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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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uns im ganzen leicht und ununterbrochen geschehen zu sein; und obgleich Abfall
häufig vorkam, so hat die Geschichte doch entweder von keinem ernsten Kampfe
zu berichten oder hat klüglich davon geschwiegen." --

Nachdem im ersten Band die Grundlage der bürgerlichen Einrichtungen
Englands auseinandergesetzt ist, stellt uns der zweite den Fortschritt der Staats¬
entwicklung dar. Die beiden Punkte, aus denen dieser Theil vorwiegend
beruht, sind die Einführung des Christenthums und die fortschreitende Befestigung
und Ausdehnung der königlichen Gewalt. Für diese Periode macht es die
große Menge historischen Materials möglich, die verschiedenen gesellschaftlichen
Veränderungen sehr in das einzelne zu verfolgen.

Im Verlauf der Jahre hatten beständige Kriege eine Menge kleiner Könige
oder Häuptlinge vernichtet; eine festere Abgrenzung von Ländern hatte statt¬
gefunden; wirkliche Oberherrschaft, gegründet auf das Recht der Gewalt, auf
Besitz und Bundesverträge, hatte eine geringe Zahl der alten Districtsherrn
über den Nang ihrer bisherigen Genossen emporgehoben; die übrigen Adligen
und die Familien von königlicher Herkunft hatten sich grösztentheils dem Ge-
solgschaftsrechte untergeordnet, und hatten dadurch die Truppenmacht, den Glanz
des Hofes und die Herrschergewalt von Fürsten vermehrt, welche, indem sie
die übrigen herabdrückten, emporgekommen waren; und im Anfange des sie¬
benten Jahrhunderts bot England das außerordentliche Schauspiel von min¬
destens acht unabhängig nebeneinander bestehenden Königreichen dar, von
größererer oder geringerer Macht und Bedeutung und, wie wir vernünftiger¬
weise glauben müssen, von sehr verschiedenen Bildungsgraden in staatlicher und
geistiger Beziehung.

Die Annahme, die von den meisten Historikern gemacht wird, daß die ver¬
schiedenen Königreiche einen Bund bildeten, an dessen Spitze durch Wahl- oder
sonstwie einer der Fürsten mit oberherrlicher Gewalt stand, und daß diese Ein¬
richtung in unmittelbarer Nachahmung dem Gebrauch im römischen Reich ent¬
lehnt worden sei, widerlegt der Verfasser. Ebenso tritt er der Vorstellung entge¬
gen, daß die Einführung des Christenthums mit einer mächtigen Priesterschaft zu
kämpfen hatte. "Kaum hatte der neue Glaube unter den Angelsachsen Aufnahme
gefunden, so erfolgte die Errichtung von Bisthümern in allen einzelnen König¬
reichen .......Wäre England einer Centralgewalt unterworfen gewesen, oder
wäre das Aufgeben des Heidenthums gleichzeitig in mehren Districten erfolgt,
so wäre vielleicht allgemein ein System eingeführt worden, dessen leitende
Grundzüge mit den Ideen des Papstes in Uebereinstimmung gewesen wären; aber
dies war nicht der Fall. Das Bekehrungswerk unterlag manchen Schwierig¬
keiten .....Die ersten Bischöfe waren Missionare, Häupter verschiedener Kör¬
perschaften von kühnen Freiwilligen, die mit eigner Lebensgefahr den heidnischen
Bewohnern ferner und entlegener Landstriche die Botschaft der Erlösung brach-


uns im ganzen leicht und ununterbrochen geschehen zu sein; und obgleich Abfall
häufig vorkam, so hat die Geschichte doch entweder von keinem ernsten Kampfe
zu berichten oder hat klüglich davon geschwiegen." —

Nachdem im ersten Band die Grundlage der bürgerlichen Einrichtungen
Englands auseinandergesetzt ist, stellt uns der zweite den Fortschritt der Staats¬
entwicklung dar. Die beiden Punkte, aus denen dieser Theil vorwiegend
beruht, sind die Einführung des Christenthums und die fortschreitende Befestigung
und Ausdehnung der königlichen Gewalt. Für diese Periode macht es die
große Menge historischen Materials möglich, die verschiedenen gesellschaftlichen
Veränderungen sehr in das einzelne zu verfolgen.

Im Verlauf der Jahre hatten beständige Kriege eine Menge kleiner Könige
oder Häuptlinge vernichtet; eine festere Abgrenzung von Ländern hatte statt¬
gefunden; wirkliche Oberherrschaft, gegründet auf das Recht der Gewalt, auf
Besitz und Bundesverträge, hatte eine geringe Zahl der alten Districtsherrn
über den Nang ihrer bisherigen Genossen emporgehoben; die übrigen Adligen
und die Familien von königlicher Herkunft hatten sich grösztentheils dem Ge-
solgschaftsrechte untergeordnet, und hatten dadurch die Truppenmacht, den Glanz
des Hofes und die Herrschergewalt von Fürsten vermehrt, welche, indem sie
die übrigen herabdrückten, emporgekommen waren; und im Anfange des sie¬
benten Jahrhunderts bot England das außerordentliche Schauspiel von min¬
destens acht unabhängig nebeneinander bestehenden Königreichen dar, von
größererer oder geringerer Macht und Bedeutung und, wie wir vernünftiger¬
weise glauben müssen, von sehr verschiedenen Bildungsgraden in staatlicher und
geistiger Beziehung.

Die Annahme, die von den meisten Historikern gemacht wird, daß die ver¬
schiedenen Königreiche einen Bund bildeten, an dessen Spitze durch Wahl- oder
sonstwie einer der Fürsten mit oberherrlicher Gewalt stand, und daß diese Ein¬
richtung in unmittelbarer Nachahmung dem Gebrauch im römischen Reich ent¬
lehnt worden sei, widerlegt der Verfasser. Ebenso tritt er der Vorstellung entge¬
gen, daß die Einführung des Christenthums mit einer mächtigen Priesterschaft zu
kämpfen hatte. „Kaum hatte der neue Glaube unter den Angelsachsen Aufnahme
gefunden, so erfolgte die Errichtung von Bisthümern in allen einzelnen König¬
reichen .......Wäre England einer Centralgewalt unterworfen gewesen, oder
wäre das Aufgeben des Heidenthums gleichzeitig in mehren Districten erfolgt,
so wäre vielleicht allgemein ein System eingeführt worden, dessen leitende
Grundzüge mit den Ideen des Papstes in Uebereinstimmung gewesen wären; aber
dies war nicht der Fall. Das Bekehrungswerk unterlag manchen Schwierig¬
keiten .....Die ersten Bischöfe waren Missionare, Häupter verschiedener Kör¬
perschaften von kühnen Freiwilligen, die mit eigner Lebensgefahr den heidnischen
Bewohnern ferner und entlegener Landstriche die Botschaft der Erlösung brach-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/262>, abgerufen am 22.07.2024.