Gegentheil halte es die Uebel der Kleinstaa¬
terei wohl erkannt und war nicht abgeneigt, denselben durch Aufstellung neuer
Territorialgrenzen abzuhelfen. Allein es stellte die Meinung auf, daß die bei¬
den Großmächte von diesen Veränderungen keinen Vortheil ziehen, daß viel¬
mehr nur die Mittelstaaten dadurch vergrößert werden sollten. In diesen Vor¬
schlägen verkannten die östreichischen Staatsmänner durchaus die eigenthümliche
Lage Preußens. Oestreich war aus dem Pariser Frieden als ein vollkommen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/291>, abgerufen am 03.07.2024.