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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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sen Leidenschaftlichkeit die entgegengesetzte Seite zu ergreifen und indem er zu¬
nächst nur eine Widerlegung der Thatsachen bezweckt, im Eifer des Kampfs
die entgegengesetzten Principien zu vertreten. So ist es Herrn Gfrörer ge¬
gangen, so dem Versasser der vorliegenden Schriften, der beiläufig in der Vor¬
rede versichert, beim Abfassen seiner Schrift von der Arbeit seines Vorgängers
keine Kenntniß gehabt zu haben. Wir wollen dieser Versicherung gern Glauben
schenken, denn eine unabhängige Uebereinstimmung ist wol denkbar, da gleiche
Ursachen gleiche Wirkungen erzeugen; und außerdem sind Gfrörers Ansichten
schon soweit in das Publicum eingedrungen, daß sie wol auch da eine Wirkung
ausüben können, wo man nicht grade auf die Schriften selbst zurückgeht.

In der ersten Abhandlung sucht Herr Heising nachzuweisen, daß man dem
baierschen Feldherrn bei der Zerstörung von Magdeburg Unrecht gethan, daß
er sich gegen die Stadt ziemlich rücksichtsvoll betragen habe und daß die wirk¬
lich erfolgte Zerstörung nicht ihm zuzuschreiben sei, sondern andern Umständen,
die gleichfalls erörtert worden, ohne doch über die Sicherheit einer Conjectur
hinaus festgestellt zu werden. Soweit ist die Arbeit ganz dankenswert!), denn
die Geschichte hat die Verpflichtung, jedes Unrecht, das man einem Helden gethan,
-gleichviel wie man seinen Charakter im allgemeinen auffassen möge, durch Kritik
wieder gut zu machen. Wenn aber Herr Heising den Magdeburgern empfiehlt,
Tilly eine Ehrensäule zu errichten, weil er gegen ihre Stadt so nachsichtsvoll
gewesen, so werden die Magdeburger diesen Rath geiviß verlachen, und bei
näherer Ueberlegung wird Herr Heising wol selbst einsehen, daß man einem
Feinde, dessen Sieg zur Zerstörung der Stadt geführt, keine Ehrensäulen errichtet,
auch wenn er persönlich an dieser Zerstörung unschuldig war. Wenigstens
konnten wir mit demselben Recht den Einwohnern Moskaus vorschlagen, Napo¬
leon ein Denkmal zu setzen, weil er ihre Stadt nicht verbrannt. Wir glauben, daß
die Russen diesem Rathe keine Folge leisten würden. Sie werden im Gegen¬
theil, wenn es ihnen darauf ankommt, überhaupt ein Denkmal zu setzen, diese
Ehre Rostopschin zu Theil werden lassen, der die Stadt verbrannt, um den Feind'
zu vernichten.

Die zweite Abhandlung sucht nachzuweisen, daß man mit Unrecht in Gustav
Adolph einen Glaubenshelden verehrt, daß der religiöse Grund seines Unter¬
nehmens ein secundärer war und daß er vorzugsweise von politischen Motiven
und von persönlichem Ehrgeiz bestimmt wurde. Diese Auffassung ist nicht so
ganz neu als die vorige. Daß Gustav Adolph ganz in seinen religiösen En¬
thusiasmus aufging, hat noch kein Geschichtschreiber behauptet und eben jenes
populäre rhetorische Werk, durch welches die öffentliche Meinung in Deutsch¬
land bestimmt worden ist, die Geschichte des dreißigjährigen Kriegs von
Schiller, hat die weltlichen Absichten des großen Königs sehr scharf hervor¬
gehoben. Ja Schiller ist sogar soweit gegangen, in dem frühen Tode des


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sen Leidenschaftlichkeit die entgegengesetzte Seite zu ergreifen und indem er zu¬
nächst nur eine Widerlegung der Thatsachen bezweckt, im Eifer des Kampfs
die entgegengesetzten Principien zu vertreten. So ist es Herrn Gfrörer ge¬
gangen, so dem Versasser der vorliegenden Schriften, der beiläufig in der Vor¬
rede versichert, beim Abfassen seiner Schrift von der Arbeit seines Vorgängers
keine Kenntniß gehabt zu haben. Wir wollen dieser Versicherung gern Glauben
schenken, denn eine unabhängige Uebereinstimmung ist wol denkbar, da gleiche
Ursachen gleiche Wirkungen erzeugen; und außerdem sind Gfrörers Ansichten
schon soweit in das Publicum eingedrungen, daß sie wol auch da eine Wirkung
ausüben können, wo man nicht grade auf die Schriften selbst zurückgeht.

In der ersten Abhandlung sucht Herr Heising nachzuweisen, daß man dem
baierschen Feldherrn bei der Zerstörung von Magdeburg Unrecht gethan, daß
er sich gegen die Stadt ziemlich rücksichtsvoll betragen habe und daß die wirk¬
lich erfolgte Zerstörung nicht ihm zuzuschreiben sei, sondern andern Umständen,
die gleichfalls erörtert worden, ohne doch über die Sicherheit einer Conjectur
hinaus festgestellt zu werden. Soweit ist die Arbeit ganz dankenswert!), denn
die Geschichte hat die Verpflichtung, jedes Unrecht, das man einem Helden gethan,
-gleichviel wie man seinen Charakter im allgemeinen auffassen möge, durch Kritik
wieder gut zu machen. Wenn aber Herr Heising den Magdeburgern empfiehlt,
Tilly eine Ehrensäule zu errichten, weil er gegen ihre Stadt so nachsichtsvoll
gewesen, so werden die Magdeburger diesen Rath geiviß verlachen, und bei
näherer Ueberlegung wird Herr Heising wol selbst einsehen, daß man einem
Feinde, dessen Sieg zur Zerstörung der Stadt geführt, keine Ehrensäulen errichtet,
auch wenn er persönlich an dieser Zerstörung unschuldig war. Wenigstens
konnten wir mit demselben Recht den Einwohnern Moskaus vorschlagen, Napo¬
leon ein Denkmal zu setzen, weil er ihre Stadt nicht verbrannt. Wir glauben, daß
die Russen diesem Rathe keine Folge leisten würden. Sie werden im Gegen¬
theil, wenn es ihnen darauf ankommt, überhaupt ein Denkmal zu setzen, diese
Ehre Rostopschin zu Theil werden lassen, der die Stadt verbrannt, um den Feind'
zu vernichten.

Die zweite Abhandlung sucht nachzuweisen, daß man mit Unrecht in Gustav
Adolph einen Glaubenshelden verehrt, daß der religiöse Grund seines Unter¬
nehmens ein secundärer war und daß er vorzugsweise von politischen Motiven
und von persönlichem Ehrgeiz bestimmt wurde. Diese Auffassung ist nicht so
ganz neu als die vorige. Daß Gustav Adolph ganz in seinen religiösen En¬
thusiasmus aufging, hat noch kein Geschichtschreiber behauptet und eben jenes
populäre rhetorische Werk, durch welches die öffentliche Meinung in Deutsch¬
land bestimmt worden ist, die Geschichte des dreißigjährigen Kriegs von
Schiller, hat die weltlichen Absichten des großen Königs sehr scharf hervor¬
gehoben. Ja Schiller ist sogar soweit gegangen, in dem frühen Tode des


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[0027] sen Leidenschaftlichkeit die entgegengesetzte Seite zu ergreifen und indem er zu¬ nächst nur eine Widerlegung der Thatsachen bezweckt, im Eifer des Kampfs die entgegengesetzten Principien zu vertreten. So ist es Herrn Gfrörer ge¬ gangen, so dem Versasser der vorliegenden Schriften, der beiläufig in der Vor¬ rede versichert, beim Abfassen seiner Schrift von der Arbeit seines Vorgängers keine Kenntniß gehabt zu haben. Wir wollen dieser Versicherung gern Glauben schenken, denn eine unabhängige Uebereinstimmung ist wol denkbar, da gleiche Ursachen gleiche Wirkungen erzeugen; und außerdem sind Gfrörers Ansichten schon soweit in das Publicum eingedrungen, daß sie wol auch da eine Wirkung ausüben können, wo man nicht grade auf die Schriften selbst zurückgeht. In der ersten Abhandlung sucht Herr Heising nachzuweisen, daß man dem baierschen Feldherrn bei der Zerstörung von Magdeburg Unrecht gethan, daß er sich gegen die Stadt ziemlich rücksichtsvoll betragen habe und daß die wirk¬ lich erfolgte Zerstörung nicht ihm zuzuschreiben sei, sondern andern Umständen, die gleichfalls erörtert worden, ohne doch über die Sicherheit einer Conjectur hinaus festgestellt zu werden. Soweit ist die Arbeit ganz dankenswert!), denn die Geschichte hat die Verpflichtung, jedes Unrecht, das man einem Helden gethan, -gleichviel wie man seinen Charakter im allgemeinen auffassen möge, durch Kritik wieder gut zu machen. Wenn aber Herr Heising den Magdeburgern empfiehlt, Tilly eine Ehrensäule zu errichten, weil er gegen ihre Stadt so nachsichtsvoll gewesen, so werden die Magdeburger diesen Rath geiviß verlachen, und bei näherer Ueberlegung wird Herr Heising wol selbst einsehen, daß man einem Feinde, dessen Sieg zur Zerstörung der Stadt geführt, keine Ehrensäulen errichtet, auch wenn er persönlich an dieser Zerstörung unschuldig war. Wenigstens konnten wir mit demselben Recht den Einwohnern Moskaus vorschlagen, Napo¬ leon ein Denkmal zu setzen, weil er ihre Stadt nicht verbrannt. Wir glauben, daß die Russen diesem Rathe keine Folge leisten würden. Sie werden im Gegen¬ theil, wenn es ihnen darauf ankommt, überhaupt ein Denkmal zu setzen, diese Ehre Rostopschin zu Theil werden lassen, der die Stadt verbrannt, um den Feind' zu vernichten. Die zweite Abhandlung sucht nachzuweisen, daß man mit Unrecht in Gustav Adolph einen Glaubenshelden verehrt, daß der religiöse Grund seines Unter¬ nehmens ein secundärer war und daß er vorzugsweise von politischen Motiven und von persönlichem Ehrgeiz bestimmt wurde. Diese Auffassung ist nicht so ganz neu als die vorige. Daß Gustav Adolph ganz in seinen religiösen En¬ thusiasmus aufging, hat noch kein Geschichtschreiber behauptet und eben jenes populäre rhetorische Werk, durch welches die öffentliche Meinung in Deutsch¬ land bestimmt worden ist, die Geschichte des dreißigjährigen Kriegs von Schiller, hat die weltlichen Absichten des großen Königs sehr scharf hervor¬ gehoben. Ja Schiller ist sogar soweit gegangen, in dem frühen Tode des 3*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/27>, abgerufen am 22.07.2024.