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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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einem raschen Ruck zog die empfindungslose Somnambule ihre Hand von dem
unbekannten kalten Körper zurück; Dr. Schiff legte ihr ebenso rasch das
Thierlein an den Hals; doch, an solche Umarmungen nicht gewöhnt, entzog
sich die Spröde den froschlichen Liebkosungen mit einer raschen Kopfbewegung!
Wir lachten der Unart deS Thierchens und der langen Gesichter der Herren,
Schüler. Der Meister, sich ermannend, rief: ,,Ja das beweist nichts, ein
Frosch hebt den Magnetismus auf." Genug, >)r. Schiff hatte durch obigen
Versuch unwiderleglich nachgewiesen, daß die Somnambule des Herrn Ne-
gozzoni ein vollkommen normal empfindendes und normal reagiren-
des Hautnervensystem habe, daß in diesem Theil des Nerven¬
systems eine Jnsensibilitö nicht bestehe.

Nachdem wir uns an der Verlegenheit der Magnetiseure ein wenig ge¬
weidet, schritt Dr. Schiff zu der zweiten Reihe von Versuchen. Es sollte die
Jnsensibilite' sowol der Bewegungs- wie der Empfindungsnerven geprüft werden.
Eine unsrer feinen Akupunktirnadeln ward in die Rückenfläche des linken Vorder¬
armes, der vorher auf Dr. Schiffs besonderes Verlangen total insensibel von
Herrn Negazzoui gemacht worden war, etwa in der oberen Hälfte ganz flach
eingestochen, eine zweite ebenfalls auf der Rückenfläche desselben Armes in der
Nähe der Handwurzel; durch diese Nadeln sollte der lX'krvns meclianus gereizt
werden, welcher die VorderarmmuSkeln mit Nervenästen versorgt. Die Leitungs¬
drähte des MultiplicatorS wurden an die Nadeln gebracht, und siehe, durch
Oeffnen und Schließen der Kette entstanden, wie bei jedem anderen Menschen-
kinde und wie bei jedem Thierlein dieser Erde lebhafte Zuckungen der Vorder¬
armmuskeln, sowie schmerzhafte Bewegungen des Gesichts, die einen hohen Grad
von Ueberwindung ausdrückten und lebhafte Bewegungen der andern Seite;
ebenso lebhaft wurden auch die Gemüther des Meisters und der Schüler be¬
wegt; sie schrien nach ihrer Maschine, sie wollten einen coup kunäroyant.
Ich suchte dem bedrängten Feldherrn aus seiner Noth zu helfen; ich frug ihn,
ob er nicht glaube, daß diese Bewegungen nur durch die Reizungen der Mus¬
keln bewirkt werden; sofort ergriff er diese sublime Idee: "Ja, ja," rief er,
"die Muskeln habe ich nicht paralysirt, nur die Nerven." Ein schallendes
Gelächter von unsrer Seite war die verdiente Antwort.-

Die zunehmende Unruhe der Schüler und der blitzende Blick des Meisters
riechen zur Beschleunigung, daher säumte Dr. Schiff nicht, nachdem Herr
Negazzoni wieder die entsprechende Gesichtshälfte seiner Somnambule total
insensibel gemacht hatte, den Gesichtsnerv (nervus kaeiaUs) zu prüfen; dieser
Nerv, bekanntlich ein Bewegungsnerv, der quer von dem Ohr nach der Nase
z"n verläuft, ward gleichfalls durch den galvanischen Strom angesprochen, indem
eine unsrer Nadeln unterhalb des Ohres, eine andre inmitten der Wange
flach eingesenkt wurden. Gleiche heftige schmerzliche Zuckungen der Gesichts-


einem raschen Ruck zog die empfindungslose Somnambule ihre Hand von dem
unbekannten kalten Körper zurück; Dr. Schiff legte ihr ebenso rasch das
Thierlein an den Hals; doch, an solche Umarmungen nicht gewöhnt, entzog
sich die Spröde den froschlichen Liebkosungen mit einer raschen Kopfbewegung!
Wir lachten der Unart deS Thierchens und der langen Gesichter der Herren,
Schüler. Der Meister, sich ermannend, rief: ,,Ja das beweist nichts, ein
Frosch hebt den Magnetismus auf." Genug, >)r. Schiff hatte durch obigen
Versuch unwiderleglich nachgewiesen, daß die Somnambule des Herrn Ne-
gozzoni ein vollkommen normal empfindendes und normal reagiren-
des Hautnervensystem habe, daß in diesem Theil des Nerven¬
systems eine Jnsensibilitö nicht bestehe.

Nachdem wir uns an der Verlegenheit der Magnetiseure ein wenig ge¬
weidet, schritt Dr. Schiff zu der zweiten Reihe von Versuchen. Es sollte die
Jnsensibilite' sowol der Bewegungs- wie der Empfindungsnerven geprüft werden.
Eine unsrer feinen Akupunktirnadeln ward in die Rückenfläche des linken Vorder¬
armes, der vorher auf Dr. Schiffs besonderes Verlangen total insensibel von
Herrn Negazzoui gemacht worden war, etwa in der oberen Hälfte ganz flach
eingestochen, eine zweite ebenfalls auf der Rückenfläche desselben Armes in der
Nähe der Handwurzel; durch diese Nadeln sollte der lX'krvns meclianus gereizt
werden, welcher die VorderarmmuSkeln mit Nervenästen versorgt. Die Leitungs¬
drähte des MultiplicatorS wurden an die Nadeln gebracht, und siehe, durch
Oeffnen und Schließen der Kette entstanden, wie bei jedem anderen Menschen-
kinde und wie bei jedem Thierlein dieser Erde lebhafte Zuckungen der Vorder¬
armmuskeln, sowie schmerzhafte Bewegungen des Gesichts, die einen hohen Grad
von Ueberwindung ausdrückten und lebhafte Bewegungen der andern Seite;
ebenso lebhaft wurden auch die Gemüther des Meisters und der Schüler be¬
wegt; sie schrien nach ihrer Maschine, sie wollten einen coup kunäroyant.
Ich suchte dem bedrängten Feldherrn aus seiner Noth zu helfen; ich frug ihn,
ob er nicht glaube, daß diese Bewegungen nur durch die Reizungen der Mus¬
keln bewirkt werden; sofort ergriff er diese sublime Idee: „Ja, ja," rief er,
„die Muskeln habe ich nicht paralysirt, nur die Nerven." Ein schallendes
Gelächter von unsrer Seite war die verdiente Antwort.-

Die zunehmende Unruhe der Schüler und der blitzende Blick des Meisters
riechen zur Beschleunigung, daher säumte Dr. Schiff nicht, nachdem Herr
Negazzoni wieder die entsprechende Gesichtshälfte seiner Somnambule total
insensibel gemacht hatte, den Gesichtsnerv (nervus kaeiaUs) zu prüfen; dieser
Nerv, bekanntlich ein Bewegungsnerv, der quer von dem Ohr nach der Nase
z"n verläuft, ward gleichfalls durch den galvanischen Strom angesprochen, indem
eine unsrer Nadeln unterhalb des Ohres, eine andre inmitten der Wange
flach eingesenkt wurden. Gleiche heftige schmerzliche Zuckungen der Gesichts-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/253>, abgerufen am 24.08.2024.