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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Christen innerhalb der neugestalteten Zustände völlige Gewähr finden, sind jetzt
alle Bemühungen hingewendet. Es ist dabei bemerkenswert!), daß Frankreich
seinerseits darauf verzichtet, seine Stimme durch einen Rangdiplomaten erster
Classe abgeben zu lassen, und sich statt dessen, nunmehr seit länger als einem
halben Jahre schon, des Herrn Benedetti bedient, eines Mannes, der äußerst
geschickt "und auf diesem Terrain vollkommen orientirt, der aber dennoch aus
naheliegenden Gründen nicht das ist und auch füglich nicht sein kann, was
Lord Nedcliffe und Baron Brück hier bedeuten. Mir scheint, daß diese Rück¬
Haltung der Napoleonischen Politik, welche sich in der Wahl der Person aus¬
spricht, die sie zu ihrem localen Organ macht, auf einer zwischen Paris und
London getroffenen Verabredung beruht; Frankreich nahm den Oberbefehl zu
Land und Meer und damit die Dirigirung der Operationen in seine Hand,
und überließ dafür England den Vortritt bei den Berathungen.

Wer dabei im Ganzen und Großen den meisten Gewinn ziehen wird, kann
nicht zweifelhaft sein. Der Unistand, daß die nächsten Verbindungslinien
zwischen den britischen Inseln und dem englisch-indischen Reiche ihren Weg
durch osmanische Länder nehmen, muß es für England zur Aufgabe machen,
seinen Einfluß in der Türkei bei der neuen Ordnung, welche hier eingeführt
werden soll, als Hauptpunkt zu berücksichtigen, und ihn für lange Zeiten fest¬
zustellen. Das britische Gouvernement agirt somit hier für rein diplomatische
Interessen, und der heutige Kampf gegen Rußland ist sozusagen nur eine
kräftige Orchesterbegleitung des lange zuvor begonnenen Spieles. Für Na¬
poleon U1. dagegen ist dieser Krieg die Hauptsache. Nicht aus Gründen,-welche
mit dem europäischen Gleichgewicht, in Berührung stehen, sondern weil er ihn
der Gefahr einer etwaigen Jsolirung seiner Politik entreißt und ihm über
manche Schwierigkeiten im Innern hinweghilft. Materielle Interessen für
Frankreich verfolgt er dabei nicht; aber er jagt nach Gloirc, und was könnte
ihm für diesen Zweck dienlicher sein, als daß britischerscits der französischen
Regierung gemachte Zugeständnis?: den Befehlshaber zu Land und zur See
ernennen zu dürfen. England kann das damit gebrachte Opfer verschmerzen, denn
auch bei anderer Bewandtniß der Dinge hätte es schwerlich zu Lande nach der
Führerschaft streben können, und wenn es auch zur See auf dieselbe verzichtete,
so ist dies nur nominell zu nehmen. Der eigentliche Leiter der Flottenoperationcn
ist nämlich Sir Edmund- Lyons. Dieser energische Geist unterzog oft seinem
Willen Hamelin und Dundas, und macht sie zu gefügigen Erecutoren seiner
Entwürfe. In dieser letztern Beziehung ist es von Bedeutung, daß der Contre-
admiral Barbier von der französischen Escadre des Eurin-detaschirt, und mit
einem gesonderten Commando in den griechischen Gewässern betraut wurde.
(Geschah im Frühjahr). Dieser Mann von anerkannter Tüchtigkeit, aber von
herrschsüchtigen Begierde", würde andernfalls als Rivale gegen Sir Edmund


Christen innerhalb der neugestalteten Zustände völlige Gewähr finden, sind jetzt
alle Bemühungen hingewendet. Es ist dabei bemerkenswert!), daß Frankreich
seinerseits darauf verzichtet, seine Stimme durch einen Rangdiplomaten erster
Classe abgeben zu lassen, und sich statt dessen, nunmehr seit länger als einem
halben Jahre schon, des Herrn Benedetti bedient, eines Mannes, der äußerst
geschickt "und auf diesem Terrain vollkommen orientirt, der aber dennoch aus
naheliegenden Gründen nicht das ist und auch füglich nicht sein kann, was
Lord Nedcliffe und Baron Brück hier bedeuten. Mir scheint, daß diese Rück¬
Haltung der Napoleonischen Politik, welche sich in der Wahl der Person aus¬
spricht, die sie zu ihrem localen Organ macht, auf einer zwischen Paris und
London getroffenen Verabredung beruht; Frankreich nahm den Oberbefehl zu
Land und Meer und damit die Dirigirung der Operationen in seine Hand,
und überließ dafür England den Vortritt bei den Berathungen.

Wer dabei im Ganzen und Großen den meisten Gewinn ziehen wird, kann
nicht zweifelhaft sein. Der Unistand, daß die nächsten Verbindungslinien
zwischen den britischen Inseln und dem englisch-indischen Reiche ihren Weg
durch osmanische Länder nehmen, muß es für England zur Aufgabe machen,
seinen Einfluß in der Türkei bei der neuen Ordnung, welche hier eingeführt
werden soll, als Hauptpunkt zu berücksichtigen, und ihn für lange Zeiten fest¬
zustellen. Das britische Gouvernement agirt somit hier für rein diplomatische
Interessen, und der heutige Kampf gegen Rußland ist sozusagen nur eine
kräftige Orchesterbegleitung des lange zuvor begonnenen Spieles. Für Na¬
poleon U1. dagegen ist dieser Krieg die Hauptsache. Nicht aus Gründen,-welche
mit dem europäischen Gleichgewicht, in Berührung stehen, sondern weil er ihn
der Gefahr einer etwaigen Jsolirung seiner Politik entreißt und ihm über
manche Schwierigkeiten im Innern hinweghilft. Materielle Interessen für
Frankreich verfolgt er dabei nicht; aber er jagt nach Gloirc, und was könnte
ihm für diesen Zweck dienlicher sein, als daß britischerscits der französischen
Regierung gemachte Zugeständnis?: den Befehlshaber zu Land und zur See
ernennen zu dürfen. England kann das damit gebrachte Opfer verschmerzen, denn
auch bei anderer Bewandtniß der Dinge hätte es schwerlich zu Lande nach der
Führerschaft streben können, und wenn es auch zur See auf dieselbe verzichtete,
so ist dies nur nominell zu nehmen. Der eigentliche Leiter der Flottenoperationcn
ist nämlich Sir Edmund- Lyons. Dieser energische Geist unterzog oft seinem
Willen Hamelin und Dundas, und macht sie zu gefügigen Erecutoren seiner
Entwürfe. In dieser letztern Beziehung ist es von Bedeutung, daß der Contre-
admiral Barbier von der französischen Escadre des Eurin-detaschirt, und mit
einem gesonderten Commando in den griechischen Gewässern betraut wurde.
(Geschah im Frühjahr). Dieser Mann von anerkannter Tüchtigkeit, aber von
herrschsüchtigen Begierde», würde andernfalls als Rivale gegen Sir Edmund


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/271>, abgerufen am 25.08.2024.