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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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überlassen sind. Wie der Staatsminister die Theaterverwaltung handhabt,
wurde schon mitgetheilt, nun ein anderes Beispiel. . Es besteht bei der Fa¬
cultät der Wissenschaften einen Lehrstuhl für fremde Literaturen, welcher schon seit
mehren Jahren vacant ist. Die Facultät hat beim Unterrichtsminister schon
mehre Male auf Besetzung desselben gedrungen. Herr Fortoul bleibt taub,
weil er weiß, daß der Kandidat für diesen Lehrstuhl Herr Se. Neue Taillan-
dier ist. Herr Fortoul kann es dem jungen Gelehrten nicht verzeihen, daß er
in der Revue des deur mondes einen glücklichen Nebenbuhler gefunden hat.
Er versuchte den Lehrstuhl verschiedenen bekannten Persönlichkeiten anzubieten,
gegen deren Bevorzugung die Facultät nichts einzuwenden hätte. Er wandte
sich an Merimee, und da er bei diesem wie bei anderen mit seinem Antrage
nicht durchdrang, beschloß er den Lehrstuhl unbesetzt zu lassen. Amüsant aber
wird es in Deutschland klingen, daß der französische Unterrichtsminister Herrn
Taillandier den Bvrwurf macht, die deutschen Revolutionäre und die atheisti¬
sche Philosophie <! <"atro Mrw in seinen Artikeln der Revue des deur Mondes
zu beschützen.

George Sands neues Stück hat einen sehr großen Erfolg erhalten. Die
Oompsssnon" alö la tiovllv mögen noch soviel gegen die fehlerhafte Structur
des Gerüstes (der edarpenle) predigen, das Publikum und zwar die Elite des
französischen Publicums hat die Schwache, sich von phantasievollen, poetischen
Gebilden entzücken, sich von ihren feinen Bemerkungen, von ihren überraschenden
Reflexionen elektristren zu lassen. Der Kritiker findet wol vieles gegen un-
motivirte Ausgänge, gegen unvorbereitete, nicht genug nothwendige Wendungen
in der Handlung, gegen zu viel Innerlichkeit der handelnden Leidenschaft aus¬
zustellen; aber mau fühlt sich so erwärmt, so wohlthätig berührt von der noblen
Weise, wie der Dialog behandelt wird, und von der zarten, echt weiblichen
Art, die Charaktere zu zeichnen. Die Handlung bei George Sand ist oft
monoton 'und bewegen sich die geschilderten Leidenschaften auch nicht selten in
demselben Kreise, aber George Sands Figuren bleiben immer lebendig, und
wenn man sie auch nicht grade als gute Bekannte begrüßen kann, ihre Eristenz
im Reiche der Phantasie scheint mir doch ihre Möglichkeit im wirklichen Leben
nicht auszuschließen. Flaminio ist Tcverino, Wer kennt nicht den genialen
Schwarzen, den Komödianten und Jmprovisator, mit einem Worte, den lie¬
benswürdigen Boheme, der zugleich das Herz der Engländerin und die Liebe
der kleinen Vogelbezwingerin zu gewinnen weiß. Die Bekanntschaft geschieht
im Prologe, welcher ganz dem genannten Romane nachgebildet ist, und gewiß
zu den schönsten, geistvollsten Scenen gehört, welche auf der französischen Bühne
dargestellt wurden. Flaminio heirathet endlich die Lady Sarahs der ihre
Schwester als beruhigendes Element zur Seite steht. Die kleine Vogelbe¬
zwingerin des Romans hat sich auch getröstet und findet in einer passenden


überlassen sind. Wie der Staatsminister die Theaterverwaltung handhabt,
wurde schon mitgetheilt, nun ein anderes Beispiel. . Es besteht bei der Fa¬
cultät der Wissenschaften einen Lehrstuhl für fremde Literaturen, welcher schon seit
mehren Jahren vacant ist. Die Facultät hat beim Unterrichtsminister schon
mehre Male auf Besetzung desselben gedrungen. Herr Fortoul bleibt taub,
weil er weiß, daß der Kandidat für diesen Lehrstuhl Herr Se. Neue Taillan-
dier ist. Herr Fortoul kann es dem jungen Gelehrten nicht verzeihen, daß er
in der Revue des deur mondes einen glücklichen Nebenbuhler gefunden hat.
Er versuchte den Lehrstuhl verschiedenen bekannten Persönlichkeiten anzubieten,
gegen deren Bevorzugung die Facultät nichts einzuwenden hätte. Er wandte
sich an Merimee, und da er bei diesem wie bei anderen mit seinem Antrage
nicht durchdrang, beschloß er den Lehrstuhl unbesetzt zu lassen. Amüsant aber
wird es in Deutschland klingen, daß der französische Unterrichtsminister Herrn
Taillandier den Bvrwurf macht, die deutschen Revolutionäre und die atheisti¬
sche Philosophie <! <»atro Mrw in seinen Artikeln der Revue des deur Mondes
zu beschützen.

George Sands neues Stück hat einen sehr großen Erfolg erhalten. Die
Oompsssnon» alö la tiovllv mögen noch soviel gegen die fehlerhafte Structur
des Gerüstes (der edarpenle) predigen, das Publikum und zwar die Elite des
französischen Publicums hat die Schwache, sich von phantasievollen, poetischen
Gebilden entzücken, sich von ihren feinen Bemerkungen, von ihren überraschenden
Reflexionen elektristren zu lassen. Der Kritiker findet wol vieles gegen un-
motivirte Ausgänge, gegen unvorbereitete, nicht genug nothwendige Wendungen
in der Handlung, gegen zu viel Innerlichkeit der handelnden Leidenschaft aus¬
zustellen; aber mau fühlt sich so erwärmt, so wohlthätig berührt von der noblen
Weise, wie der Dialog behandelt wird, und von der zarten, echt weiblichen
Art, die Charaktere zu zeichnen. Die Handlung bei George Sand ist oft
monoton 'und bewegen sich die geschilderten Leidenschaften auch nicht selten in
demselben Kreise, aber George Sands Figuren bleiben immer lebendig, und
wenn man sie auch nicht grade als gute Bekannte begrüßen kann, ihre Eristenz
im Reiche der Phantasie scheint mir doch ihre Möglichkeit im wirklichen Leben
nicht auszuschließen. Flaminio ist Tcverino, Wer kennt nicht den genialen
Schwarzen, den Komödianten und Jmprovisator, mit einem Worte, den lie¬
benswürdigen Boheme, der zugleich das Herz der Engländerin und die Liebe
der kleinen Vogelbezwingerin zu gewinnen weiß. Die Bekanntschaft geschieht
im Prologe, welcher ganz dem genannten Romane nachgebildet ist, und gewiß
zu den schönsten, geistvollsten Scenen gehört, welche auf der französischen Bühne
dargestellt wurden. Flaminio heirathet endlich die Lady Sarahs der ihre
Schwester als beruhigendes Element zur Seite steht. Die kleine Vogelbe¬
zwingerin des Romans hat sich auch getröstet und findet in einer passenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/282>, abgerufen am 23.07.2024.