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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Kampf herbeigeführt habe, die constitutionelle oder die jacobinische, verleiten,
aus vereinzelte Zeugenaussagen ein Urtheil zu begründen, welches den allgemein
bekannten Thatsachen widerspricht. Er übersteht dabei, daß eine Partei, wenn
sie auch dieselben Symbole beibehält und im wesentlichen aus denselben Ele¬
menten zusammengesetzt ist, doch im Drang der Ereignisse zu einer Politik be¬
stimmt werden kann, die ihrer früheren durchaus widerspricht. --

Die "Geschichte der belgischen Revolution" von Driesen hat den Zweck,
in einem gedrängten Umriß die Hauptsachen jener Trennung, die aus sehr
verschiedenen Motiven erfolgte, zusammenzustellen. Es ist ihm gelungen, ein
anschauliches Bild zusammenzustellen, wobei man freilich nicht übersehen darf,
daß frühere Schriften, namentlich die Geschichte der belgischen Monarchie von
Juste, ihm darin bereits kräftig in die Hände gearbeitet haben. --

Ueber die "Deutsche Geschichtsbibliothek" haben wir uns bereits früher
ausgesprochen. -- Was die "Geschichte der Türkei" von Lamartine betrifft,
so will die Verlagshandlung mit dem gegenwärtigen Heft den Versuch machen,
ob es überhaupt zweckmäßig ist, das gleichzeitig erscheinende französische Werk
ins Deutsche zu übersetzen. Wir können zu diesem Versuch nicht anrathen.
Zwar zweifeln wir nicht im geringsten daran, baß es Herr v. Lamartine auch
in diesem Felde verstehen wird, manches Geistreiche und Liebenswürdige zu
sagen, umsomehr, da er bei seinen Beziehungen zum Sultan ein unmittelbares
Interesse an dem Gegenstände hat; aber wir setzen voraus, daß er ebenso
leichtsinnig arbeiten wird, wie in seinen frühern historischen Werken, und dies
Mal gibt sich der Stoff nicht so unbefangen den Einfällen eines geistreichen
Dilettanten hin; er verlangt einen wirklichen Historiker. Was an Lamartines
historischen Werken das Vorzüglichste ist, die Feinheit des Ausdrucks, die Zier¬
lichkeit der Wendungen, der Tonfall u. f. w., geht in der Uebersetzung doch
verloren. Wer also ein subjectives Interesse an dem Verfasser nimmt, wird
sich doch an das Original halten müssen, und an eine objective Erweite¬
rung und Bekräftigung unsrer thatsächlichen Kenntnisse ist nicht zu denken.
Interessant ist in der Einleitung die Notiz, , die Lamartine aus seiner eignen
Geschäftsführung gibt. Als er Minister der auswärtigen Angelegenheiten war,
gab er dem französischen Botschafter in Konstantinopel folgende Verhaltungs¬
maßregel: "Provociren Sie nicht den Krieg zwischen der Türkei und Rußland;
halten Sie die ottomanische Regierung von jedem Angriffe gegen die Russen
ab; aber wenn Nußland wagt, von der allgemeinen Bewegung Europas zu
pvositiren, um das ottomanische Reich anzugreifen oder zu bedrohen, so sagen
Sie dem Sultan, daß Frankreich der treue Bundesgenosse der Türkei ist, und
daß der Sultan zu seiner Vertheidigung nicht allein über dessen Flotte, sondern
auch über die Heere Frankreichs wie über seine eignen verfügen, könne. Im
Falle eines von Rußland gegen die Türkei begonnenen Krieges ist das sicherste,


Kampf herbeigeführt habe, die constitutionelle oder die jacobinische, verleiten,
aus vereinzelte Zeugenaussagen ein Urtheil zu begründen, welches den allgemein
bekannten Thatsachen widerspricht. Er übersteht dabei, daß eine Partei, wenn
sie auch dieselben Symbole beibehält und im wesentlichen aus denselben Ele¬
menten zusammengesetzt ist, doch im Drang der Ereignisse zu einer Politik be¬
stimmt werden kann, die ihrer früheren durchaus widerspricht. —

Die „Geschichte der belgischen Revolution" von Driesen hat den Zweck,
in einem gedrängten Umriß die Hauptsachen jener Trennung, die aus sehr
verschiedenen Motiven erfolgte, zusammenzustellen. Es ist ihm gelungen, ein
anschauliches Bild zusammenzustellen, wobei man freilich nicht übersehen darf,
daß frühere Schriften, namentlich die Geschichte der belgischen Monarchie von
Juste, ihm darin bereits kräftig in die Hände gearbeitet haben. —

Ueber die „Deutsche Geschichtsbibliothek" haben wir uns bereits früher
ausgesprochen. — Was die „Geschichte der Türkei" von Lamartine betrifft,
so will die Verlagshandlung mit dem gegenwärtigen Heft den Versuch machen,
ob es überhaupt zweckmäßig ist, das gleichzeitig erscheinende französische Werk
ins Deutsche zu übersetzen. Wir können zu diesem Versuch nicht anrathen.
Zwar zweifeln wir nicht im geringsten daran, baß es Herr v. Lamartine auch
in diesem Felde verstehen wird, manches Geistreiche und Liebenswürdige zu
sagen, umsomehr, da er bei seinen Beziehungen zum Sultan ein unmittelbares
Interesse an dem Gegenstände hat; aber wir setzen voraus, daß er ebenso
leichtsinnig arbeiten wird, wie in seinen frühern historischen Werken, und dies
Mal gibt sich der Stoff nicht so unbefangen den Einfällen eines geistreichen
Dilettanten hin; er verlangt einen wirklichen Historiker. Was an Lamartines
historischen Werken das Vorzüglichste ist, die Feinheit des Ausdrucks, die Zier¬
lichkeit der Wendungen, der Tonfall u. f. w., geht in der Uebersetzung doch
verloren. Wer also ein subjectives Interesse an dem Verfasser nimmt, wird
sich doch an das Original halten müssen, und an eine objective Erweite¬
rung und Bekräftigung unsrer thatsächlichen Kenntnisse ist nicht zu denken.
Interessant ist in der Einleitung die Notiz, , die Lamartine aus seiner eignen
Geschäftsführung gibt. Als er Minister der auswärtigen Angelegenheiten war,
gab er dem französischen Botschafter in Konstantinopel folgende Verhaltungs¬
maßregel: „Provociren Sie nicht den Krieg zwischen der Türkei und Rußland;
halten Sie die ottomanische Regierung von jedem Angriffe gegen die Russen
ab; aber wenn Nußland wagt, von der allgemeinen Bewegung Europas zu
pvositiren, um das ottomanische Reich anzugreifen oder zu bedrohen, so sagen
Sie dem Sultan, daß Frankreich der treue Bundesgenosse der Türkei ist, und
daß der Sultan zu seiner Vertheidigung nicht allein über dessen Flotte, sondern
auch über die Heere Frankreichs wie über seine eignen verfügen, könne. Im
Falle eines von Rußland gegen die Türkei begonnenen Krieges ist das sicherste,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/266>, abgerufen am 22.07.2024.